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Freitag

Kleine Wahrheitserfahrungen in der Armee

Jean-Baptiste Libouban:

In den Jahren 1958-59 mußte ich aufgrund gesetzlicher Verpflichtung einige Monate in den Reihen der französischen Armee verbringen, während der Algerienkrieg tobte.
Kriegsdienstverweigerung war zu dieser Zeit in Frankreich nicht anerkannt. Ich konnte, nicht ohne Kampf übrigens, einen Status als Sanitäter ohne Waffe bekommen. Diese Monate in der Armee waren sicherlich die reichsten meines Lebens an gewaltfreien Abenteuern. Es war ein idealer Ort zur Erprobung der Kraft der Wahrheit, des Widerstands gegen die täglichen Ungerechtigkeiten, die in dieser Art von Institution häufig vorkamen. Ich versuchte die Kraft des Nein, aber auch die Kraft des Ja, die ganz genauso wichtig ist. Kaum verging eine Woche, in der ich nicht konfrontiert wurde mit Situationen, die es mir einbrachten, auch Militärgefängnisse kennenzulernen, unter anderem das der Kaserne von Reutlingen, wo ich im Sommer 1958 einige Tage verbrachte.

Ich fand Freude daran, Mißbräuche anzuzeigen und diejenigen solidarisch zu unterstützen, die man verfolgte oder bestrafte aus dem einzigen Grund, damit die große Maschine des passiven Gehorsams zur Demütigung laufen konnte. Vor allem seit der Zeit, als ich Sanitäter wurde, und besonders in Algerien stellte ich mich zum Dienen ein und darauf, meine Zeit zu geben ohne zu rechnen, um die Kranken zu pflegen. Außerdem gibt es nichts Befriedigenderes als gute Arbeit zu leisten.
Diese Kraft des Ja wird in der Armee genauso wenig praktiziert wie die andere (d.h. die Kraft des Nein). Die Militärpflicht war nicht nach dem Geschmack meiner Kameraden. Einerseits, angesichts der Schikanen, versuchten sie sich ruhig zu verhalten, um ihre Lage nicht zu verschlimmern. Andererseits gehörte es - dazu passend - zum guten Ton, sich möglichst wenig zu kümmern und zu versuchen, sich gut Zeit zu gönnen. Dieser gängigen Trägheit begegnet die Armee im Allgemeinen mit Zwang und großen Abhandlungen über die Ehre, die Verteidigung der Interessen der Nation und das Pflichtbewußtsein.

Ich verhielt mich also dauernd im Gegensatz sowohl zu den Militärs, als auch zu den Kameraden. Wegen der Arche und der Gewaltfreiheit hatte meine Haltung direkten Zugriff auf die Ereignisse, und zwar ohne jede Rede gegen den Militarismus oder den Kolonialismus. Auf diese Weise kam die Kraft der Wahrheit ins Spiel, weil ich zum Wesentlichen kam.
In den letzten sechs Monaten meiner Zeit in Algerien, angesichts meiner Aktivität im Krankenhaus, bot mir die Armee eine Ausbildung als Unteroffizier des Sanitätscorps an. Als ich dies zurückwies, schlugen sie mir vor, wenigstens Soldat erster Klasse zu werden. Die Armee hielt uns zu dieser Zeit über die gesetzlich verpflichtende Zeit hinaus unter den Fahnen, um eine bedeutende Truppe in Algerien halten zu können. Nach dieser gesetzlichen Verpflichtungszeit bekamen wir den gleichen Sold wie die Freiwilligen; im Dienstgrad aufzusteigen bedeutete also sicher zu sein, eine bedeutende Geldsumme zu bekommen - kein Vergleich zu dem, was ein einfacher Soldat erhielt.
Zu ihrem großen Bedauern hatte ich keine andere Antwort, als ihnen lächelnd zu sagen, daß ich ihr Gefangener sei. Es war mir daher unmöglich, die Ehre und die Vorteile, die sie mir als Anerkennung meiner Dienste anboten, anzunehmen.

