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Montag

Dramatik in Birmingham

  Mehrere hundert "Neger" von Birmingham hatten beschlossen, sich zu einer Gebetsversammlung in der Nähe des Stadtgefängnisses zu versammeln. Sie trafen sich an der New Pilgrim Baptist Church und setzten sich geordnet in Marsch. "Bull" Connor ließ Polizeihunde holen und Wasserwerfer auffahren. Als die Marschierenden sich der Grenze zwischen dem weißen und dem schwarzen Bezirk näherten, befahl ihnen Connor umzukehren. Reverend Charles Billups, der den Zug anführte, weigerte sich höflich. "Bull" Connor kam in Wut, drehte sich zu seinen Männern um und brüllte:
  "Verdammt! Wasser frei!"
  Was in den nächsten dreißig Sekunden geschah, gehört zu den phantastischsten Ereignissen von Birmingham. "Bull" Connors Leute standen den Marschierenden gegenüber, die mörderischen Schläuche zum Einsatz bereit. Die Demonstranten starrten unverwandt zurück, furcht- und regungslos; viele von ihnen knieten. Langsam erhoben sich die Neger und begannen vorwärts zu gehen. Connors Leute wichen wie gebannt zurück, die Schläuche hingen schlaff in ihren Händen, während Hunderte von Negern vorbeizogen und ungehindert ihre geplante Gebetsversammlung abhielten.



(Quelle: Gernot Jochheim, Die Gewaltfreie Aktion, Hamburg 1984, S.314)

Samstag

Die Rowdies respektieren sie

  Bei einer denkwürdigen Gelegenheit, als das jährliche Treffen der Antisklaverei-Gesellschaft in New York stattfand, wurde die Veranstaltung von einigen Rowdies gestört. Einige der VertreterInnen wurden sehr rauh behandelt von der Menge, als sie den Saal verließen. Als Lucretia Mott dies bemerkte, bat sie ihren Begleiter, sie zu verlassen, und einigen anderen Frauen zu helfen, die in Bedrängnis waren.
  "Aber wer passt auf Dich auf?", fragte er.
  "Dieser Mann", sagte sie, und legte ganz ruhig ihre Hand auf den Arm von einem der gefährlichsten des Mobs. "Er wird mich in sicherer Art durchbringen."
  Derart vor den Kopf gestoßen durch so viel unerwartetes Vertrauen reagierte der Mann, indem er sie rücksichtsvoll durch diesen Tumult an einen sicheren Ort geleitete.
  Am nächsten Tag ging sie in ein Restaurant in der Nähe des Versammlungsortes und erkannte den Anführer des Mobs an einem der Tische. Sie setzte sich zu ihm und kam ins Gespräch mit ihm. Als er den Raum verließ, fragte er einen Mann an der Tür, wer diese Frau sei. Als er ihren Namen hörte, bemerkte er:   "Ja, sie ist eine gute, feine Frau."



(Quelle: aus: Victories Without Violence, compiled by A.Ruth Fry, Santa Fee 1986, S.29f)

Augenkontakt

  Eine Begebenheit auf der Straße kann ich erzählen, wo ich mal reingefallen bin. Raus kam ich da wieder, weil ich gerade an einem Training für Gewaltfreiheit mitgemacht hatte. Ich will diese Story gerne erzählen, weil es ein Beispiel dafür ist, wie sich Trainings auszahlen können. In diesem Fall also war ich umzingelt von einer Gruppe schwarzer junger Männer spät in der Nacht. Ich war alleine. Ich war selbst blöd, daß ich in diese Situation kam. Ich hätte es vermeiden können. Ich tat es sicher aus einer überheblichen Männlichkeit heraus, und dann fand ich mich umzingelt von diesen jungen Männern. Einer von ihnen stieß mich gegen die Wand.
  Woran ich mich erinnerte von dem Training, an dem ich teilgenommen hatte, war das interessante Gespräch über die Geschichte von John Wesley, der in England sehr oft angepöbelt wurde. Er war ein methodistischer Prediger und er hatte gelernt, wie er mit dem Mob umging. Was er tun würde, war, den Kopf hoch nehmen und auf die Seite wenden, so daß die Leute sein Gesicht sehen können und daß er damit so menschlich als möglich sein kann. Er würde sich umschauen und entscheiden, wer wohl der Anführer dieses Mob sei. Und dann würde er keinen anderen mehr anschauen. Er würde alleine direkt mit dieser Person verhandeln und - wenn da allzu viel Lärm wäre - würde er einfach den Augenkontakt mit dieser Person behalten. Er würde alle Energie dieser Person zuwenden, bis sie bei dem Mob interveniert und die Situation wendet.
  So erinnerte ich mich an dieses Gespräch jetzt bei meiner Bedrohung und schaute mich nach ihnen um, als ich entschied, daß es nicht der Mann war, der mich so energisch gegen die Wand drückte, daß er der Anführer sei. Intuitiv entschied ich, daß es ein anderer war. Also fixierte ich völlig diese Person. Ich sprach zu ihm. Ich war empört. Ich zeigte meinen Ärger. Ich sagte:
  "Warum machst Du das mit mir? Ich bin hier mitten in der Nacht und hole Arznei für mein Baby und Du machst dies mit mir! Was hab' ich getan? Womit hab' ich das verdient? Das verwirrt mich! Warum machst Du das?"
  In keiner Weise erniedrigte ich ihn. Ich war nicht respektlos. Ich drückte allein meinen Ärger über diesen Vorfall aus. Die ganze Zeit über fixierte ich ihn; meist war es Augenkontakt, meine Stimme war womöglich auch sehr gewichtig. Nach einiger Zeit intervenierte er bei dem Jungen, der die Initiative ergriffen hatte, und sagte ihm, er solle aufhören, und so kamen sie in Diskussion, was sie mit mir machen wollten. Während alle mit diesen Fragen beschäftigt waren, konnte ich sicher weggehen.



