Posts mit dem Label Gruppe werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Gruppe werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag

"Ihr bösen, bösen Jungs!" Alte Dame rettet verschleierte Frau

In meiner Jugendamtszeit hatten wir mal Fortbildungen bei einem Anti-Gewalt-Trainer, seinen Namen habe ich vergessen.

Er hat uns erzählt, wie er in Berlin mit der S-Bahn gefahren ist,
in der eine verschleierte Frau gesessen hat,
die von rechten Jugendlichen angemacht und bedroht wurde,
Er hat sich überlegt, wie er der Frau helfen kann
und wollte sie an der nächsten Station spontan mitnehmen und aussteigen,
als eine alte Dame mit ihrem Stock oder Schirm auf die rechten Jugendlichen los ging
und rief: "Ihr bösen, bösen Jungs!"
Die Jugendlichen grinsten, entfernten sich und suchten sich einen Platz
und die gespannte Situation war entspannt.
von Dagmar G.

Freitag

Wien 1945: Russische Soldaten verhalten sich menschlich.

 Wien war bombardiert worden, der Krieg verloren, die Russen marschierten ein. Und sie hatten das Recht des Siegers, das Recht, sich alles zu nehmen, nicht nur Hab und Gut, auch Frauen. Sie gingen von Haus zu Haus. Auf Geheiß meines Vaters gingen meine Mutter und die anderen Frauen im Haus in den Keller. Er selbst schloss die Haustür nicht ab. Wie bei den anderen Häusern stießen die Soldaten mit den Gewehrkolben gegen die Tür, wohl in der Erwartung, sie auf diese Weise öffnen zu müssen. Mein Vater jedoch erwartete sie und öffnete die Tür. Er hatte kein Russisch gelernt. Die Gewehrläufe, die sich sofort gegen ihn richteten, schob er langsam zur Seite und lud die Männer mit einer Geste ein, einzutreten. Das war für die russische Kampftruppe offenbar eine völlig neue Erfahrung. Sie traten ein, vermuteten jedoch zunächst eine Falle. Mit vorgehaltenem Gewehr gingen sie in alle Zimmer. Mein Vater lud sie ein, sich zu setzen. Das taten sie, als sie merkten, dass sie nicht bedroht wurden. Dann holte er die Frauen aus dem Keller und alle saßen mit den Männern zusammen. Die Soldaten taten niemandem etwas zu Leide. Als sie gingen, blieb einer von ihnen noch an einer Ikone, die bei uns an der Wand hing, stehen. Er sagte: „Ja Chrestianin“ das heißt auf Russisch: Ich bin Christ.

Später kamen noch weitere Soldaten zu uns. Da gab es teilweise sehr schwierige Situationen.
So schützte mein Vater die bedrohten Frauen einerseits, andererseits war er bemüht, die Soldaten aus ihrer Haltung der Feindschaft und Angst herauszuholen. Er war bereit, dafür sein Leben einzusetzen.

Späte Gerechtigkeit für die „Neun Freunde von Rock Hill“

Rehabilitation von US-Bürgerrechtskämpfern in South Carolina nach 54 Jahren

X Rock Hill, Süd-Carolina. Ein Richter in Rock Hill, South Carolina hat am 27. Januar 2015 das Urteil gegen neun schwarze Männer aufgehoben, die 1961 wegen eines SitIns in einem Speiselokal für Weiße eingesperrt worden waren.

54 Jahre, nachdem sie wegen ihres Anti-Rassentrennungs-Protests in der einstigen Textilverabeitungsstadt kamen die 9 Afroamerikaner – auch bekannt als die 9 Freunde – in ihrer Sonntagskleidung erneut zum Gericht, als ob der Richter sie erneut verurteilen wolle. Ein Mann ging am Stock, ein anderer saß im Rollstuhl. Einige waren dicker als damals und einige hatten weniger Haar als bei ihrer Inhaftierung 1961, als sie zu 30 Tagen Zwangsarbeit im Strafvollzug des Stadtgefängnisses verurteilt wurden.

