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Mittwoch

Weitere Informationen zu den Ereignissen in Tusculum und Jerusalem

Nach Meinung der Geschichtsschreiber wurde der eine Befehlshaber durch patientia besiegt, der andere durch Lauterkeit der Gottesfurcht. Einer militärischen Übermacht ausgelieferte und bedrohte Menschen bekundeten offen ihre Bereitschaft, schwere Schläge ohne Gegenwehr hinzunehmen, die Drohung wurde nicht wahrgemacht, die angedrohten Gemetzel fanden nicht statt. Falls die Berichte zutreffen sollten: War das Ergebnis Zufall? Konnten die Tusculaner damit rechnen? Konnten die Juden damit rechnen?

Patientia. Die Tusculaner arbeiteten mit dem „Missstand“ Krieg nicht zusammen, indem sie dem anrückenden Heer keinen Soldaten entgegenstellten, den es angreifen könnte. Stattdessen bekundeten sie den Angreifern durch Offenheit und Lebensmittelgaben den Willen zur Zusammenarbeit und damit erneut ihre vorher gebrochene Bündnistreue. Die Römer wurden nicht zum Verzicht auf den Rachekrieg gezwungen, aber durch patientia als wahre Waffe und wahre Kräfte „entwaffnet“, Livius wörtlich: „besiegt“.
„Die Kirchenväter [...] Tertullian [... und] Cyprian liefern [im 3. Jahrhundert n. Chr.] mit ihrer [...] Schrift ‚de patientia‘ eine theologische Begründung für die Kraft der Gewaltlosigkeit, die sie als ein aktives Handeln, nicht als passives Hinnehmen darstellen. [... Es] wird deutlich, wie klein der Schritt zu [...] Gandhi, Martin Luther King [...] ist.“ (xxxThomas Gerhards 1991, 10)
Für die Juden bestand der „Missstand“ in Pilatus‘ Absicht, sie zur Anbetung des Kaisers zu bewegen. Als sie tagelang in großer Zahl protestierten und nicht von seinem Palast wichen, wollte er sie erpressen. Da bekundeten sie massenhaft, dass ihnen die Nichtzusammenarbeit mit diesem Missstand mehr wert war als ihr Leben. Mit der äußerlichen Unterwerfungsgeste drückten sie zugleich ihre Entschlossenheit aus, der Erpressung um Gottes willen nicht nachzugeben. Pilatus war offenbar so stark beeindruckt, dass er nicht nur ihr Leben schonte, sondern auch den Missstand behob.
Theorie: „Jesuanische Taktik“. Der jüdische Jesus-Interpret Pinchas Lapide (xxx1982, 52ff) bringt das von Josephus berichtete Ereignis in Caesarea mit Empfehlungen in Verbindung, die Jesus nach dem Matthäus-Evangelium (5,39) gibt: „Wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem halte auch die andere hin“ sowie „Seid sanft wie die Tauben und klug wie die Schlangen!“ (Matth. 10, 16) Einmal geschlagen, nämlich durch das römische Heer unterworfen worden waren sowohl die Tusculaner vor ihrem Bündnisbruch als auch die Juden unter Pilatus. In der Bedrohung demonstrierten beide ihre Verwundbarkeit und ihre Bereitschaft, Schläge hinzunehmen, hielten sozusagen die andere Wange hin. Lapide spricht von „jesuanischer Taktik, Gewaltlosigkeit in politische Macht umzumünzen“ und nennt den Mann aus Nazareth „Rebell der Liebe“ (S. 54. 52). Hebräischem Denken entspricht es weniger als dem griechischen, theoretisch-abstrakt zu formulieren, Allgemeines wird meist durch Beispiele vermittelt. Der Empfehlung, die andere Wange hinzuhalten, folgen bei Jesus zwei weitere Beispiele: Wer dir den Mantel gerichtlich pfänden lassen will, dem gib auch das Hemd – damit steht der Gepfändete nackt da (Arme hatten zwei Kleidungsstücke, mit dem hier als „Mantel“ übersetzten Stoff deckten sie sich nachts zu) und das Unmenschliche und Entwürdigende der beabsichtigten Pfändung wird deutlich. Wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so gehe mit ihm zwei: Römer hatten das Recht, in dem zerklüfteten, unwegsamen Gelände Bauern zur Begleitung aufzufordern, was für einige zu schwerer Belastung führte. KFv Weizsäcker xxx nennt die von Jesus empfohlene Vorgehensweise Entfeindungsliebe oder Intelligente Feindesliebe.