(Quelle:George Lakey, Philadelphia, Interview mit Uwe Painke, Okt.92)



Überfall beim Trampen

  Als ich auf dem College war, trampte ich oft durchs ganze Land. Das war in der Mitte der 60er Jahre. Ich reiste alleine und auch mit anderen Freunden zusammen. Es gab eine Reihe von Episoden, bei denen ich angegriffen wurde. Da kann ich Dir ein Beispiel geben.
  Du mußt verstehen, ich bin Quäkerin und bin erfüllt von der Idee, daß du immer annehmen kannst, daß du eine gewaltfreie Lösung findest. Ich glaube, das erste Mal, als es passierte, da war ich auf dem Weg, einen Freund in PA zu besuchen, und ich wurde rausgelassen bei - ja, ein Freund hatte mich nach NJ gefahren und nun wartete ich auf einen Bus, um nach Philadelphia rein zu kommen. Da kam ein Junge daher und sagte:
  "Ich fahre nach Philadelphia. Willst Du mitfahren?"
  Und ich Idiot akzeptierte es. Auf dem Weg sagte er:
  "Ich geh' mal raus und hole Wasser."
  Er ging zu so einem verlassenen Haus. Ich war da gerade mal 19 und sehr naiv zu der Zeit. Er ging also in das Haus, um nach Wasser zu sehen. Schließlich folgte ich ihm, und da griff er mich an. Er warf mich nieder und war drauf und dran, mich zu vergewaltigen. Ich hatte doch gerade dies Gespräch mit ihm. Ich glaube, ich war verstört, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich sprach weiter:
  "Ich will keinen Sex mit Dir haben. Ich will nicht, daß Du mich vergewaltigst."
  Ich kam aus der ganzen Geschichte raus mit Gewaltfreiheit und gab ihm diese klare Erwiderung. Endlich hörte er auf und sagte:
  "Du bist ja äußerst ernst, nicht wahr?"
  Er nahm mich mit zurück in den Wagen, fuhr mich nach Philadelphia, gab mir zwanzig Dollar und fuhr davon.



(Quelle: Patty Lyman, Seattle, Interview mit Uwe Painke, Sept.92)