Das Gericht kam damals zusammen. Der Richter verlas ihre Namen. Jeder stand auf oder hob die Hand, als er aufgerufen wurde. Jedes Gesicht war ernst. „Angeklagt des Hausfriedensbruchs“ sagte der Richter nach jedem Namen. Urteil: „Schuldig“. Strafe: 100 $ oder 30 Tage. Haft.

Aber an diesem Tag im Jahr 2015 beantragte die Staatsanwaltschaft von South Carolina, die Einträge im Strafregister zu löschen und die Urteile wegen Hausfriedensbruchs aufzuheben.

New York Times, 28.01.2014

Siehe auch, Bericht und Video:
http://www.nytimes.com/2015/01/29/us/south-carolina-court-clears-friendship-nine-in-1961-sit-in.html

Samstag

Die Rowdies respektieren sie

  Bei einer denkwürdigen Gelegenheit, als das jährliche Treffen der Antisklaverei-Gesellschaft in New York stattfand, wurde die Veranstaltung von einigen Rowdies gestört. Einige der VertreterInnen wurden sehr rauh behandelt von der Menge, als sie den Saal verließen. Als Lucretia Mott dies bemerkte, bat sie ihren Begleiter, sie zu verlassen, und einigen anderen Frauen zu helfen, die in Bedrängnis waren.
  "Aber wer passt auf Dich auf?", fragte er.
  "Dieser Mann", sagte sie, und legte ganz ruhig ihre Hand auf den Arm von einem der gefährlichsten des Mobs. "Er wird mich in sicherer Art durchbringen."
  Derart vor den Kopf gestoßen durch so viel unerwartetes Vertrauen reagierte der Mann, indem er sie rücksichtsvoll durch diesen Tumult an einen sicheren Ort geleitete.
  Am nächsten Tag ging sie in ein Restaurant in der Nähe des Versammlungsortes und erkannte den Anführer des Mobs an einem der Tische. Sie setzte sich zu ihm und kam ins Gespräch mit ihm. Als er den Raum verließ, fragte er einen Mann an der Tür, wer diese Frau sei. Als er ihren Namen hörte, bemerkte er:   "Ja, sie ist eine gute, feine Frau."



(Quelle: aus: Victories Without Violence, compiled by A.Ruth Fry, Santa Fee 1986, S.29f)

Gruppen - Treffen

  Freitag Abend, die Jugendkneipe des Brückenhaus e.V. ist wieder gut voll. Von Ehrenamtlichen wurde sie eingerichtet und jetzt betrieben, die hier in zwei Stadtteilen zusammen mit dem Sozialarbeiter sowohl mit ausländischen als auch mit rechtsorientierten Jugendlichen arbeiten. Gerade letztere treffen sich ganz gerne hier. Schon öfter mal kam es da zu einzelnen Zwischenfällen verschiedener Art; doch verliefen sie zumeist glimpflich. Aber so gespannt wie an diesem Freitag abend war es noch nie.
  Vor dem Haus hatten sich 40 Leute versammelt - sogenannte Linke. Sie waren zum Teil vermummt, trugen einige Stangen und Schläger bei sich, die sie einem Metallzaun entwendet hatten; und auch das Gerücht ging um, sie hätten Molotow-Cocktails dabei. Sogleich waren die Jungs in der Kneipe in Alarmbereitschaft. Sie bedienten sich bei einem nahegelegenen Container und versorgten sich mit allerlei Metallbrocken als Bewaffnung. Die Stimmung war geladen.
  Da griffen die anwesenden Ehrenamtlichen ein. In guter und schneller Reaktion baten sie zunächst alle "ihre" Leute, wieder ins Haus zu kommen; ein breitschultriger stellte sich dann in die Türe, um sie zu versperren. Damit war schon mal eine erste Konfron-tationsmöglichkeit verhindert, indem die Gruppen ganz klar getrennt waren.
  Nun wagte es einer der Ehrenamtlichen und ging hinaus direkt auf die Gruppe der Linken zu:
  "Ich bin der Vertreter des Brückenhaus e.V.; und wer ist Euer Vertreter?"
  Das überraschte; das lehnten sie erst mal ab:
  "Nein, wir haben keinen Vertreter; das brauchen wir doch nicht."
  Nach einigem zögerlichen Überlegen gab es dann doch einen. Nun war eine Grundlage für eine erste Diskussion geschaffen.
  "Wißt Ihr, was das Brückenhaus ist und was wir da machen?", fragte der Ehrenamtliche aus der Kneipe.
  "Ja", antwortete die andere Seite sehr schnell. "Ihr habt da die Faschos drin; und also seid ihr auch für die."