Dabei hätte es bleiben können. Aber so kam es nicht. Zu meiner großen Überraschung kündigten sie mir einen Monat vor dem Ende meiner Zeit an, sie gewährten mir einen Monat Erholung am Meer. Außerdem strichen sie die Monate Zusatzdienst, die ich wegen meiner Zeit im Gefängnis hätte anhängen müssen, weil sie nicht als Dienstzeit gerechnet wurden.
Hier, in diesen kleinen Aktionen habe ich die Kraft der Wahrheit begriffen. Unter der Offiziersmütze existiert ein Mensch, der eine Haltung als gerecht und wahr verstehen kann - viel mehr als man zu glauben geneigt ist. Es war übrigens nicht der einzige Fall dieser Art, den ich traf während jener Zeit, die ich in der französischen Armee verbrachte.

Der Mann im Wald: “Ihr sollt wissen...”

Ein junger Mann, der sich wegen seiner Kriegsdienstverweigerung Rat bei mir (M.A.) holte, erzählte von seinem Vater: Er ging in der Dämmerung im Wald, plötzlich verstellten ihm drei junge Männer den Weg: “Geld her!!” Er blieb stehen und warf ihnen sein Portemonnaie hin. Sie hoben es auf und öffneten es. Es war nicht viel Geld darin. Sie standen da, plötzlich zieht einer von ihnen ein Messer, sagt zu den anderen: “Wenn der uns verpfeift - ” und geht mit der Waffe auf den Mann los. Dieser bleibt stehen, ergreift sein Hemd vor der Brust und zieht es hoch. Er hält ihnen die nackte Brust entgegen und sagt: “Ihr könnt mich umbringen. Aber Ihr sollt wissen: Ich habe eine Frau und drei Kinder. Die sind auch davon betroffen.” Der andere lässt das Messer sinken, sie werfen ihm die Geldbörse noch hin und verschwinden.

Freitag Abend im Jugendzentrum

Pfarrer Reinhard Kolb

Im Frühjahr 1972 erlebte ich das Folgende:

An einem Freitag Abend war im Gemeindezentrum im Jugendkeller Disco für die Älteren ab 20 Uhr. Zu den Gästen gehörten einige recht problematische Jugendliche. Ich erinnere mich an die Verabschiedung eines von ihnen, der eine Haftzeit in der Jugendstrafanstalt Siegburg antreten musste. F. war ein eher labiler junger Mann. Er ist später etwa 35jährig an seinem Alkoholismus zugrunde gegangen.

An jenem Abend kam er angetrunken und begann zu randalieren. Den Leiter der Disco, einen Studenten der Sozialpädagogik, schlug er k.o., kreischend verließen die Mädchen den Disco-Raum. Ich hatte Alkoholverbot gegeben, bei Zuwiderhandlung Hausverbot. Das sprach ich nun F. gegenüber aus, fasste ihn am Arm, um ihn hinauszuführen. Da packte er meine Krawatte, drehte sie und würgte mich. Ich keuchte: „Lass mich los!“ Er: „Erst wenn du mich loslässt!“ Ich ließ seinen Arm los, er meine Krawatte. Doch nun schrie er mich an: „Ich will mich mit dir schlagen! Komm, wehr’ dich!“ Ich erwiderte ihm: „Ich bin Christ. Ich wehre mich nicht. Aber wenn du mich auch zusammenschlagen willst, warte, bis ich meine Brille abgegeben habe, die brauche ich am Sonntag noch.“ Und ich gab meine Brille an einen Danebenstehenden. Da schrie er mich an: „Wenn du dich nicht wehren willst, kann ich mich nicht mit dir schlagen“, und rannte ins Dunkel hinaus, über die befahrene vierspurige B 224, vor dem Gemeindezentrum - und noch einmal hielt ich den Atem an.

aufgeschrieben im Juli 1999


Mannheimer Hoffnungsgeschichten

Mannheimer OberstufenschülerInnen schreiben Hoffnungsgeschichten der Überwindung von Gewalt
(Ökumenisches Bildungszentrum sanctclara Mannheim, 28.3.01)


Im Bereich Geschwisterstreit: Nach verbalen Attacken und Androhungen von “Gewalt mit Fäusten” zogen mein Bruder und ich uns kurz ins jeweilige Zimmer zurück, besannen das, was gerade gelaufen war, und entschuldigten uns beim Anderen. Öfter Besinnung und Nachdenken bringt etwas!