Ein "Neger" handelt

  Neulich war einer der jungen Sekretäre des amerikanischen Versöhnungsbundes, ein junger Farbiger, als Redner auf einer Reise im Süden und setzte sich über die Trennungsgesetze, die in einigen Staaten üblich sind, hinweg, indem er sich in einem Autobus auf einen Platz in einem für Weiße reservierten Abteil niederließ. Der Fahrer des Omnibus rief die Polizei an, sodaß vier Rohlinge von Polizisten den Omnibus gerade vor einer Stadt, wohin er fuhr, anhielten, einstiegen und unter Beschimpfungen verlangten, daß der junge Bayard Rustin den Platz, auf dem er saß, verließe. Den weiteren Verlauf der Geschichte geben wir am besten mit den eigenen Worten seines Briefes wieder. Nachdem er geschildert hat, wie die Polizisten ihn zu Boden warfen, schlugen, traten und herauszerrten, schreibt er:
  Ich sprang auf, streckte meine Arme waagrecht aus und sagte:
  "Sie brauchen mich nicht zu schlagen. Ich leiste keinen Widerstand."
  In diesem Augenblick entstiegen drei Weiße, offenbar aus dem Süden, dem Omnibus. Sie sagten:
  "Warum tun Sie das? Er hat nichts getan. Warum behandeln Sie ihn nicht wie einen Menschen? Er leistet Ihnen keinen Widerstand."
  Ein Kleiner packte den Knüppel des Polizisten, als er mich schlagen wollte, und sagte:
  "Lassen Sie das!"
  Die Polizisten schickten sich an, ihn zu schlagen, als ich zu ihm sagte:
  "Tun Sie das bitte nicht, denn ich stehe in guter Hut. Es bedarf keines Kampfes. Ich danke Ihnen trotzdem."
  Diese drei weißen Freunde begannen, meine Kleider und mein Gepäck aufzulesen, das der Fahrer des Omnibus aus dem Wagen an den Straßenrand geworfen hatte. Ein älterer Mann fragte die Polizisten, wohin sie mich brächten. Sie sagten:
  "Nashville."
  Er versprach mir, daß er hinkäme, um dafür zu sorgen, daß mir mein Recht werde.
  Während der wilden Fahrt von 13 Meilen zur Stadt beschimpften sie mich auf jede Weise und sagten alles Mögliche, was mich heftig werden lassen könnte. Ich saß ganz still und blickte ihnen gerade ins Auge, sooft sie mich anzusehen wagten. Der Umstand, daß sie mich nicht ansehen konnten, gab mir Mut, denn ich wußte, daß sie im Unrecht waren. Dies machte sie der Besserung ganz zugänglich.
  Als ich in Nashville ankam, durchsuchten sie mein Gepäck und meine Papiere. Sie zeigten größtes Interesse für das 'Christian Century and Fellowship'. Schließlich sagte der Hauptmann:
  "Komm her, Nigger!"
  Ich ging geraden Weges auf ihn zu.
  "Was kann ich für Sie tun?" sagte ich.
  "Nigger", sagte er, "man sollte annehmen, Du hättest Angst, wenn Du hier hereinkommst."
  "Ich werde gestärkt durch Wahrheit, Gerechtigkeit und Christus", sagte ich, "da brauche ich mich nicht zu fürchten."
  Er war völlig verblüfft. Eine Zeitlang sagte er gar nichts. Dann ging er zu einem anderen Beamten und sagte in seiner Verblüffung:
  "Ich glaube, der Nigger ist verrückt."
  Ich wartete dort anderthalb Stunden. Das nächste, was geschah, war, daß ich zu einer langen Fahrt durch die Stadt mitgenommen wurde. Im Gerichtsgebäude führte man mich in das Dienstzimmer des zweiten Bezirks-Staatsanwaltes. Als ich eintrat, hörte ich jemand sagen:
  "Na Du Farbiger, he!"
  Ich sah mich um und erblickte den weißen Herrn, der gesagt hatte, er würde dafür sorgen, daß mir mein Recht werde.
  Der Bezirks-Staatsanwalt fragte mich eine halbe Stunde über mein Leben, das 'Christian Century', den Versöhnungsbund, über Pazifismus und Krieg aus. Dann forderte er die Polizisten auf, ihre Darstellung von dem Vorfall zu geben. Sie brachten einige Lügen vor. Dann verlangte er von mir, daß ich meine Meinung sagte. Das tat ich, indem ich die Polizisten aufforderte, mir jeden Punkt zu bestätigen. Der Bezirks-Staatsanwalt entließ mich. Ich wartete eine weitere Stunde ganz allein in einem dunklen Raum. Dann kam er herein und sagte sehr freundlich:
  "Sie können gehen, Herr Rustin."
  Verwirrt verließ ich das Gerichtsgebäude, bestärkt in dem Glauben an das Handeln ohne Gewalt, denn ich bin sicher, daß man mich Herr nannte, daß mir der ältere Herr half und daß mir die drei Männer im Omnibus halfen, weil ich vier Polizisten mit den Worten: 'Sie brauchen mich nicht zu schlagen, ich leiste keinen Widerstand' furchtlos entgegengetreten war.



(Quelle: aus: Victories Without Violence, s.o.5., S.76f)


Das "Wunder" von Gorski Kotar

  Franjo Starcevic lebt in der Region Gorski Kotar im Westen Kroatiens, südlich der (slowenischen) Gottschee und östlich von Rijeka. Der Professor für Psychologie und Philosophie hat 1971 wegen seines Eintretens für die kroatische Autonomie seinen Arbeitsplatz verloren. Inzwischen pensioniert, lebt er zurückgezogen in seinem (kroatischen) Geburtsort Mrkopalj, wo er großen Einfluß hat. Im Spätherbst 1991 drohte der Krieg auch seine Region zu erreichen. Die Kroaten und Serben, die relativ geschlossen in ihren Dörfern lebten, hatten schon Waffen gesammelt und Barrikaden gebaut. Es fehlte nicht mehr viel, und es wäre auch hier zu Kämpfen gekommen. Doch durch sein mutiges Engagement ist es dem alten Mann gelungen, diese Gefahr abzuwenden. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:
  "Im vorigen Jahr, im November oder Dezember, als der Krieg in Kroatien voll im Gang war, habe ich mich entschieden, in unser Nachbardorf Jasenak zu gehen, welches ganz serbisch ist und sich auf der anderen Seite eines Berges, der Bjelalasica, befindet. Zwischen den beiden Dörfern, die rund 30 Kilometer voneinander entfernt sind, besteht eine traditionelle Freundschaft. Es gab früher viele kroatische und serbische Dörfer, die eng verbunden waren, aber diese Freundschaft ist zerbrochen, und zwar sehr brutal.
  Also, ich komme nach Jasenak, und sie waren sehr gastfreundlich, wie die Serben immer sind. Das ist ihre nationale Eigenschaft. Ich habe den Leuten aus dem Gemeinderat gesagt, daß es sehr dumm ist, jetzt im 20.Jahrhundert mit Waffen gegeneinander zu kämpfen. Das Gespräch dauerte einige Stunden.
  In diesem Gespräch war natürlich die Schwierigkeit, daß es schon auf beiden Seiten Barrikaden gab. Wir haben damit angefangen, weil wir eine Offensive der Volksarmee befürchteten. Wir hatten zehn Bäume auf die drei Verbindungsstraßen Richtung Jasenak gelegt. Darauf haben die Serben auch auf ihrer Seite Straßensperren errichtet. Und sie hatten viel mehr Waffen als wir. Aber ich habe versprochen, daß wir unsere Barrikaden wegräumen.
  Als ich zurückgekommen bin, habe ich alles das unserem Bürgermeister erzählt und auch in unserer Provinzstadt Delnice darüber berichtet. Und wir haben beschlossen, daß diese Aktion richtig war und daß man sie ausweiten muß. Vorher waren meine Leute sehr skeptisch und dagegen, daß ich nach Jasenak fahre. Sie hatten geglaubt, daß es gefährlich und unsinnig ist, zu den Serben zu gehen. Aber jetzt sahen alle, daß es erfolgreich war.
  Nach etwa zwei Monaten, zu Beginn dieses Jahres, bin ich ein zweites Mal nach Jasenak gefahren. Vorher haben wir unsere Barrikaden weggeräumt, um ihnen zu demonstrieren, daß wir es ehrlich meinen. Und diesmal bin ich länger geblieben. Wir sind als Freunde geschieden. Und dann haben sie, vielleicht nach einem Monat, auch ihre Barrikade weggeräumt. Und unsere Beziehungen sind besser und besser geworden. Im Mai war ihre Delegation bei uns, und jetzt können wir diese guten Beziehungen fortsetzen."



