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Samstag

Standhaft bleiben

Die Tagung ist beendet, ein gutes Wochenende - und die Sonne scheint uns dazu. Wir gehen zum Abschluß in ein Cafè und stärken uns für die Heimfahrt. In lockerer Stimmung treten wir nach Kaffee und Kuchen wieder auf die Straße - und kollidieren fast mit einem PKW. Sehr rasant kommt er die enge Straße daher und fährt nur Millimeter an mir vorbei. In meinem Übermut gebe ich ihm einen leichten Klaps auf den hinteren Kotflügel.

Szenenwechsel - genau bekomme ich es nicht mit; jedoch steht auf einmal der Fahrer des PKWs direkt vor mir. Mit funkelnden Augen schaut er mich an; scharf fragt er: "Hast Du gerade auf mein Auto gehauen?" Eine gewisse geladene Stimmung schwelt in der Luft. Auch sein Beifahrer ist inzwischen ausgestiegen und beobachtet die Szene. Mitten auf der kleinen Kreuzung stehen wir, mein Gegenüber in herausfordernder Haltung. Ich bleibe klar und fest stehen, bewege mich nicht, und sage nur einfach: "Ja."
Ein dunkles Auto kommt herangeschossen. Der Fahrer stellt den Motor ab, lehnt sich in die offene Türe und meint mit unverkennbarem Unterton: "Was ist los? Machen wir ihn fertig?"
Er macht durchaus den Eindruck, daß er mit Schlägereien einige Erfahrung hat. Ich sehe ihn an, ganz ruhig, ohne etwas zu sagen. Ich sehe auch nochmal die anderen an. Mein Gegenüber sagt einige weitere scharfe Worte gegen mich, doch dann wendet er sich wieder zu seinem PKW und sie fahren ab - das andere Auto hinterher.

Ich habe ihnen zu wenig entsprechende Gegenreaktionen gezeigt, an denen sie sich hätten abreagieren können. Die Wut lief einfach ins Leere. Als die Autos weg sind, fangen mir ordentlich die Kniee an zu schlottern.


(Quelle: Andreas Riehm)

Plakate kleben

An einem Freitag Abend ging ich mit Bert Plakate auf die Reklameflächen in der Stadt kleben. Irgendwann, es war noch hell, näherten wir uns der Nordbrücke. Ich sah dort drei Jungen herumhängen und war gespannt, ob wir unsere Plakate an der Reklamefläche dort ungestört aufhängen könnten. Wir hielten an, aber die Jungen nahmen kaum Notiz von uns. Bert konnte in Ruhe die beiden Plakate aufkleben. Einige Jungen lasen, was darauf stand. Ich machte einem gegenüber noch eine Bemerkung: "Wenn Du auch Lust hast mitzufahren (mit dem Fahrrad)..."
Denn die Plakate kündigten Fahrraddemonstrationen durch verschiedene Viertel in der Stadt an. Aber er zog eine ablehnende Mine und drehte sich um.

Als wir schon fast weggehen wollten, kam ein Junge hinzu, der auch etwa 14 oder 15 Jahre alt war. Er hatte einen langen Stock mit einem Haken dran. Den steckte er nun ganz bedächtig unter das Plakat gegen die Reklamefläche drückte ihn und langsam nach oben, sodaß das Plakat entzwei gerissen wurde. Er wollte uns offensichtlich ärgern. Ich appelierte an ihn: "Mach das doch nicht! Warte wenigstens, bis wir weg sind, sonst ist es so frustrierend für uns."
Dies hatte keine Wirkung. Langsam schob er den Haken weiter nach oben.
Dann fing ich mit einem dicht neben ihm stehenden Jungen an zu sprechen: "Schau mal, er genießt es richtig. Er findet das schön. Siehst Du, er strahlt richtig. Sein Gesicht leuchtet davon."
Das sagte ich mit einem lächelnden Gesicht, als ob ich es mit ihm genoß. Der Junge schob den Haken nicht weiter; er schaute eben in meine Richtung und zeigte sogar einen Augenblick lang eine Neigung zu lächeln. Mit seinem Haken zog er das halbzerrissene Plakat wieder schön gerade auf die Reklamefläche. "Das finde ich sehr nett von Dir," sagte ich.
Er drehte sich um und lief weg - ebenso ruhig, wie er gekommen war.