  Erst später wurde uns nochmal deutlich, daß dies die allgemeine Überzeugung bei den Linken bzw. Autonomen des Stadtteils war, obwohl wir im Rahmen unserer akzeptierenden Jugendarbeit sicher ganz anderes machen. Unser Standpunkt ist politisch gerade nicht rechts.
  Nach einigem Wortwechsel dieser Art wurde die Situation allerdings noch einmal verschärft. Ein paar Jugendliche, die in die Kneipe wollten, kamen von außerhalb dazu. Sie waren nun als neue Gruppe da draußen. Und nun wollte einer von den Linken rein ins Haus und mit denen drin diskutieren. Allerdings waren nun schon einige ausfällige Attacken verbaler Art zu hören. Ob das gut geht?
  Es war wohl auch eine gute Portion Glück, daß nichts ernsthaftes passierte. Denn nach einiger Zeit kamen nun doch etwa 10 der Linken in die Kneipe; die anderen hatten sich inzwischen verzogen. Und auch hier reagierten die ehrenamtlichen Mitarbeiter wieder sehr geschickt: Mit Eimern gingen sie herum und sammelten vor dem Zusammenkommen auf beiden Seiten alle Waffen ein.
  Im Folgenden blieb es ruhig, wenn auch mit heftigen Diskussionen. Am Ende stand die Vereinbarung, sich in den nächsten Tagen noch einmal zu einer geordneten Diskussion zu treffen, an der auch türkische Jugendliche teilnehmen sollten. Sie fand statt - und war ein voller Erfolg!



(Quelle: Martin Lempp, Kirchheim/Teck)

Der Dritte Weg

  Martin Luther King vermittelte diesen Dritten Weg Jesu (die Gewaltfreiheit, d.Red.) so an seine Anhänger, daß er zur ethischen Grundlage der gesamten Bürgerrechtsbewegung werden konnte.
  Eines Abends, als Selma in Alabama das Zentrum der Bürgerrechtskämpfe war, stand eine riesige Menschenmenge aus schwarzen und weißen Aktivisten vor der baptistischen Ebenezer-Kirche. Die Nachricht, die ein schwarzer Bestattungsunternehmer aus Montgomery mitbrachte, schlug in ihre Versammlung ein wie ein Blitz. Er berichtete, wie an diesem Nachmittag nahe beim Kapitol berittene Polizisten in eine Gruppe schwarzer demonstrierender Studenten hineingestürmt waren und die Demonstranten zusammengeschlagen hatten. Zwei Stunden lang hatten die Polizisten sodann die Krankenwagen daran gehindert, zu den Verletzten vorzudringen. Unser Informant war der Fahrer eines dieser Krankenwagen. Er war sofort nach Selma gefahren, um uns davon zu unterrichten, was geschehen war.
  Die Menge vor der Kirche kochte vor Wut. Der Ruf "Losmarschieren!" wurde immer lauter. Hinter der Menge, auf der anderen Straßenseite, standen die Staatstruppen von Alabama und die lokalen Polizeikräfte mit Sheriff Jim Clark in Alarmbereitschaft. Die Lage war explosiv.
  Da ging ein junger schwarzer Pfarrer zum Mikrophon und sagte:
  "Es ist Zeit, daß wir ein Lied singen."
  Er begann mit der Verszeile:
  "Liebt ihr Martin Luther King?"
  Diejenigen, die das Lied kannten, stimmten in den Refrain ein:
  "Sicherlich, sicherlich, sicherlich, Herr!"
  Dann ging er alle Führergestalten der Bürgerrechtsbewegung durch. Die Menge erwärmte sich mehr und mehr für das Lied und beantwortete jeden Vers:
  "Sicherlich, sicherlich, sicherlich, Herr!"
  Ohne Vorwarnung sang der Pastor plötzlich:
  "Liebt ihr Jim Clark?" - das war der Sheriff!
  "Si...cherlich, Herr!", kam das zögernde, verebbende Echo.
  "Liebt ihr Jim Clark?", wiederholte der Pfarrer.
  "Sicherlich, Herr!", tönte das Echo schon lauter.
  "Liebt ihr Jim Clark?".
  Mittlerweile war der Groschen gefallen:
  "Sicherlich, Sicherlich, Sicherlich, Herr!"
  Dann ergriff Pfarrer James Bevel das Mikrophon.
  "Wir kämpfen nicht nur für unsere Rechte", sagte er, "sondern für das Wohl der gesamten Gesellschaft. Es reicht uns nicht, Jim Clark zu besiegen - können Sie mich hören, Jim? - , wir wollen Sie bekehren. Wir können nicht gewinnen, solange wir unsere Unterdrücker hassen. Wir werden sie lieben, bis sie sich verändern."
  Und Jim Clark veränderte sich wirklich. Als der Feldzug zur Wähler-Registrierung abgeschlossen war, merkte Jim Clark , daß er ohne die schwarzen Stimmen nicht wiedergewählt werden konnte. So begann er, schwarze Wähler zu hofieren. Später bekannte er sogar - wie ich meine, ehrlich - , daß er sich in seiner Einstellung gegenüber den Schwarzen geirrt hätte.