(Quelle: Werner Wintersteiner, aus: Friedensforum, Sept./Okt.92, S.13.)

Überfall auf ein Gewerkschafts-Büro

  Eines Tages kommt eine Todesschwadron ins Büro gestürmt, wo etwa zehn Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen an der Arbeit sind. Die schwerbewaffneten Männer richten ihre Maschinenpistolen auf die Anwesenden und schreien, alle müssten sich mit ausgebreiteten Armen kopfunter auf den Boden werfen! Julio, der zunächst am Eingang sitzt, reagiert blitzschnell:
  "Nein, wir tun das nicht! Ihr könnt mich umbringen, ich weigere mich! Wenn Ihr mich niederschießt, dann müßt Ihr gleichfalls alle anderen töten! Wer seid Ihr überhaupt? Was wollt Ihr? Wer hat Euch geschickt?"
  Die Todesschwadron, durch diese unerwartete Weigerung aus dem Konzept gebracht, reagiert im Moment verunsichert.
  Julio bringt heraus, daß sie von der Nationalpolizei sind. Rasch realisiert er, daß er ihnen einen Ausweg bieten muß, um ihr Gesicht zu wahren:
  "Was wollt Ihr? Wollt Ihr Geld? Hier, zweitausend colones!"
  "Wir wollen Dollares!"
  "Nichts da, macht, daß Ihr rauskommt, hinaus, hinaus ...!"
  Und die Gewerkschafter folgen ihnen noch bis zum wartenden Auto nach.



(Quelle: Ueli Wildberger, Peace Brigades International, in Neue Wege, Zürich 11/92, S.322)

Gruppen - Treffen

  Freitag Abend, die Jugendkneipe des Brückenhaus e.V. ist wieder gut voll. Von Ehrenamtlichen wurde sie eingerichtet und jetzt betrieben, die hier in zwei Stadtteilen zusammen mit dem Sozialarbeiter sowohl mit ausländischen als auch mit rechtsorientierten Jugendlichen arbeiten. Gerade letztere treffen sich ganz gerne hier. Schon öfter mal kam es da zu einzelnen Zwischenfällen verschiedener Art; doch verliefen sie zumeist glimpflich. Aber so gespannt wie an diesem Freitag abend war es noch nie.
  Vor dem Haus hatten sich 40 Leute versammelt - sogenannte Linke. Sie waren zum Teil vermummt, trugen einige Stangen und Schläger bei sich, die sie einem Metallzaun entwendet hatten; und auch das Gerücht ging um, sie hätten Molotow-Cocktails dabei. Sogleich waren die Jungs in der Kneipe in Alarmbereitschaft. Sie bedienten sich bei einem nahegelegenen Container und versorgten sich mit allerlei Metallbrocken als Bewaffnung. Die Stimmung war geladen.
  Da griffen die anwesenden Ehrenamtlichen ein. In guter und schneller Reaktion baten sie zunächst alle "ihre" Leute, wieder ins Haus zu kommen; ein breitschultriger stellte sich dann in die Türe, um sie zu versperren. Damit war schon mal eine erste Konfron-tationsmöglichkeit verhindert, indem die Gruppen ganz klar getrennt waren.
  Nun wagte es einer der Ehrenamtlichen und ging hinaus direkt auf die Gruppe der Linken zu:
  "Ich bin der Vertreter des Brückenhaus e.V.; und wer ist Euer Vertreter?"
  Das überraschte; das lehnten sie erst mal ab:
  "Nein, wir haben keinen Vertreter; das brauchen wir doch nicht."
  Nach einigem zögerlichen Überlegen gab es dann doch einen. Nun war eine Grundlage für eine erste Diskussion geschaffen.
  "Wißt Ihr, was das Brückenhaus ist und was wir da machen?", fragte der Ehrenamtliche aus der Kneipe.
  "Ja", antwortete die andere Seite sehr schnell. "Ihr habt da die Faschos drin; und also seid ihr auch für die."