Bei mir im Basketballtraining gibt es ein paar ziemlich “coole” Typen, die denken, dass sie die Tollsten sind. Als ich von denen angemacht wurde, kam ein Kumpel von mir (eigentlich ein ziemlich schmächtiger Kerl), hat sich hinter mich gestellt und signalisiert, dass er zu mir steht. Da sind die Typen weitergegangen. Das war ein tolles Gefühl zu wissen, dass man nicht alleine ist und Freunde hat, die helfen.

Eine freundschaftliche Rangelei im Zug zwischen zwei Freunden wird zu einer richtigen Prügelei. Der eine hat schon eine blutige Nase, als mein Freund und ich dazu kommen. Wir schnappen uns jeder einen und fangen ihn an zu kitzeln. Daraufhin müssen sie sich wohl oder übel loslassen und hören auf miteinander zu kämpfen.

Eine Klassenkameradin hat eine andere ständig fertiggemacht wegen Aussehens, Verhalten etc.. Irgendwann bekam die eine dann ein selbst geschriebenes Gedicht der anderen, die sich nicht unterkriegen ließ, zur Ansicht. Und sie hatte plötzlich Ehrfurcht vor ihr und ihrer Fähigkeit des Schreibens.

Ich kam mit meinem Motorrad an eine rote Ampel und fuhr zwischen den Autoschlangen, die sich auf beiden Spuren gebildet hatten, bis an die Haltelinie vor. Ein LKW-Fahrer kurbelte die Fensterscheibe runter und begann rumzuschreien: “Hast du ‘nen Bremsfehler oder bist du einfach nur blöd, du Idiot?” Ich drehte mich um und sagte zu ihm: “Komm schon, Mann, ich werde doch bei dem Wetter nicht hinter 20 Autos im stop&go-Verkehr fahren. Trotzdem sorry.” Er winkte mir gerade nur lässig mit der Hand und lächelte.

Bei uns in der Clique gab es mal ein nettes Mädchen. Sie ist mit dem Jungen zusammengekommen, der am meisten Einfluß auf alle hatte. Leider ist die Beziehung nach 9 Monaten zerbrochen und von den anderen (außer mir) wollte keiner mehr etwas mit ihr zu tun haben. Sie wußte lange nicht, was sie falsch gemacht hatte. Und ich sagte ihr immer, dass es nicht an ihr läge. Wir wurden die besten Freunde. Letzten Samstag feierte die Clique eine Party. Sie wollte sich mit mir treffen. Wir unterhielten uns in angetrunkenem Zustand. Irgendwie standen auf einmal alle neben uns und wir redeten über alles, was noch nicht geklärt worden war (über 2 Stunden lang). In dieser Woche meldeten sich einige wieder bei ihr und haben zugegeben, dass sie sie eigentlich gar nicht so schlimm finden. Jetzt treffen sich viele wieder mit ihr. Das gibt dem Mädchen viel Kraft, die sie in den Monaten davor verloren hatte!

Konfliktsituation vor dem Haus: zwei Kindergartenkinder streiten sich um einen Bobbycar. Da kommt der ältere Bruder eines der Kinder dazu und zeigt den beiden, wie sie den Bobbycar mit Anhänger gemeinsam nutzen können, indem einer Fahrer und einer Fahrgast ist. Das Spiel geht friedlich weiter.

Neulich am Paradeplatz:  eine Klassenkameradin wurde von ihrem Ex-Freund und 6 Skinheads verfolgt. Wir Mädchen blieben bei ihr, auch wenn wir nicht viel ausrichten konnten, und liefen nicht weg. Ich denke, dass wir hier Zivilcourage bewiesen. Verbal konnten wir den Konflikt teilweise lösen. Meiner Meinung nach, muss Gewaltüberwindung bei Bildung ansetzen.