(Quelle: Walter Wink, Angesichts des Feindes - Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo, München 1988, S.82ff)

"Was passiert, wenn... ?"

  Wir hatten einen Überfall durch faschistoide Typen, und die Reaktionen der Frauen waren sehr unterschiedlich, von Sich-schüchtern-zurückziehen und Angst bis zur Bereitschaft zur energischen, notfalls handgreiflichen Gegenwehr, dazwischen bloßes Zuschauen oder auch Vermitteln-wollen. Bei der ersten Diskussion darum stellten sich starke Verunsicherungen der Frauen untereinander durch diese Gegensätzlichkeiten heraus; so hatten nicht nur die Schüchternen Angst, in eine Knüppelorgie hineingezogen zu werden, sondern auch die Kämpferischen hatten Angst, daß die anderen Frauen ihnen bei einer effektiven Gegenwehr in den Rücken fallen könnten... Wir haben gemerkt: so geht das nicht - daß die Angst voreinander wichtiger wird als die gemeinsame Bedrohung.
  So haben wir erst einmal - buchstäblich Tag und Nacht, denn die "Faschos" hatten gedroht, wiederzukommen und dann massiv zu werden - in Kleingruppen miteinander diskutiert und diese Ängste auf den Tisch gebracht. Wichtig war dabei von der Struktur her, daß die Kleingruppen jeweils aus Frauen der unterschiedlichen Haltungen zusammengesetzt waren. Grundlegend war auch, daß nicht aus der Situation allein heraus entschieden wurde, sondern von dem persönlichen Hintergrund her: Dadurch, daß sich die Frauen ihre jeweiligen Lebensgeschichten mitteilten und voneinander erfuhren, erarbeiteten sie eine Verständnisbasis für ihre verschiedenen Reaktionsweisen. Das ist ein Unterschied zu allen Entscheidungssituationen, die ich sonst kenne. Von diesem Hintergrund aus konnten die Frauen akzeptieren, daß sie verschiedene Formen haben, sich zu verteidigen.
  Daraus haben wir dann eine gemeinsame Strategie entwickelt. Also weder einen Einheitsplan, noch eine Bildung von "Blöcken", wie sonst üblich. Sondern ein gemeinsames Verteidigungskonzept, in dem die unterschiedlichen Verhaltensweisen ihren Platz hatten. Wo sich die verschiedenartigen Frauen - an ihrem Platz und auf ihre unterschiedliche Weise - unterstützten, Vertrauen hatten und gaben und sich bestärkten.
  Das haben wir dann im Rollenspiel geübt. Und zwar so, daß die Frauen, die die "Typen" spielten, uns voll signalisieren konnten, daß wir wirklich Kraft ausstrahlten. Als dann die Typen tatsächlich kamen zum Nachtüberfall, hat das alles funktioniert: Jede wußte, was sie zu tun hatte, die Geschlossenheit, die wir dadurch erzielten, hat die Angreifer abgehalten von ihrem Vorhaben und hat eine Prügelei verhindert.



