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Donnerstag

Ein Rezept für Wagemut

Gegenüber dem Haus von drei Schwestern mittleren Alters in Holland hatte sich die Gestapo eingenistet. Das war während der deutschen Besetzung, als es gefährlich war, mit Juden befreundet zu sein. Aber sie beherbergten und pflegten einen alten und gebrechlichen Juden unter ihrem Dach, dazu noch eine alte Dame, die aus ihrer Umgebung evakuiert worden war, weil es dort gefährlich war.
Die Schwestern gehörten der reformierten Kirche an. Zu ihrer äußersten Bestürzung kam eines Tages ein Angehöriger der Gestapo zu ihnen. Er war sehr hell und strahlend und sagte ihnen, er sei in Mottlingen, einem Konferenzort in Süddeutschland, gewesen und er habe gehört, dass auch sie dort gewesen seien. Sie baten ihn herein, schüttelten ihm die Hand als einem Bruder in Christus, aber sie sagten ihm auch gerade heraus, dass sie dabei einander widerstreitende Gefühle hätten.

Im Laufe des darauf folgenden Gesprächs sagte der Gestapooffizier: „Was für ein hübsches Haus Sie haben. Sie haben den Krieg kaum zu spüren bekommen.“
„Sagen Sie das nicht“, antwortete eine der Schwestern. „Heute Morgen gingen 2000 Juden mit ihren Kindern an unserem Haus vorüber.“
„Die Juden sind immer die Ursache für Kriege zwischen den Völkern“, sagte er. „Aus diesem Grund hassen wir sie so.“
„Nicht nur die Juden sind schuld, sondern ich und Sie und auch die Juden“, erwiderte die jüngere Schwester.

Sie waren in wirklicher Gefahr, und zwar wegen des Juden, den sie beherbergten und der sehr alt geworden war. Jedes Mal, wenn die Häuser in ihrer Straße von anderen Gestapoleuten durchsucht wurden, beteten die Schwestern stundenlang, dass die Männer nicht in ihr Haus kämen. Das Unmögliche geschah: Sie gingen am Haus vorüber.

Als der alte Mann dem Tode nahe zu sein schien, erhob sich die Frage, was mit seiner Leiche geschehen sollte. Dieses Problem musste jedoch nicht gelöst werden, weil er nicht starb, sondern sich erholte. Die Schwestern sprachen darüber, wie sie mit dem deutschen Bruder umgehen sollten. Schließlich entschieden sie: „Jesus hätte ihn eingeladen und also müssen auch wir das tun.“ Von diesem Zeitpunkt an betrachteten die Nachbarn sie mit Misstrauen und die alte Flüchtlingsdame im oberen Stockwerk wurde wütend, bis die Schwestern ein gutes Gespräch mit ihr hatten, in dem sie ihr ihre Gründe erklärten.

Der Deutsche kam zu ihren Abendgebeten und hatte eine schöne Singstimme. Er sang die Lieder mit starker klarer Stimme. Die Schwestern entschlossen sich, immer vollständig offen mit ihm zu sprechen. Eines Abends fragte ihn eine von ihnen: „Wie können Sie die Juden verfolgen, wenn Sie gleichzeitig die Bibel lesen? Schließlich wurde die Bibel ja von Juden geschrieben: Matthäus, Lukas, Paulus. Und war nicht Jesus Christus selbst ein Jude?“
„Nein, nein“, rief er aus. „Er war der Sohn Gottes.“
„Ja“, sagte die jüngste Schwester, „aber Seine Mutter war eine reinrassige Jüdin. Wenn sie jetzt lebte, würden Sie sie mit einem Stern brandmarken und in ein Konzentrationslager transportieren.“
Sie fingen schon an, ärgerlich zu werden, deshalb sprachen sie nicht weiter, sondern beendeten den Besuch mit einem Lied. Seine Stimme führte die übrigen Stimmen an.

Bei einer anderen Gelegenheit fragte er eine der Schwestern: „Beten Sie für den Führer?“
„Aber gewiss doch.“ Auf die Frage, wie sie für ihn bete, antwortete sie: „Ich habe nur ein Gebet für ihn: Er möge erkennen, dass Christus der einzige Führer ist.“
Er wurde versetzt und kam, um sich zu verabschieden. „Bevor ich gehe“, sagte er, „möchte ich noch einmal über die Juden sprechen.“
„Ich habe nur ein Gebet“, antwortete eine der Damen, „dass Sie erkennnen mögen, dass die Juden des Herren Augapfel sind.“ Sie wusste, dass das eine große Herausforderung war und dass das ihr letzter Augenblick sein könnte. Der Deutsche wurde blass, zog seinen Revolver und zielte auf sie. Sie wendete den Blick nicht von seinem Gesicht ab und konzentrierte sich auf den Gedanken, dass Gott mit ihr sei. Zu ihrer Überraschung gab es keine Explosion. Sie blickte nach unten und da sah sie, dass er den Revolver auf sich gerichtet hatte und er ihr den Griff anbot. Er sagte: „Sie können mich töten. Ich bin der größte Sünder auf Erden.“
„Nein“, sagte sie, „Auch ich bin ebenso wie Sie eine Sünderin, aber wenn ich Sie erschießen würde, dann würde ich dieselbe Sünde begehen wie Sie.“
„Ich kann jetzt verstehen“, sagte er, „wie schwer es für Sie war, mich in Militäruniform zu empfangen.“

In diesem Augenblick kamen ihre Schwestern von einem Spaziergang mit einem Gast zurück und baten den Deutschen, am Abendgebet teilzunehmen. Sie lasen einen Psalm und sangen ein Lied. Nach dem gemeinsamen Gebet ging er. Lange Zeit später kam er noch einmal zu ihnen und erzählte, dass er sein Haus von Bomben zerstört vorgefunden habe. Er änderte daraufhin seine Meinung über den Nationalsozialismus.

Aus dem Buch: 
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.