Unser Raucherhof sollte geschlossen werden, wenn er weiterhin so schmutzig ist. Doch es gab Leute, die ihn dann putzten und nicht anfingen zu randalieren!

Ich sah vor kurzem eine Reportage im TV mit dem Thema Zivilcourage. Es wurde dabei festgestellt, dass in Konfliktsituationen öfters Menschen ab 35 wegsehen als die jüngere Generation. Dass also die heranwachsende Gesellschaft lernt oder gelernt hat helfend einzugreifen. Ich denke, das ist ein Punkt, der Hoffnung bringt.

“Sanfte Gewalt” - Eigenes Foto: Großstadt, Autostraße, Randstein zwischen benzin- und ölbeflecktem Asphalt und zugeparktem Gehweg: Aus einer Fuge heraus wächst und blüht ein Löwenzahn!

Ein zierlicher Siebtklässler wird von einem großgewachsenen Klassenkameraden mit leichten Stößen provoziert zurückzuschlagen. “Schlag zurück! Komm, wehr dich...” Der Kleine steht – an die Schulmauer gelehnt – als ob es ihn nichts anginge und schaut den Großen an. Der Zuschauerkreis wird immer größer. Der Kleine läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Der Große hat keine Chance. Die Zuschauer sind mehr und mehr gegen ihn. Sie sagen nichts, aber sie verhindern, dass der Große seine Übermacht ausleben kann. So geht die Pause zu Ende. Der klare Sieger ist der Kleine. Der Große gibt auf. Seine Provokation läuft ins Leere. Auf die Frage, warum er sich nicht gewehrt habe, sagt der Kleine: “Ich habe gegen den Großen keine Chance. Das einzige, was ich tun kann, ist: Nerven bewahren. Wenn ich zurückschlage, hat er einen Grund mich zu schlagen. Den Spaß gönne ich ihm nicht. Zum Raufen gehören immer zwei.”

Streitschlichtersituation: Zwei Schüler im verbalen Schlagabtausch werden von einem Mitschüler angesprochen: “Du fühlst dich jetzt wohl sauwohl!?” Überraschung! Stille. Nächstes Mal wiederholt er die Frage – Stille. “Nein? Warum investierst du dann soviel Energie in etwas, was dir nichts bringt?” Später läßt der verbale Streit nach. Inzwischen wurde einer der Streithähne selbst Streitschlichter.


Quelle: Mannheimer OberstufenschülerInnen teilen ihre Geschichten bei einer Veranstaltung zur Dekade "Gewalt überwinden" am 28.3.01 im Ökumenischen Bildungszentrum sanctclara in Mannheim

Anne Kretzschmar
Dienst fuer Mission, Oekumene und Entwicklung
Evangelische Landeskirche in Württemberg

Weltkarte der Gewaltfreiheit / Weltkarte der Hoffnung von Birgit Berg

Weltkarte der Gewaltfreiheit von Birgit Berg

Birgit Berg (Wortwerkstatt Poesie & Politik, Stuttgart), hat 1997 viele Fälle von gewaltfreien Veränderungen weltweit dokumentiert. Die Ereignisse hat sie in der Weltkarte der Gewaltfreiheit / Weltkarte der Hoffnung zusammengestellt.