(Quelle: Sonja Badura, Interview mit Birgit Berg, aus: Konsens, eine Broschüre, hrsg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, 1990, S.47)

Donnerstag

Versuch es!

Ein Student der Universität Tokio, der sich von Herzen wünschte, sein Leben für etwas Aufregenderes einzusetzen als dafür, seine Reisschale zu füllen, geriet in einen Abendgottesdienst. Dort sah er vor dem Altar etwas, das sein Leben in eine für ihn vollständig neue Richtung umlenken sollte. Ein kräftiger, halb blinder, aber sehr energischer und offenbar kenntnisreicher Mann in einem billigen schwarzen Anzug hatte gerade seine Rede beendet. Aus der ersten Reihe erhoben sich etwa zehn Rowdys, stürzten sich auf den Redner und schlugen ihm mit langen Bambusstöcken über den Kopf.

Aber statt Ärger oder Furcht zu zeigen, stand der Mann, der die Schläge abbekommen hatte, einfach da. Zur Verwunderung aller zeigte das Gesicht des Redners, obwohl Wangen und Stirn blutig waren, keine Veränderung im Ausdruck.
Nachdem die Angreifer ihre Stöcke hatten sprechen lassen, führte er die Gemeinde zum Gebet. Nach dem Amen lud er die Rowdys zu einem Gespräch in die Sakristei ein. Es dauerte nicht lange und sie entschuldigten sich.

Toyohiko Kagawa wurde nun zum neuen Helden des Studenten. Von da an widmete er sich der sich ausbreitenden kooperativen Bewegung und nicht mehr dem Kommunismus.
„Wie oft standest du im Shinkawa-Slum oder anderswo unmittelbar dem Sterben durch Pistole oder Schwert gegenüber?“ fragte ich Kagawa einmal. „Ein dutzend Mal?“
Er schmunzelte. Offensichtlich war es öfter gewesen.
„Hundert Mal?“
„Ja, vielleicht hundert Mal.“
Gefahren schienen ihm zu gefallen. Er fühlte eine solche Sicherheit in sich, dass er es sich leisten konnte, ohne äußere Sicherheit auszukommen.

Als Kagawa einundzwanzig gewesen war, hatte er an einem Weihnachtsabend seine Besitztümer, in der Hauptsache Bücher, auf eine Schubkarre geladen und hatte sie den schmalen, schmutzigen Weg zu seinem neuen „Zuhause“ gebracht. Es war ein Zimmer von etwa zwei mal drei Metern an einem der elendesten Orte der Welt. Um ihn herum wohnten Mörder, Schwachsinnige, Prostituierte, Verrückte und Trinker. Nachts waren die Wanzen so schlimm, dass er gezwungen war, humorvoll mit ihnen umzugehen. Als er entdeckte, dass sie sich gerne in kleinen Löchern aufhielten, ersann er ein Spiel. Bevor er schlafen ging, umgab er sich mit Holzklötzchen, in die er kleine Nischen gebohrt hatte. In diesen ließen sich seine Peiniger nieder und warteten dort auf die gute Mahlzeit, die sie einnehmen würden, wenn Kagawa erst einmal eingeschlafen wäre. Dann schüttelte Kagawa mitten in der Nacht die Holzklötze einen nach dem anderen über den Fußboden. Wenn die Wanzen wegrannten, zerquetschte er sie dort. Es waren ein- oder zweimal mehr als fünfzig.