(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion 91/92, S. 35)

Streit ums Fernsehprogramm

Ich arbeitete als Sozialarbeiter in einer neugegründeten Wohngemeinschaft, in der sehr verwahrloste Jugendliche einen neuen Halt finden sollten.
An einem trüben Tag gerieten zwei Jugendliche in Streit, weil jeder ein anderes Programm im Fernsehen anschauen wollte. Ich selbst war gerade in einem anderen Raum. Plötzlich bekam der eine einen Wutanfall und warf das Fernsehgerät zum Fenster hinaus. Durch den Knall aufgeschreckt, rannte ich hinüber. Als ich erzählt bekam, was los war, schaute ich zuerst gleich zum Fenster hinaus. Gott sei Dank war das Gerät niemandem auf den Kopf gefallen.

Dann fragte ich den Burschen - 1,80 groß und viel stärker als ich - ob er verrückt geworden sei. Ich verlangte von ihm, daß er die Glassplitter aufkehren sollte. Er weigerte sich. Mittlerweile waren alle zehn Jugendliche im Raum versammelt und standen neugierig hinter ihm, um zu sehen was passieren würde. Er stand mir gegenüber und wurde in seinen Worten immer aggressiver. Ich merkte: wenn mir jetzt nichts einfällt, dann schlägt er zu. Da kam mir der rettende Einfall. Ich sagte zu dem langen Kerl: "Ich verstehe, Du kannst das bei Deiner schwachen Gesundheit nicht machen."
Und wandte mich an den Kleinsten: "Vielleicht kannst Du das für Ihn machen?"
Die Reaktion: der Lange brach in ein brüllendes Gelächter aus und die ganze Gruppe lachte mit. Der Kleine fing an zu kehren; doch nach einer Weile nahm der Lange ihm den Besen ab und kehrte selbst weiter. Die Situation war entspannt.



(Quelle: Fritz Karas, Köln)

Der clevere Polizist

Ein Polizeiinspektor war in der Stadt unterwegs, der berühmt war wegen seines speziellen Talents, kritische Situationen auf ungewohnte Weise zu lösen. Er war gerade damit beschäftigt, einen Strafzettel für eine unbedeutende Verkehrsübertretung auszustellen, als er eine feindselige Zusammenrottung um sich herum bemerkte. Nachdem er seine offizielle Aufgabe erledigt hatte, war die Stimmung unter den Umstehenden drohend. Es war dabei überhaupt nicht sicher, ob er zu seinem Patrouillewagen zurückkehren könnte.

In dieser Situation bekam er den erleuchtenden Einfall. Mit lauter Stimme verkündete er:
"Sie haben soeben der Ausstellung eines Strafmandats durch einen Polizeibeamten beigewohnt."
Während die Umstehenden sich noch angestrengt gaben, den tieferen Sinn dieser unsinnigen Erklärung zu ergründen, stieg er in seinen Wagen und fuhr weg.



(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion91/92, S. 30)

Unerwartete Reaktion

Seit Monaten arbeite ich an einer Sammlung gewaltfreier Aktionen. Ich habe mich ganz in diese Haltung hineingedacht und hineingefühlt. Mit allen meinen Gedanken bin ich dabei. So kommt es mir eines abends gar nicht zu Bewußtsein, daß ich mich in einer gefährlichen Situation befinde: der Gang alleine als Frau durch eine ziemlich dunkle Seitenstraße.
Ich betrete eine Telefonzelle und führe ein erfreuliches Telefonat. Auf einmal wird die Tür aufgerissen. Eine Horde Randalierender steht vor mir, angetrunken, in schwarzer Kleidung mit viel Metall an den Lederjacken. Sie haben kahlrasierte Schädel, von denen ihnen oben die Haare zu Berge stehen; Nadeln sind in den Ohren zu sehen, und sie tragen Schlagringe und -ketten.
"Wird das Scheißhaus endlich frei?" brüllt der an der aufgerissenen Tür und schwingt drohend eine Bierflasche gegen mich.
Die Stimmung, in der ich mich befunden habe, ist so stark, daß ich mich auch jetzt nicht aus der Fassung bringen lasse. Strahlend wende ich mich zu dem Grölenden und sage ganz unbefangen und mit ruhiger Herzlichkeit: "Ja, gleich. Ich bin bald fertig. Prost."
Verblüfft bleibt ihm der Mund offenstehen, die Bierflasche trudelt ins Leere und die Tür fällt zu. Ich sehe die jungen Leute die Straße runterschlurfen; da ist irgendwie die Luft raus.
Im Nachhinein hab' ich überlegt, womit ich das eigentlich bewirkt habe. Wie gesagt: ich war allein, keine Vorsätze, keine besonderen Machtmittel. Ich denke, es kam daher, daß ich unerwartet reagiert und mich nicht auf Drohungen eingelassen hatte. Das Gewaltmuster griff dadurch nicht und lief ins Leere.