  Erst später wurde uns nochmal deutlich, daß dies die allgemeine Überzeugung bei den Linken bzw. Autonomen des Stadtteils war, obwohl wir im Rahmen unserer akzeptierenden Jugendarbeit sicher ganz anderes machen. Unser Standpunkt ist politisch gerade nicht rechts.
  Nach einigem Wortwechsel dieser Art wurde die Situation allerdings noch einmal verschärft. Ein paar Jugendliche, die in die Kneipe wollten, kamen von außerhalb dazu. Sie waren nun als neue Gruppe da draußen. Und nun wollte einer von den Linken rein ins Haus und mit denen drin diskutieren. Allerdings waren nun schon einige ausfällige Attacken verbaler Art zu hören. Ob das gut geht?
  Es war wohl auch eine gute Portion Glück, daß nichts ernsthaftes passierte. Denn nach einiger Zeit kamen nun doch etwa 10 der Linken in die Kneipe; die anderen hatten sich inzwischen verzogen. Und auch hier reagierten die ehrenamtlichen Mitarbeiter wieder sehr geschickt: Mit Eimern gingen sie herum und sammelten vor dem Zusammenkommen auf beiden Seiten alle Waffen ein.
  Im Folgenden blieb es ruhig, wenn auch mit heftigen Diskussionen. Am Ende stand die Vereinbarung, sich in den nächsten Tagen noch einmal zu einer geordneten Diskussion zu treffen, an der auch türkische Jugendliche teilnehmen sollten. Sie fand statt - und war ein voller Erfolg!



(Quelle: Martin Lempp, Kirchheim/Teck)

Aus der Sicht eines Polizisten

  Nun, es gibt zwei Theorien über Kriminalität und den Umgang mit ihr. Manche sagen: "Du mußt wie der Kriminelle denken." Manche Polizisten lernen das so gut, daß sie selber eine Form krimineller Mentalität entwickeln.
  Die Weise, auf die ich arbeite, unterscheidet sich davon beträchtlich. Ich betrachte den Menschen als essentiell rein und unschuldig und von einer ungeteilten, guten Natur. Das ist sein Geburtsrecht. Und das ist es auch, was ich im Verlauf eines jeden Arbeitstages anzuerkennen habe - ja, es ist sogar das, woraus meine Arbeit besteht. ...
  Ich versuche diese Vision auch dann zu bewahren, wenn Konflikt entsteht. Ich hatte einmal einen sehr zornigen, schwarzen Mann verhaftet, der mich mit gezielter Ablehnung behandelte. Als ich ihn zum Polizeiwagen führen wollte, spuckte er mir ins Gesicht - das war schon keine Kleinigkeit - und dann versuchte er noch, mit einem Stuhl auf mich loszugehen. Es gelang uns, ihm Handschellen anzulegen. Als wir im Wagen fuhren, mußte ich mich einfach irgendwie von diesem eigenen negativen Bild von ihm befreien, das nun entstanden war. So affirmierte ich ständig in meinem Geist: "Dieser Mann und ich sind Brüder in der Liebe." Als wir zum Revier gelangten, sagte ich spontan zu ihm:
  "Hören Sie zu. Wenn es irgend etwas gegeben hat, womit ich Sie verletzt habe, so möchte ich Sie jetzt um Entschuldigung bitten."
  Mein Kollege neben mir schaute mich an, als sei ich total verrückt geworden.
  Am nächsten Tag mußte ich den Mann zum Kriminalgericht überführen. Als ich ihn abholte, dachte ich: "Wenn du deiner Vision wirklich vertraust, dann brauchst du ihm auch keine Handschellen anzulegen." Das tat ich auch nicht. Im Gerichtsgebäude gelangten wir zu einer Stelle im Korridor, wo er auf mich hätte losgehen müssen, wenn er eine solche Absicht gehabt hätte. Er blieb dort tatsächlich stehen, was ich auch tat. Dann sagte er:
  "Wissen Sie, ich habe darüber nachgedacht, was Sie gestern gesagt haben, und ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen."
  Ich spürte diese tiefe Dankbarkeit, die von ihm ausstrahlte.
  Aus seinem Strafregister ergab sich, daß er lange im Staate Michigan gesessen und ziemlich viel Ärger mit seinen Wächtern gehabt hatte. Ich symbolisierte anfangs etwas für ihn. Und ich sah bei diesem Vorfall, wie das verwandelt werden konnte - so eine Art von "Heilung" war das, glaube ich.



(Quelle: Ram Dass und Paul Gormann: "Wie kann ich helfen?", Berlin 1988, S.46ff)

Was ist canaille?

  Während einer der im 19.Jahrhundert häufigen Unruhen in Paris erhielt der Kommandant einer Gardeabteilung den Befehl, einen Platz durch Gebrauch der Schußwaffe von der dort demonstrierenden canaille zu räumen. Er befahl seinen Leuten, durchzuladen und die Gewehre auf die Demonstranten anzuschlagen. Während die Menge vor Entsetzen erstarrte, zog er seinen Säbel und rief mit schallender Stimme:
 "Mesdames, M'sieurs, ich habe den Befehl, auf die canaille zu schießen. Da ich vor mir aber eine große Anzahl ehrenwerter Bürger sehe, bitte ich sie, wegzugehen, damit ich unbehindert auf die canaille feuern kann."
  Der Platz war in wenigen Minuten leer.