Sammlung von Ereignissen in Deutschland
Sammlung von Ereignissen in Europa
Sammlung von Ereignissen in Nordamerika
Sammlung von Ereignissen in Lateinamerika
Sammlung von Ereignissen im 20. Jahrhundert

Weltkarte der Gewaltfreiheit von Birgit Berg
Hoffnungsereignisse aus der Geschichte gewaltfreier Veränderungen,
1997 zusammengestellt von Birgit Berg, Wortwerkstatt Poesie und Politik, auf der
Weltkarte der Gewaltfreiheit / Weltkarte der Hoffnung

Die Geschichte gewaltfreier Veränderungen
 ist neu zu entdecken...
 ist umfangreicher als je vermutet - sie umfasst Tausende Beispiele - hier nur eine Auswahl von 150 aus dem 20. Jahrhundert
 ist noch fast unbekannt - Geschichtsschreibung und -unterricht sind bisher vorrangig Geschichte der Gewalt, der Schlachten, Herrscher und Eroberungen...
 ist die Geschichte von verhinderten Kriegen, vermiedenen Schlachten, gestürzten Tyrannen...
 handelt nicht mehr von „großen Männern", sondern auch von kleinen Völkern, Gruppen, Unbekannten, Frauen, Kindern – von den Betroffenen – von Mut und Schicksalen von Hunderttausenden...
 ist ERD-CHRONIK, international, weltweit...
 macht bewusst, wieviel schon gewaltfrei erreicht wurde: die Abschaffung der Menschenfresserei, der Sklaverei, der Duelle... wieviel gewaltfrei erst erkämpft werden musste: Frauenwahlrecht, Kriegsdienstverweigerung, Arbeitsrecht... und wieviel noch zu erringen und erreichen ist...
 zeigt erste Ansätze zu einem „Bündnis der Betroffenen"...
 macht Einzelerscheinungen erkennbar als Beiträge zu einer Gesamtentwicklung gewaltfreier Veränderung: den Fall der Berliner Mauer wie das Gewehre-Zerbrechen in Neu-Kaledonien...,
weltweite Schritte gegen Atommacht, Krieg, Unterdrückung, Vernichtung...
den Stopp von Naturzerstörung an vielen Orten...
eine unsichtbare Menschenkette der gewaltfrei Handelnden...
 ist ein wachsendes Mosaik der phantasievollen Aktionen, Ideen, Wagnisse, Formen...
 ist konstruktiv: zu dem Widerstand gegen Bedrohung kam meist das Entwickeln für Lebenswertes...
 ist der Beweis, dass aktive Gewaltfreiheit Erfolge bewirken kann...
 lässt Veränderungskraft und eine eigene Qualität der gewaltfreien Haltung erkennen
 hat ein „Know how" gewaltfreier Methoden und Konzepte als Hintergrund
 ist Impuls für persönliche Durchsetzungskraft und Strukturen neuer Politik
 ist erst am Anfang ihrer Möglichkeiten...



Samstag

Augenkontakt

  Eine Begebenheit auf der Straße kann ich erzählen, wo ich mal reingefallen bin. Raus kam ich da wieder, weil ich gerade an einem Training für Gewaltfreiheit mitgemacht hatte. Ich will diese Story gerne erzählen, weil es ein Beispiel dafür ist, wie sich Trainings auszahlen können. In diesem Fall also war ich umzingelt von einer Gruppe schwarzer junger Männer spät in der Nacht. Ich war alleine. Ich war selbst blöd, daß ich in diese Situation kam. Ich hätte es vermeiden können. Ich tat es sicher aus einer überheblichen Männlichkeit heraus, und dann fand ich mich umzingelt von diesen jungen Männern. Einer von ihnen stieß mich gegen die Wand.
  Woran ich mich erinnerte von dem Training, an dem ich teilgenommen hatte, war das interessante Gespräch über die Geschichte von John Wesley, der in England sehr oft angepöbelt wurde. Er war ein methodistischer Prediger und er hatte gelernt, wie er mit dem Mob umging. Was er tun würde, war, den Kopf hoch nehmen und auf die Seite wenden, so daß die Leute sein Gesicht sehen können und daß er damit so menschlich als möglich sein kann. Er würde sich umschauen und entscheiden, wer wohl der Anführer dieses Mob sei. Und dann würde er keinen anderen mehr anschauen. Er würde alleine direkt mit dieser Person verhandeln und - wenn da allzu viel Lärm wäre - würde er einfach den Augenkontakt mit dieser Person behalten. Er würde alle Energie dieser Person zuwenden, bis sie bei dem Mob interveniert und die Situation wendet.
  So erinnerte ich mich an dieses Gespräch jetzt bei meiner Bedrohung und schaute mich nach ihnen um, als ich entschied, daß es nicht der Mann war, der mich so energisch gegen die Wand drückte, daß er der Anführer sei. Intuitiv entschied ich, daß es ein anderer war. Also fixierte ich völlig diese Person. Ich sprach zu ihm. Ich war empört. Ich zeigte meinen Ärger. Ich sagte:
  "Warum machst Du das mit mir? Ich bin hier mitten in der Nacht und hole Arznei für mein Baby und Du machst dies mit mir! Was hab' ich getan? Womit hab' ich das verdient? Das verwirrt mich! Warum machst Du das?"
  In keiner Weise erniedrigte ich ihn. Ich war nicht respektlos. Ich drückte allein meinen Ärger über diesen Vorfall aus. Die ganze Zeit über fixierte ich ihn; meist war es Augenkontakt, meine Stimme war womöglich auch sehr gewichtig. Nach einiger Zeit intervenierte er bei dem Jungen, der die Initiative ergriffen hatte, und sagte ihm, er solle aufhören, und so kamen sie in Diskussion, was sie mit mir machen wollten. Während alle mit diesen Fragen beschäftigt waren, konnte ich sicher weggehen.