Mehran A. Nickbakht (2005): Tacitus und das senatus consultum de Cn. Pisone patre. Untersuchungen zur historischen Arbeitsweise des Tacitus in den Annalen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) durch die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vorgelegt von
Seite 90:
Dieser Sachverhalt leitet übergangslos zur anderen Tugend des Germanicus über: Neben singularis moderatio, also dem lobenswerten Zügeln der eigenen Machtfülle, wird Germanicus auch durch die Zuschreibung von patientia herausgehoben.314 Mit patientia ist hier ‚Duldsamkeit, Toleranz, Untätigkeit (im positiven Sinne)’ gemeint und zwar gegenüber dem Verhalten oder den Taten anderer, die als schlecht oder böswillig gelten. Es handelt sich mithin um eine stark abgeschwächte Form von clementia (Gnade), allerdings mit dem Unterschied, daß patientia kein Aufhebens von sich macht, sondern sich durch stilles Dulden auszeichnet und daher auch demjenigen, der geduldet wird, nicht ausdrücklich mitgeteilt wird.315

314 Für die Verbindung von patientia und moderatio vgl. die Beschreibung des legendären M. F. Camillus bei
Liv. 6,27,1 Camillus... singulari adversus collegam patientia et moderatione insignis. Generell zur Bedeutung
von patientia (bei Livius) siehe Moore 1989, 80-2.
315 Die Übersetzung von patientia (Z. 26) mit ‚Zurückhaltung’ in Eck 1996 ist nicht ganz zutreffend, da sie,
indem sie patientia und moderatio gleichsam als Hendyadion auffasst, patientia mit einem Begriff wiedergibt,
der synonym zu dem Wort ‚Mäßigung’ ist, mit dem moderatio (Z. 26) übersetzt wird. Daher ist patientia an
dieser Stelle besser mit ,Geduld’, wie Eck es in Zeile 18 tut.
Moore, T.J. (1989): Artistry and Ideology: Livy’s Vocabulary of Virtue, Frankfurt. Moore 1989, 80-82
375 v. Chr.
Tusculum / Rom Rom erklärt Tusculum Rachekrieg; das vorrückende Heer wird offiziell begrüßt, mit Lebensmitteln ver-sorgt; furchtlos geht das Leben in Tusculum weiter. Keine Schlacht. Camillus er¬klärt sich „durch die Geduld der Feinde überwunden.“
bewusste Nicht-Ver-teidigung, obstinater Frieden VI: 37; LP: 43f; CV: 108 Livius et al. 1991: Buch VI: 25f

[25] Vbi in recensendis captiuis cum Tusculani aliquot noscitarentur, secreti ab aliis ad tribunos adducuntur percontantibusque fassi publico consilio se militasse. cuius tam uicini belli metu Camillus motus extemplo se Romam captiuos ducturum ait, ne patres ignari sint Tusculanos ab societate descisse: castris exercituique interim, si uideatur, praesit collega. documento unus dies fuerat, ne sua consilia melioribus praeferret; nec tamen aut ipsi aut in exercitu cuiquam satis placato animo Camillus laturus culpam eius uidebatur, qua data in tam praecipitem casum res publica esset; et cum in exercitu tum Romae constans omnium fama erat, cum uaria fortuna in Volscis gesta res esset, aduersae pugnae fugaeque in L. Furio culpam, secundae decus omne penes M. Furium esse. introductis in senatum captiuis cum bello persequendos Tusculanos patres censuissent Camilloque id bellum mandassent, adiutorem sibi ad eam rem unum petit, permissoque ut ex collegis optaret quem uellet contra spem omnium L. Furium optauit; qua moderatione animi cum collegae leuauit infamiam tum sibi gloriam ingentem peperit. nec fuit cum Tusculanis bellum: pace constanti by a firm and lasting peace uim Romanam arcuerunt quam armis non poterant. intrantibus fines Romanis non demigratum ex propinquis itineri locis, non cultus agrorum intermissus; patentibus portis urbis togati obuiam frequentes imperatoribus processere; commeatus exercitui comiter in castra ex urbe et ex agris deuehitur. Camillus castris ante portas positis, eademne forma pacis quae in agris ostentaretur etiam intra moenia esset scire cupiens, ingressus urbem ubi patentes ianuas et tabernis apertis proposita omnia in medio uidit intentosque opifices suo quemque operi et ludos litterarum strepere discentium uocibus ac repletas semitas inter uolgus aliud puerorum et mulierum huc atque illuc euntium qua quemque suorum usuum causae ferrent, nihil usquam non pauidis modo sed ne mirantibus quidem simile, circumspiciebat omnia, inquirens oculis ubinam bellum fuisset; adeo nec amotae rei usquam nec oblatae ad tempus uestigium ullum erat sed ita omnia constanti tranquilla pace ut eo uix fama belli perlata uideri posset. [26] Victus igitur patientia hostium senatum eorum uocari iussit. 'soli adhuc' inquit, 'Tusculani, uera arma uerasque uires quibus ab ira Romanorum uestra tutaremini inuenistis. ite Romam ad senatum;