Angespuckt

  Es ist mir mal passiert, daß ich in Bremen, von drei Rockern, die mir entgegenkamen, angespuckt wurde. Ich war auf'm Fahrrad, und die spuckten mir echt so tierisch ins Gesicht. Ich bin erst ein Stück weitergefahren, aber dann hab ich kehrtgemacht und bin zu denen hingegangen und hab denjenigen, der mich angespuckt hat, einfach gefragt, warum er das gemacht hat. Und der war total geplättet und stand da richtig verdattert und verdutzt. Es war ihm richtig peinlich, und er mochte mich kaum angucken. Schließlich sind die drei bedröppelt weitergegangen. Und ich selber hab mich gut gefühlt, daß ich mir das nicht einfach so hab gefallen lassen, diese anonyme Gewalt in der Stadt, sondern daß ich darauf reagiert hab und persönlich den Kontakt versucht habe herzustellen zu denen.

Abba - Vater !

  Eine Frau von ungefähr 25 Jahren wohnte mir gegenüber. Sie war ein kleiner östlicher Typ, geboren in New York und war lange Zeit in Indien gewesen.
  An einem Abend kam sie in einer Kneipe beim Hauptbahnhof in Amsterdam mit zwei türkischen Männern in ein Gespräch. Als sie die Kneipe verließ, folgten sie ihr und wurden zudringlich. Sie fingen an, sie mit persönlichen Dingen auszuschimpfen, die sie ihnen eben erst erzählt hatte, wie zB., daß sie mit einem Niederländer zusammengewohnt hatte, den sie in Indien getroffen hatte, und daß sie daher jetzt noch in den Niederlanden wohnte und ähnliches. Sie versuchte zuerst noch, darauf einzugehen, aber dadurch wurden die Männer nur noch lästiger und machten vulgäre Bemerkungen ihr gegenüber, wie daß sie es sicher auch gerne mal mit Türken machen würde.

  Auf einmal drückte sie der jüngere Mann gegen eine Mauer, während der andere Mann ihre Jacke öffnete und ihre Kleider auszog. Der jüngere schlug ihr regelmäßig ins Gesicht. Was es für sie besonders schwierig machte, war, daß sie Informationen gegen sie verwendeten, die sie ihnen vertraulich und freundschaftlich erzählt hatte, und worauf sie anfänglich nett und interessiert reagiert hatten. Der ältere Mann versuchte sie nach unten zu ziehen, aber in einem Augenblick, als sie ihn ansehen konnte, sagte sie zu ihm mit eindringlichem Ton:
  "Aber Abba, laß mich jetzt gehen."
  Darauf reagierte er und kam wie aus einer "Betäubung" und/oder "Aufregung" zurück zur Realität. Er machte ihre Jacke zu und sorgte dafür, ohne ein Wort zu sagen, daß der Jüngere aufhörte zu schlagen. Sie zog sich wieder an und bedankte sich bei dem älteren Mann dafür, daß er sie gehen ließ.
  Sie liefen noch mit ihr in Richtung Bahnhof, was natürlich für sie nicht ohne Angst ablief, aber keiner von beiden sagte mehr etwas. Sie konnte dann ein Taxi nehmen und kam zu mir.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.105f)

