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Donnerstag

Larzac: Das Land zum Wohle der Menschen erhalten, statt dass auf ihm Menschen lernen, andere Menschen zu töten

Im Larzac, einer Hochebene hundert Kilometer nördlich von Montpellier, wollte die französische Regierung in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Truppenübungsplatz erheblich erweitern. Die Region lag einigen Leserinnen und Lesern vielleicht schon einmal auf der Zunge: in Gestalt des würzigen Roquefort-Käses. Er wird aus Schafsmilch gewonnen und in Höhlen des Berges Combalon nahe dem Ort Roquefort zum Reifen gebracht.

Durch die Pläne der Zentralregierung, die auf Enteignung der Felder und des Weidegeländes hinausliefen, fühlten sich die Farmer in ihrer Existenz bedroht. Einige schon zum zweiten Mal in ihrem Leben. Hatten sie doch nach der Unabhängigkeit Algeriens dort ihre Farm verloren und sich im Larzac eine neue Existenz aufgebaut.

Inspiriert durch Lanza del Vasto, der eine Zeit lang Mitstreiter Gandhis in Indien war und nach dem Zweiten Weltkrieg in Südfrankreich die Gemeinschaft der Arche gestiftet hatte, entwickelte die verschworene Gemeinschaft von 103 Farmern eine mit bäuerlicher List gepaarte, gewaltfreie Widerstandsstrategie. Ganz Frankreich lachte über die Schafe aus dem Larzac, die, bei Nacht und Nebel nach Paris verfrachtet, auf dem Marsfeld unter dem Eiffelturm grasten. Die Hauptstadt-Polizisten hatten ihre liebe Not mit den dort nicht vorgesehenen Viechern, derweil die Larzac-Bauern in den umliegenden Bistros saßen und sich ins Fäustchen lachten. Die Medien hatten eine gute Story und verhalfen dem Kampf des Larzac zu landesweiter und internationaler Aufmerksamkeit und Sympathie. Das Hochplateau des Larzac wurde schließlich im Sommer 1974 zu einer Pilgerstätte für Hunderttausende von Franzosen und anderen Westeuropäern, viele auf der Suche nach alternativen Lebens- und Gesellschaftsentwürfen. Die Aktionen der Larzac-Bauern und ihrer Verbündeten waren fantasievoll, witzig und tiefgründig. Sie pflügten Felder um, die bereits durch die Zentralregierung enteignet worden waren, säten und ernteten darauf Getreide. Das waren zwar Akte des zivilen Ungehorsams, aber die Polizei wagte nicht dagegen vorzugehen, nachdem der Widerstand des Larzac bereits zur nationalen Legende geworden war.

An ihr kam niemand vorbei, der im links-alternativen Lager etwas werden wollte – auch eine Art von Machtentfaltung. So hielt es der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, Francois Mitterand, für ratsam, auf dem Hochplateau des Larzac zu erscheinen und zu versprechen, er werde als Präsident die Militärpläne stoppen.

Und er hat Wort gehalten. Für ihn war das – anders als später bei dem deutschen Verteidigungsminister Scharping in der Kyritz-Ruppiner Heide – eine Frage der Ehre. Am 10. Mai 1981 wurde Mitterand zum Präsidenten gewählt, am 3. Juni 1981 bestätigte die neue Regierung Mauroy offiziell den Verzicht der République française auf das Erweiterungsprojekt.

(nach einem Bericht von Roland Vogt)

Freitag

Der Dieb mit dem Messer

In Frankreich gibt es eine Lebensgemeinschaft in der Tradition Gandhis, die Arche (gegründet 1948 von Lanza del Vasto). Ein deutscher Praktikant dort beobachtete auf dem Markt der nahen Kleinstadt, wie jemand einer Frau das Portmonee aus dem Rucksack entwendete. Er ging dem Dieb nach, musste sich lange durch das Marktgedränge schlängeln, dann stand er ihm gegenüber und bat um das Portmonee. Da zog der andere ein Messer und bedrohte ihn. Daraufhin sagte der Deutsche: "Moi - non-violent - - portemonnaie!" ("Ich - gewaltfrei - - Portmonee"), mehr brachte er an Französisch nicht heraus, und er hob seine beiden Hände neben sich in Adoranten-Haltung mit den Handflächen zum Gegenüber. Da gab ihm dieser das Portmonee.

(Nach dem Bericht dieser Frau, einer Bewohnerin der Arche La Fleyssière, aufgeschrieben von Martin Arnold im Juni 2002)

Samstag

Das Gewissen des Wachmanns

  Es geschah einmal in Deutschland während des Krieges in einem Gefangenenlager. Das Leben der Gefangenen war hart. Sie hatten Hunger und litten unter der Kälte und den Anstrengungen der Zwangsarbeit. Abends kehrten sie in ihre Baracken zurück. Ein Wachmann erwartete sie, um mit ihnen seine Scherze zu treiben, die aber nur ihm allein Vergnügen machten. Er zog den einen an der Nase und gab einem anderen einen Tritt in den Bauch. Jeder fragte sich, wer wohl heute an der Reihe wäre.
  Eines Abends aber kam einer der Gefangenen von selber zu ihm und sagte:
  "Da Sie jeden Tag jemand schlagen müssen, möchte ich Sie bitten, heute mit mir vorlieb zu nehmen."
  "Nanu, kleines Französchen! Weil Du so frech bist, rate einmal, wieviel Mal ich Dir mit meiner Reitpeitsche auf den ..."
  "Es ist nicht meine Sache zu bestimmen, wieviele Schläge ich verdient habe. Ich überlasse das Ihrem Gewissen."
  "Meinem Gewissen, meinem Gewissen? Ich habe kein Gewissen!"
  "Doch!", sagte nach einer kleinen Pause der Gefangene. "Doch, Sie haben ein Gewissen. Ihr Zögern beweist, daß Sie ein Gewissen haben, denn Sie haben mich noch immer nicht geschlagen."
  Und indem er sich anschickte weiterzugehen, fügte er noch hinzu:
  "Ich glaube sogar, daß Sie mich heute abend nicht mehr schlagen werden."
  Dann wandte er sich um und ging.
  Der andere starrte betroffen vor sich auf den Boden, blaß, mit Tränen in den Augen und zitternden Lippen. Nie zuvor hatte jemand zu diesem Unglücklichen von seinem Gewissen gesprochen. Vielleicht war das die Ursache seiner Rohheit.
  Nach diesem Tag wurde kein Gefangener mehr von ihm geschlagen. Ich würde es nicht wagen, diese Geschichte zu erzählen, wenn ich nicht wüßte, daß sie wahr ist.



(Quelle: Lanza del Vasto, Definition der Gewaltlosigkeit, org.1963, hier aus: Albert Schmelzer, Die Arche, Waldkirch 1983, S.57f)