(Quelle:George Lakey, Philadelphia, Interview mit Uwe Painke, Okt.92)



Überfall beim Trampen

  Als ich auf dem College war, trampte ich oft durchs ganze Land. Das war in der Mitte der 60er Jahre. Ich reiste alleine und auch mit anderen Freunden zusammen. Es gab eine Reihe von Episoden, bei denen ich angegriffen wurde. Da kann ich Dir ein Beispiel geben.
  Du mußt verstehen, ich bin Quäkerin und bin erfüllt von der Idee, daß du immer annehmen kannst, daß du eine gewaltfreie Lösung findest. Ich glaube, das erste Mal, als es passierte, da war ich auf dem Weg, einen Freund in PA zu besuchen, und ich wurde rausgelassen bei - ja, ein Freund hatte mich nach NJ gefahren und nun wartete ich auf einen Bus, um nach Philadelphia rein zu kommen. Da kam ein Junge daher und sagte:
  "Ich fahre nach Philadelphia. Willst Du mitfahren?"
  Und ich Idiot akzeptierte es. Auf dem Weg sagte er:
  "Ich geh' mal raus und hole Wasser."
  Er ging zu so einem verlassenen Haus. Ich war da gerade mal 19 und sehr naiv zu der Zeit. Er ging also in das Haus, um nach Wasser zu sehen. Schließlich folgte ich ihm, und da griff er mich an. Er warf mich nieder und war drauf und dran, mich zu vergewaltigen. Ich hatte doch gerade dies Gespräch mit ihm. Ich glaube, ich war verstört, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich sprach weiter:
  "Ich will keinen Sex mit Dir haben. Ich will nicht, daß Du mich vergewaltigst."
  Ich kam aus der ganzen Geschichte raus mit Gewaltfreiheit und gab ihm diese klare Erwiderung. Endlich hörte er auf und sagte:
  "Du bist ja äußerst ernst, nicht wahr?"
  Er nahm mich mit zurück in den Wagen, fuhr mich nach Philadelphia, gab mir zwanzig Dollar und fuhr davon.



(Quelle: Patty Lyman, Seattle, Interview mit Uwe Painke, Sept.92)

Der gewaltfreie Niels

  Der achtjährige Niels steht auf dem Schulhof. Da kommt sein Freund auf ihn zu, hat die Fäuste geballt und fängt an zu boxen. Er sagt zu Niels: "Komm, wir wollen uns jetzt bekämpfen."
  Da gibt Niels ganz spontan zurück: "Aber ich bin doch gewaltfrei!"
  Sogleich dreht sich der Freund um und geht weiter seiner Wege. Niels ist perplex.