Das Zimmer kostete fünf Cent am Tag. Es war darum so billig, weil auf dem Boden ein Fleck war. Dort hatte ein Ermordeter sein Blut vergossen und da sein Geist hätte lästig werden können, wollte niemand in dem Zimmer wohnen. Kagawa wusste nicht, ob es Geister gebe oder nicht. Das wäre eine gute Gelegenheit, das herauszufinden. Er schlief direkt über der Stelle mit dem Fleck. Wenn überhaupt irgendwo, dann wäre das der Ort, an dem der Geist erscheinen würde. Aber zunächst geschah nichts. Dann wachte der Schläfer unruhig auf, als wäre ein Fremder im Zimmer. Er öffnete die Augen. Im Gang stand ein betrunkener oder angetrunkener Gangster mit erhobenem Schwert. Kagawa sah, wie sich das Mondlicht in der Klinge spiegelte. Wenige Sekunden später würde sie ihm wahrscheinlich ins Fleisch fahren. Er kniete nieder und neigte sich im Gebet: Er erwartete den tödlichen Schlag. Einen Augenblick später sagte der Mann im Flur: „Kagawa, liebst du mich?“
„Ja“, sagte Kagawa.
Dann trat eine Pause ein. Die Stimme sprach weiter, dieses Mal von Nahem: „Hier ist ein Geschenk.“ Kagawa fühlte den Griff des Schwertes in seiner Hand, das der Mann, bei sich getragen hatte.

Einer der gefährlichsten Fälle war ein Alkoholiker. Er wohnte ein paar Türen weiter die Straße hinunter. Kagawa schrieb eine Kurzgeschichte. Er wollte sie verkaufen, um mit dem Geld Medizin für Kranke in der Gemeinde zu kaufen. Der Desperado kam in Kagawas Zimmer und wackelte am Tisch.
„Gib mir zwei Yen oder ich will den ganzen Tag lang an deinem Tisch wackeln.“
„Nein, einer reicht.“

Später verlangte der Mann, der inzwischen bei Kagawa wohnte, Geld für Schnaps. Kagawa wies die Forderung zurück. Der Mann schlug seinen Gastgeber heftig auf den Mund. Dabei schlug er ihm vier Vorderzähne aus und brach ihm vermutlich den Kiefer. Wenn sich Kagawa daran erinnerte, dann scherzte er mit seinen amerikanischen Zuhörern: „Darum spreche ich kein gutes Englisch. Die falschen Zähne wurden mir von einem japanischen Zahnarzt eingesetzt.“ Der Gangster schlief weiterhin auf dem Fußboden neben Kagawa und aß von seinem Reis.
Bei anderer Gelegenheit ging er mit dem Schwert auf Kagawa los. Das Trinken hatte ihn verrückt werden lassen. Diesmal sah es aus, als würde er ernst machen. Die Umstehenden schrieen: „Tu dem Lehrer nichts!“ Kagawa sagte ihnen, sie sollten aus dem Weg gehen. Das gehe nur ihn etwas an. Er wusste, dass das Schwert seines Nachbarn blutig war. Er wollte nicht, dass noch andere mit hineingezogen würden.

Als Junge hatten ihm Geschichten über Schwertkämpfe sehr gefallen. Er hatte oft das große Schwert seines Vaters geschwungen, wenn seine Pflegemutter gerade nicht hinsah. Er stand dann da wie ein Schwertkämpfer, einen Fuß vor dem anderen. Ohne zu lächeln oder zu sprechen – das würde seinen Gegner nur herausfordern – sah er dem anderen gerade und tief in die Augen, tief in etwas, das er vielleicht, wenn er die richtige Haltung einnähme, erreichen könnte. Jeden Augenblick könnte er einen scharfen Stoß in den Körper erhalten. Aber er stand fest und zwinkerte nicht. Etwa zehn Minuten lang waren, ohne dass sich die Körper bewegten, die beiden Willen in einen Kampf auf Leben und Tod aneinander gefesselt. Dann war der Kampf plötzlich vorbei. Sein Schwert schlenkerte wie ein dummes Spielzeug. Kagawas Gegner schlich sich davon.