Eine heiße Phase

  "Setz Dich hin", sagt der Junge. "Ich befehle Dir, Dich zu setzen."
  In seiner Hand hält er einen schweren Stein, kurz über meinem Kopf; sein Blick ist entschlossen.
  Und plötzlich zählt das alles nicht mehr, die Hitze, meine Erschöpfung, der lange Weg unter brennender Sonne, mein Wunsch, mich unter einen dieser Olivenbäume zu setzen und einfach auszuruhen. Es ist, als habe jemand ein anderes Programm eingeschaltet; ich bin plötzlich in einem anderen Film.
  "Setz Dich", sagt der Junge; aber ich setze mich nicht. Ich schaue auf den Stein über meinem Kopf, schaue in sein Gesicht. 14 ist er, hat er vorhin gesagt; sein Freund neben ihm, ein rotznäsige Kind, höchstens zwölf. Ich hatte damit gerechnet, daß sie versuchen könnten, mich zu bestehlen; aber an einen Vergewaltigungsversuch hatte ich nicht gedacht.
  "Nein", sage ich, "ich gehe jetzt."
  Aber ich kann diesem Jungen mit dem Stein in der Hand unmöglich den Rücken zukehren. Ich bleibe ruhig stehen und schaue ihn an.
  "Wirklich, ich schlage zu", sagt er. "Ich bin so einer."
  Ich glaube ihm nicht. Da gibt er es auf, mir mit dem Stein zu drohen. Statt dessen fangen nun beide Jungen an, an meiner Hose zu ziehen. Ich stelle mich breitbeinig hin, damit sie die Hose nicht runterziehen können; gleichzeitig wehre ich sie mit den Händen ab
  "Hört auf. Laßt mich gehen."
  Ich bin in einem fremden Land, ich spreche ihre Sprache nicht; aber sie verstehen ein wenig Englisch.
  "Ich bin hier, weil ich Euch vertraut habe. Ihr habt gesagt, Ihr würdet mir den richtigen Weg zeigen. Laßt mich jetzt gehen."
  Aber sie versuchen wieder, mir die Hose herunterzuziehen.
  Wir sind in einem Olivenhain; die Jungen sind von einem nahen Haus herübergekommen, gerade als ich endlich geglaubt hatte, ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen gefunden zu haben. Wir haben uns unterhalten, Ich habe ihnen auf der Flöte vorgespielt, sie haben sich bedankt, aber irgend etwas war falsch an der Situation. Das war ihr Land, und sie schienen mich bewachen zu wollen, bis ich wieder gehe. Also ging ich.
  "Nein, nicht da lang", riefen sie, "dort drüben ist der Weg, komm mit."
  Und führten mich an diesen einsamen Platz, außerhalb der Ruf- und Sichtweite der nächsten Häuser.
  Von beiden Seiten zerren die Jungen nun an meiner Hose. Ich stelle mich wieder breitbeinig hin, habe aber dadurch keinen so festen Stand; sie versuchen, mich umzustoßen. Wenn ich erstmal am Boden liege, denke ich, dann habe ich keine Chance mehr; ich trete den beiden in die Hoden, und sie weichen zurück. Also geht es doch nur mit Gewalt?? "Wenn Du die Wahl hast zwischen Feigheit und Gewalt", sagt Gandhi, "dann wähle die Gewalt." Ich habe das immer so verstanden: in aller Regel gibt es eine dritte Möglichkeit. Hier bin ich nun in einer Situation, wo es die nicht gibt: es gibt nur aufgeben oder Gewalt anwenden, und ich trete zu. Aber ich merke auch: diese Situation währt nur Sekunden. Sobald die Jungen zurückgewichen sind, habe ich wieder andere Möglichkeiten.
  "Ihr könnt mir nichts tun", sage ich bestimmt. "Laßt mich gehen."
  Dabei schaue ich den Jungen in die Augen. Der Jüngere hat jetzt einen Stock aufgehoben und versucht es damit. Als ich mich auch davon nicht einschüchtern lasse, beraten die beiden kurz, greifen mich dann an und drängen mich rückwärts in eine halb zugewachsene Grube hinein, die ich vorher nicht gesehen hatte. Mein rechter Fuß steht noch fest, mein linker Fuß bricht beim Zurückweichen plötzlich in die Tiefe ein, findet dann einen Halt einen Meter weiter unten; es raschelt. Schlangen? Ein Blick nach unten zeigt mir, daß die Grube noch viel tiefer ist. Ich verstehe nicht, was die Jungen sagen, aber die Botschaft ist deutlich: wenn ich nicht tue, was sie sagen, werden sie mich ganz da rein schmeißen.
  Dann reicht mir der Ältere die Hand, zieht mich raus. Klar: sie wollen mich nicht in die Grube schmeißen, sie wollen mir nicht den Kopf einschlagen, sie haben Skrupel, mich zu verletzen. Sie sind aber nicht stark genug, mich zu Boden zu zwingen, und wollen mich deshalb einschüchtern, bis ich aufgebe und mich nicht mehr gegen eine Vergewaltigung wehre. Würde ich weglaufen oder sie angreifen, so würden sie von hinten oder im Kampf sicher ihre Hemmungen verlieren und zuschlagen; dann hätte ich wohl kaum eine Chance. Als der Junge mich herauszieht, kommt seine Gelegenheit: er wirft mich zu Boden, und im nächsten Augenblick sind beide über mir. Ich verstehe nicht warum, aber es gelingt mir, mich zu befreien: ich habe die Beine angezogen, trete dem Älteren in die Hoden, er weicht zurück, ich rolle den Jüngeren von mir herunter, rolle mich ab und stehe plötzlich wieder.
  Die Jungen sind überrascht, greifen aber nach kurzer Zeit erneut an, kämpfen; ich wehre sie ab, aber nie greife ich von mir aus an, nie versuche ich, taktische Vorteile zu nutzen, zu verletzen, zu siegen. Mitten im Gerangel suche ich den Augenkontakt; ich rufe:
  "Ich will nicht mit Euch kämpfen. Ich will Euch nicht verletzen. Ich hasse Euch nicht."
  Es ist wahr. Ich hasse die Jungen nicht, ich bin auch nicht in panischer Angst. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihnen gelingen wird, mich zu vergewaltigen; aber ich weiß, daß nichts mich dazu bringen kann, mich selbst zu verlieren, diese Jungen zu hassen, sie ernsthaft zu verletzen oder gar zu töten. Das ist wichtiger; ich kann ganz ruhig sein.
  Einen Moment lang überlege ich, ob ich es über mich ergehen lassen soll. Niemand zwingt mich zu kämpfen ... Aber ich spüre, daß das nicht geht. Würde ich den Widerstand aufgeben, dann würde ich etwas verlieren, was sie mir niemals mit Gewalt nehmen können...
  Einer der Jungen hat mir die Geldbörse aus der Tasche gezogen. Er holt das Geld heraus, steckt den kleinsten Schein wieder hinein, gibt mir die Börse zurück.
  "Gut", sage ich, "nehmt das Geld und laßt mich jetzt gehen; ich werde Euch nicht verraten."
  Aber sie geben noch nicht auf. Der Jüngere findet ein Stück Stacheldraht; er droht, mich damit zu schlagen, und befiehlt mir mit wütendem Gesichtsausdruck, mich hinzusetzen.
  "Wenn Du mich verletzen willst, dann tu es", sage ich und halte ihm meinen Arm hin.
  Da läßt der den Stacheldraht fallen und versucht, mich zu umarmen; ich stoße ihn leicht von mir.
  Noch ein weiterer Versuch folgt; wieder schaue ich den Jungen in die Augen, wieder sage ich ihnen, daß sie mir nichts tun können, und unterstreiche das mit Gesten. Dann gibt der Ältere das Signal: lassen wir's. Ich drehe mich um und gehe langsam zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
  Ich bin noch nicht weit gegangen, da höre ich die Jungen hinter mir rufen, ich solle warten; sie winken mit Geldscheinen. Ich gehe noch ein Stück weiter, bis ich wieder in Sichtweite eines Hauses und etwas näher am Weg bin; dort warte ich.
  "Es tut uns leid", sagen die Jungen, als sie heran kommen.
  "Wenn es Euch leid tut, gebt Ihr mir dann auch mein Geld zurück?"
  Der Jüngere gibt mir das Geld, der Ältere zeigt mir einen kleinen Schein und sagt, den behalte er, weil er ihn brauche. Ich zähle nach.
  "Da fehlt eine ganze Menge."
  "Mehr haben wir nicht. Wir müssen es beim Kämpfen verloren haben."
  "Das wäre aber schade drum. Ob Ihr es nun habt oder ich - aber verloren gehen sollte es nicht. Schaut nochmal nach."
  Da ziehen sie los, gehen das Geld suchen und kommen nach einer Weile mit hängenden Schultern wieder:
  "Nichts gefunden."
  Sie sind offensichtlich erstaunt, daß ich gewartet habe. Sie flüstern miteinander, dann läuft der Ältere los, "um nochmal zu suchen", und nach ein paar Minuten läuft der Jüngere hinterher. Ich sehe die Beiden über eine Mauer klettern und verschwinden.
  Klick - umschalten. Ein heißer Tag, Mittagssonne, ich steige den Berg wieder hinauf, gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Ein Polizeiauto fährt vorbei. Als ich nach einem Umweg im Dorf nahe dem Olivenhain ankomme - da, wo mich die Abkürzung der Jungen hätte hinführen sollen - treffe ich den Älteren der beiden.
  "Es tut mir leid", sagt er und reicht mir die Hand.
  Nun, leidtun allein ändert noch nicht viel. Ich würde ihn noch einiges fragen wollen, aber dazu reicht meine Kraft jetzt nicht aus. So drücke ich nur seine Hand und sage:
  "Ich vergebe Dir."