(Quelle: Beate Krieger, Zürich)

Donnerstag

Ein nicht hässlicher Amerikaner -

„In der Grundschule war ich eine Heulsuse“, gestand G. ganz offen dem Militäranwalt, der ihn befragte, um herauszufinden, ob G., als er einberufen worden war, der Status eines Kriegsdienstverweigerers zuerkannt werden sollte. In der Highschool dauerte es dann nicht lange, bis er herausfand, dass er daran etwas ändern musste, wenn er für die Friedensarbeit in der Welt von irgendeinem Nutzen sein wollte. Also trainierte er sich im Ringen.

Im College nahm er dann an Ringkämpfen teil und stellte sich vor, wie sich wohl sein Gegner fühlte. Wenn er ihn am Boden festhielt, flüsterte er ihm, bevor er ihm erlaubte, sich aufzurichten, etwas Ermutigendes zu, wie etwa „Dein Griff vorhin hat mir wirklich Mühe gemacht!“ Wenn der andere ihn selbst am Boden festhielt, dann gratulierte er ihm ganz aufrichtig dazu.

Monatelang weigerte sich die Einberufungsbehörde, seine ursprüngliche Einteilung zum I A-Kämpfer-Dienst in den Einsatz zum zweijährigen alternativen Zivildienst umzuwandeln, wie er beantragt hatte. Dieser Student sah nicht wie ein Fanatiker aus. Offensichtlich war er auch kein Muttersöhnchen. Warum wollte er also nicht riskieren, sich in der Luftwaffe oder bei der Infanterie den Hals zu brechen? Der Grund dafür sei, so versuchte G mit wenig Erfolg zu erklären, dass er glaube, es gebe einen besseren Weg, und er sei bereit, so gut wie jeden Preis dafür zu zahlen, diesen Weg auszuprobieren.

Schließlich ging man auf seinen Fall ein und teilte ihn schließlich einem Team von Eirene in Marokko zu. Die Lebensbedingungen dort waren genau so primitiv und stellten so hohe Ansprüche an ihn, wie er sie sich gewünscht hatte. Er unterrichtete algerische Flüchtlingswaisen in einem roh errichteten Schuppen. Am Morgen darauf in aller Frühe sollte er eine durch ein Erdbeben beschädigte Zisterne reparieren. Er wanderte also über einen Hügel, um die Betonierarbeiten zu überprüfen.
Als er gerade die andere Seite erreicht hatte, sauste ein Felsbrocken an ihm vorbei. Er war groß, etwa 5 Kilo. Wenn er nur ein paar Zentimeter näher gewesen wäre, wäre es ihm wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen, das was nun folgte, zu berichten.
G wollte natürlich wissen, woher der Felsbrocken gekommen war, und drehte sich gerade rechtzeitig um, um einen weiteren Brocken genau auf seinen Kopf zusausen zu sehen. Er duckte sich. Der Felsbrocken traf einen linken Arm und prallte ab.
G. war zwar erst seit ein paar Monaten im Land, aber er konnte schon etwas Französisch und Arabisch. „Warum“, fragte er in beiden Sprachen, „Warum tust du das?“
„Tahmout – Tahmout“, (du musst sterben, du musst sterben) schrie der andere.
G. stürzte sich auf ihn und ergriff seine Hand. Er wollte unbedingt herausbekommen, so schrieb er einen Monat später, „warum er so wütend war oder mich so sehr hasste. Er schlug seinen Kopf gegen meinen, deshalb ließ ich ihn los, da ich ja keine Gewalt anwenden wollte, und ich versuchte, mit ihm zu reden.“

In G.s Brief heißt es weiter: „Er schlug mir ein paar Mal mit der Faust ins Gesicht. Dann lief er, als er (vermute ich) sah, dass ich keine Angst hatte, ein Stück weit weg und nahm einen Felsbrocken auf, den er mir wieder an den Kopf warf. Ich hielt den Stein mit der Hand auf und versuchte dann, den Mann festzuhalten, aber er hatte schon einen weiteren Stein aufgehoben. Er schlug ihn mir auf den Kopf, so dass ich eine tiefe Wunde davon bekam. Nun gebrauchte ich meine Ringerfertigkeiten, ergriff ihn, drehte ihn herum und hielt ihn auf dem Boden fest.“
Das Spektakel erregte Aufsehen. G.s Angreifer wurde ins Gefängnis gesteckt und G. wurde in die Stadt gebracht, um medizinisch versorgt zu werden.