Wenn Kagawa die Wahl der Waffen hatte, schien er gerne zu kämpfen. Einmal nahm er mit derselben Energie den Kampf mit tausend wütenden und gewaltbereiten Streikenden auf – und gewann. Als er am Sonntagmorgen den Gottesdienst in seiner Kirche in den Kobe-Slums abhielt, wiegelten einige Agitatoren die Arbeiter auf und nun marschierten sie die Straße hinunter geradewegs zu den Kawasaki-Docks. Sie wollten die Maschinen zerstören. An den Docks standen Hunderte mit Schwertern bewaffnete Polizisten, dazu Soldaten mit geladenen Gewehren. Wenn der Zug nicht abgedrängt werden könnte, würde ein schreckliches Gemetzel stattfinden.

Als Kagawa von der Situation hörte, brach er seinen Gottesdienst ab, warf sich in eine Rikscha – er konnte wegen seiner schwachen Lunge nicht den ganzen Weg rennen – und sprang gerade noch rechtzeitig am Ende einer abfallenden Straße wieder aus der Rikscha heraus. Die Streikenden kamen mit der Kraft eines Gebirgsflusses auf ihn zu und skandierten „Waschu! Waschu!“
Kagawa stand ihnen allein gegenüber. Jahre später erzählte er mir: „Als die ersten Reihen dort ankamen, wo ich stand, sah ich jedem Einzelnen gerade in die Augen und betete: ‚Gib uns Frieden!’ Mein Gebet wurde erhört, denn sie ließen sich aufhalten. Da war ich mit meiner Seele im Frieden. Danach wusste ich plötzlich, dass ich auf der Seite Gottes war.“

Die Streikenden bogen in eine Seitenstraße ein und ließen die Docks unbehelligt. Kein einziger Schuss fiel. Die Gewerkschaft war gerettet. Ihr Ratgeber jedoch wurde ins Gefängnis gesperrt.
Die Wärter versuchten Kagawa zu demütigen, indem sie ihn zwangen, einen Frauenkimono zu tragen. Aber er reagierte nicht auf die Beleidigung, sondern schrieb Gedichte auf Toilettenpapier. Einige davon kann man jetzt in seinem Buch „Songs From the Slums“ lesen.

Als Japan widerrechtlich die Chinesen angriff, schrieb er ein Gedicht, in dem er diese um Vergebung bat. Auch auf andere Weise legte er deutlich Zeugnis für seine Einstellung gegen das Kriegssystem ab. Weniger als zwei Jahre vor Pearl Harbor wurde er länger als zwei Wochen eingesperrt, weil er gegen den Militarismus protestiert hatte. Gegen die Mücken verteidigte er sich sehr erfindungsreich: Er zog sich den Mantel über den Kopf und ließ nur die Nasenlöcher frei. Er versteckte seine Hände, setzte sich auf den Boden, lehnte sich an die Wand und meditierte zwei Tage und Nächte lang fast ununterbrochen. Als er bemerkte, welchen Weg die Zivilisation einschlug, war er zuerst „enttäuscht“. Dann fühlte er sich allmählich auf die Ebene unwiderstehlicher Freude der Gegenwart Gottes erhoben.

Einige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste er in die etwa hundertfünfzig Kilometer nördlich von Tokio gelegenen Wälder fliehen. Fanatische Nationalisten hatten seine Exekution gefordert, weil das Gerücht umging, dass die Amerikaner, wenn sie Japan einnähmen, Kagawa zum Premierminister machen würden.
Nach dem Krieg verbrachte er die Hälfte seiner Zeit damit, Sozialprogramme zu leiten, und die andere Hälfte damit, Menschen in Japan für seine Grundüberzeugung zu gewinnen:
„Die Liebe ist ein Macht“, sagte er. „Versuch es! Versuch es!“ Er hatte es getan.

Aus dem Buch: 
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.