Camillus ist ungehorsam gegenüber dem Senatsauftrag, Tusculum zu bekriegen. Er wird im Gegensatz zu seinem Rivalen, einem Heißsporn, als weiser Mann dargestellt. Ob er Blutvergießen verhindern wollte? Dies schien im Alten Rom kein hohes Ziel gewesen zu sein. Wie dagegen Verbündete bzw. Unterworfene „zur Räson gebracht“ werden können, dafür hatte Rom schon das Sprichwort „Mögen sie uns hassen, solange sie uns nur fürchten!“  Andere Wirkelemente als die erwähnte wahre Waffe und wahre Macht patientia werden nicht berichtet.

Pilatus riskiert Ärger mit Kaiser Tiberius in Rom, der auf göttliche Verehrung im ganzen Reich Wert legt. Das Überbewundern der lauteren Gottesfurcht meint überaus hoch schätzen. Obwohl nicht davon die Rede ist, dass Pilatus größeren Widerstand befürchtet hätte, wenn er die religiösen Fanatiker im Stadion hätte umbringen lassen, könnte dieses Motiv bzw. die Unsicherheit darüber, wie viele Juden derart lauter gottesfürchtig waren, eine Rolle gespielt haben.

26. Disarmed by the submissive demeanour of the enemy he gave orders for the senate to be summoned.

[169] Πεμφθεὶς δὲ εἰς Ἰουδαίαν ἐπίτροπος ὑπὸ Τιβερίου Πιλᾶτος νύκτωρ κεκαλυμμένας εἰς Ἱεροσόλυμα εἰσκομίζει τὰς Καίσαρος εἰκόνας, αἳ σημαῖαι καλοῦνται. [170] τοῦτο μεθ' ἡμέραν μεγίστην ταραχὴν ἤγειρεν Ἰουδαίοις: οἵ τε γὰρ ἐγγὺς πρὸς τὴν ὄψιν ἐξεπλάγησαν ὡς πεπατημένων αὐτοῖς τῶν νόμων, οὐδὲν γὰρ ἀξιοῦσιν ἐν τῇ πόλει δείκηλον τίθεσθαι, καὶ πρὸς τὴν ἀγανάκτησιν τῶν κατὰ τὴν πόλιν ἄθρους ὁ ἐκ τῆς χώρας λαὸς συνέῤῥευσεν. [171] ὁρμήσαντες δὲ πρὸς Πιλᾶτον εἰς Καισάρειαν ἱκέτευον ἐξενεγκεῖν ἐξ Ἱεροσολύμων τὰς σημαίας καὶ τηρεῖν αὐτοῖς τὰ πάτρια. Πιλάτου δὲ ἀρνουμένου περὶ τὴν οἰκίαν πρηνεῖς καταπεσόντες ἐπὶ πέντε ἡμέρας καὶ νύκτας ἴσας ἀκίνητοι διεκαρτέρουν.
[172] Τῇ δ' ἑξῆς ὁ Πιλᾶτος καθίσας ἐπὶ βήματος ἐν τῷ μεγάλῳ σταδίῳ καὶ προσκαλεσάμενος τὸ πλῆθος ὡς ἀποκρίνασθαι δῆθεν αὐτοῖς θέλων, δίδωσιν τοῖς στρατιώταις σημεῖον ἐκ συντάγματος κυκλώσασθαι τοὺς Ἰουδαίους ἐν τοῖς ὅπλοις. [173] περιστάσης δὲ τριστιχεὶ τῆς φάλαγγος Ἰουδαῖοι μὲν ἀχανεῖς ἦσαν πρὸς τὸ ἀδόκητον τῆς ὄψεως, Πιλᾶτος δὲ κατακόψειν εἰπὼν αὐτούς, εἰ μὴ προσδέξαιντο τὰς Καίσαρος εἰκόνας, γυμνοῦν τὰ ξίφη τοῖς στρατιώταις ἔνευσεν. [174] οἱ δὲ Ἰουδαῖοι καθάπερ ἐκ συνθήματος ἀθρόοι καταπεσόντες καὶ τοὺς αὐχένας παρακλίναντες ἑτοίμους ἀναιρεῖν σφᾶς ἐβόων μᾶλλον ἢ τὸν νόμον παραβῆναι. ὑπερθαυμάσας δὲ ὁ Πιλᾶτος τὸ τῆς δεισιδαιμονίας ἄκρατον ἐκκομίσαι μὲν αὐτίκα τὰς σημαίας Ἱεροσολύμων κελεύει.