Zwei Tage danach erfuhr er, was geschehen war. Der junge Mann war verwirrt. Wenige Stunden, bevor er G. angegriffen hatte, hatte er zwei andere Menschen mit Steinen geworfen. Einer von ihnen war zu der Zeit, als G. den Brief über den Zwischenfall schrieb, noch im Krankenhaus. Zwar wollten die Beamten der lokalen Regierung, dass G. Anklage erhob, aber das wollte er nicht. Schließlich wurde der Kranke in die Psychiatrie in Casablanca geschickt.

„Zwei Tage nachdem ich von diesem Burschen verletzt worden war“, lesen wir
 weiter in seinem Brief, „war ich wieder in die Berge gegangen, um dort zu arbeiten (da wusste ich noch nicht, dass er krank war). Ich hatte nun vor allen Menschen dort Angst und traute ihnen so wenig, dass ich ihnen nicht den Rücken wandte. Ich denke, das war normal, aber nachdem ich erfahren hatte, dass er krank war, ging es mir besser. Vermutlich wurde ich darum nach diesem Erlebnis so ängstlich, weil ich den Grund dafür, dass er mich verletzt hatte und mich hatte töten wollen, nicht kannte. Am Tag nach diesem Ereignis wusste das ganze Dorf davon und sie testeten mich, denn sie hatten noch nie etwas von Gewaltfreiheit gehört. Sie hoben Felsbrocken auf, als wollten sie sie auf mich werfen. Sie verpassten mir eine und machten schnelle Bewegungen auf mich zu, , um zu sehen, ob mir das Angst machte. Ein Bursche packte mich am Halt (so, wie der Kranke es getan hatte) und tat so, als wollte er mich erwürgen. Ich zeigte ihm, wie ich mich dagegen wehren konnte und brachte ihn durch einen Trick, den ich einmal gelernt hatte, zum Aufgeben. Ein anderer tat so, als wollte er mir eins verpassen, als ich aus der Zisterne stieg. Ich wandte mich um, ergriff ihn und hielt ihn in die Luft. Das war ein einfacher Ringergriff, aber er veranlasste ihn, mich zu respektieren. Ich musste an diesem Tag den Leuten noch oft beweisen, dass ich keine Angst vor einem Kampf hatte, wenn er nicht im Ernst stattfand. Ich denke, ich bewies ihnen, dass ich kein Feigling war, nur weil ich den Jungen nicht verletzt hatte.“

G. bewundert die Geschicklichkeit, mir der diese Menschen Steine werfen. Damit, sagt er, hüten sie ihre Tiere. Er dankt Gott nicht nur dafür, dass er nicht von einem der 5 oder 6 Kilo schweren Felsbrocken erschlagen wurde, sondern auch dafür, dass er „(damals) keinerlei Furcht oder Hass empfand und dass er ihn nicht verletzte.“

„Ich muss wohl recht erregt gewesen sein“, fügt er hinzu, „denn alles ging mir so schnell durch den Kopf. Ich hatte damals keine Angst vor ihm und ich hasste ihn nicht. Aber etwas ging mir durch den Kopf, wofür ich mich schämte. Haben Sie das Buch Der hässliche Amerikaner gelesen? Ich dachte, mir könnte so etwas nicht passieren, weil ich ein Amerikaner bin. Ich denke, das war in meinem Unterbewusstsein. Mir gefällt das, was ich damals dachte, überhaupt nicht, aber ich bin wohl auch nur genau so schwach wie alle anderen.“

Aus dem Buch:
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.