Das Abi-Scherz Verbot, ein Gütekrafterlebnis

„Mein Gütekrafterlebnis“ von Kristin Ideler:

Der Abi-Scherz und die damit verbundene Feier der Abiturienten mit der gesamten Schule, hatte an meinem ehemaligen Gymnasium, wie auch an den meisten anderen Schulen, eine besondere Tradition.
Doch vor einigen Jahren, als wir einen neuen, sehr autoritär veranlagten, Direktor bekamen, verbot dieser einfach den Abi-Scherz mit der Begründung, das dass Sommerhalbjahr sowieso schon so kurz ist und der Abi-Scherz ja sowieso nur eine blöde Party ist, die die Schüler vom Lernen abhält. Sofern die Abiturienten seine Anweisung nicht beachten würden, drohte er mit dem Einbehalt der Abiturzeugnisse.

Nun gab es zwei Möglichkeiten, entweder man nimmt diese Einschränkung hin und wartet darauf, was der neue Direktor als nächstes verbieten möchte, oder man zeigt ihm, dass auch die Schülerschaft ein Mitbestimmungsrecht hat, wenn es darum geht die eigene Schulzeit mitzugestalten.
Vor allem die Abiturienten fingen nun an dem Direktor Paroli zu bieten. Denn sie betraf diese Ungerechtigkeit ja besonders. Sie hatten in den letzten Monaten gelernt, gelernt und noch mal gelernt und alle Prüfungen hinter sich gebracht und nun wollte man sie um ihre Belohnung bringen. Zumal alle Abiturjahrgänge zuvor den Abi-Scherz ohne Probleme und mit allseitiger Begeisterung veranstalten konnten.

Der erste Schritt war ein Gespräch mit dem Direktor. Man wollte ihm zeigen, wie wichtig der Abi-Scherz für die Schulgemeinde ist und das man ihn nicht einfach abschaffen kann. Doch der Direktor ließ sich in keinster Weise überzeugen und wurde sogar noch wütend, weil er dachte, dass man seine absolute Autorität anzweifelte.
Da das Gespräch gar nichts gebracht hatte, wurde eines Morgens eine Sitzblockade veranstaltet, um den Direktor so zu überzeugen. Mehr als ein Drittel der Schüler beteiligten sich. Und so war nicht nur fast das ganze Treppenhaus blockiert, sondern es konnte de facto auch kein sinnvoller Unterricht stattfinden.
Doch auch jetzt war der Direktor noch nicht zum Einlenken bereit, auch wenn sogar die Lehrer ihm teilweise rieten, sein Verbot des Abi-Scherzes wieder aufzuheben, weil es die sinnvollste Lösung wäre.
Doch nun kam ein weiterer Faktor hinzu, der den Direktor schließlich zum Einlenken bewegen sollte, allein schon die „Drohung“ die regionale und überregionale Presse sei informiert und werde bald eintreffen, bewirkte ein Aufweichen seiner Position. Als dann der erste Reporter da war, gab er seine Position ganz auf.

Seitdem ist der Abi-Scherz an meiner ehemaligen Schule wieder Tradition. Und es gab nie wieder Probleme damit.

Eine alte Frau rettet einen jungen Chinesen, ein Gütekraftbericht

"Vor drei Jahren wollten fünf Ausländer auf dem Fronhauser Markt in Essen einen kleinen Chinesen oder Koreaner hauen. Ich saß im Bus und konnte es beobachten. Die fünf haben ihn geschubst, angespuckt und geohrfeigt. Bis eine alte Frau kam und sich dazwischen gestellt hat. Sie fuchtelte, als sie hinzukam, mit ihrem Regenschirm. Sie fing an, mit ihrem Regenschirm zu hauen und die fünf Ausländer versuchten sich zu schützen mit den Armen am Kopf. Sie rief etwas, was ich nicht verstehen konnte. Da haben die fünf ganz doof geguckt und sind abgehauen.
Ich fühlte mit dem Chinesen (oder Koreaner) mit, dass es einfach feige und respektlos ist, mit fünf auf einen. Ich habe mich gewundert, dass eine Alte Frau dem Chinesen (Koreaner) geholfen und die fünf Ausländer verscheucht hatte."

Džavid Karalic (Berufsschüler in Essen, aufgeschrieben am 20.6.01, mit Veröffentlichung einverstanden)