Handelten die Bedrohten verzweifelt? Oder gar listig?
Welche Motive könnten die Befehlshaber geleitet haben?
Camillus wird als Vorbild dargestellt. Ob er den Gedanken hatte, dass Rom durch wohlwollende Behandlung der Tuskulaner umso zuverlässigere Verbündete bekäme? Ob er Blutvergießen verhindern wollte? Dies schien im Alten Rom kein hohes Ziel gewesen zu sein. Wie dagegen Verbündete bzw. Unterworfene „zur Räson gebracht“ werden können, dafür hatte Rom schon das Sprichwort „Mögen sie uns hassen, solange sie uns nur fürchten!“  Könnte Mitleid mit so freundlich entgegenkommenden Menschen eine Rolle gespielt haben? Berichtet wird nur von der erwähnten wahren Waffe und den wahren Kräften der Feinde: patientia. (Mit patientia meint Livius offenbar nicht nur das Hinnehmen von Schlägen, sondern auch ein aktives Handeln, das kraftvoll wie eine Waffe wirkt.)
Die Römer waren aus Erfahrung sehr überzeugt von der Wirksamkeit ihrer Militäreinsätze. Ob Pilatus den Gedanken hatte, seine Herrschaft könnte anschließend weniger leicht aufrecht zu erhalten sein, wenn er die Gottesfürchtigen töten ließe? Immerhin riskierte Pilatus bei Nichtdurchsetzen seines Vorhabens Ärger mit Kaiser Tiberius in Rom, der auf göttliche Verehrung im ganzen Reich Wert legte. Aber hätte es dem Kaiser gefallen, wenn er sein neues Amt mit einem Massenmord begonnen hätte? Berichtet wird nur: Er überbewunderte, schätzte übermäßig hoch das Lautere der Gottesfrucht der Unterworfenen.

Montag

Jerusalem im Jahre 26 n.Chr.

Jerusalem im Jahre 26 n.Chr. Josephus Flavius berichtet von einem Ereignis, an dem „Tausende von Juden” beteiligt waren (Bell. II,9,171f). Es ging um die verpönten Bilder des „Gott-Kaisers” in Rom, die Pilatus nächtens nach Jerusalem hatte bringen lassen, um die Juden zu dessen Verehrung zu veranlassen:
„Die Juden erhoben sich gegen Pilatus in Caesarea, um ihn zu bitten, die Bilder aus Jerusalem zu entfernen [...] Da Pilatus sich weigerte, lagerten sie sich um sein Haus und blieben dort fünf Tage und fünf Nächte. Am sechsten Tag begab sich Pilatus vor sein Tribunal im großen Stadion und rief das Volk unter dem Vorwand zusammen, auf sein Begehren antworten zu wollen; den bewaffneten Soldaten gab er den Befehl, die Juden zu umzingeln. Als die Juden sahen, wie die Soldaten sie mit einem dreifachen Ring umgaben, blieben sie vor diesem unerwarteten Schauspiel stumm. Pilatus, nachdem er ihnen erklärt hatte, er wolle sie töten lassen, falls sie das Bildnis des Kaisers nicht anerkennen würden, gab den Soldaten das Zeichen, ihre Schwerter zu ziehen. Doch die Juden warfen sich, wie auf einen gemeinsamen Befehl, auf die Erde und boten ihren Nacken dar, alle bereit, lieber zu sterben, als das Gesetz zu verletzen. Von diesem religiösen Eifer überwältigt [wörtlich: Das Lautere der Gottesfurcht überbewundernd] , gab Pilatus den Befehl, die Bilder aus Jerusalem zu entfernen.”

Falls Jesus von Nazareth nicht selbst dabei war, so hat er doch mit Sicherheit davon gewusst. Seine Seligpreisungen und die Worte zur Feindesliebe dürften davon beeinflusst sein. (Martin Arnold)

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