(Quelle: Autorin und Ort sind der Redaktion bekannt; wollen nicht genannt sein.)

Die Krankenschwester

  Eine westdeutsche Krankenschwester verließ einen Festsaal in dem Dörfchen Assendorf und ging ihren Weg. Da versuchte ein junger Mann, sie auf der Straße anzugreifen. Sofort war das erste, was der Krankenschwester einfiel, Gebete. Diese begann sie sogleich so laut wie möglich auf der Straße zu beten.
  Der Mann hatte solch eine Selbstverteidigung nicht erwartet und ließ sie gehen; aber kurze Zeit später versuchte er es noch einmal mit zwei Saufkumpanen. Erneut fing das Mädchen an, so laut zu beten, daß alle in der Straße das Geschehen bemerken mußten - auch die Polizei, die die drei festnahm, noch bevor ein Unglück geschehen war.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.2., S.31)

"Was passiert, wenn... ?"

  Wir hatten einen Überfall durch faschistoide Typen, und die Reaktionen der Frauen waren sehr unterschiedlich, von Sich-schüchtern-zurückziehen und Angst bis zur Bereitschaft zur energischen, notfalls handgreiflichen Gegenwehr, dazwischen bloßes Zuschauen oder auch Vermitteln-wollen. Bei der ersten Diskussion darum stellten sich starke Verunsicherungen der Frauen untereinander durch diese Gegensätzlichkeiten heraus; so hatten nicht nur die Schüchternen Angst, in eine Knüppelorgie hineingezogen zu werden, sondern auch die Kämpferischen hatten Angst, daß die anderen Frauen ihnen bei einer effektiven Gegenwehr in den Rücken fallen könnten... Wir haben gemerkt: so geht das nicht - daß die Angst voreinander wichtiger wird als die gemeinsame Bedrohung.
  So haben wir erst einmal - buchstäblich Tag und Nacht, denn die "Faschos" hatten gedroht, wiederzukommen und dann massiv zu werden - in Kleingruppen miteinander diskutiert und diese Ängste auf den Tisch gebracht. Wichtig war dabei von der Struktur her, daß die Kleingruppen jeweils aus Frauen der unterschiedlichen Haltungen zusammengesetzt waren. Grundlegend war auch, daß nicht aus der Situation allein heraus entschieden wurde, sondern von dem persönlichen Hintergrund her: Dadurch, daß sich die Frauen ihre jeweiligen Lebensgeschichten mitteilten und voneinander erfuhren, erarbeiteten sie eine Verständnisbasis für ihre verschiedenen Reaktionsweisen. Das ist ein Unterschied zu allen Entscheidungssituationen, die ich sonst kenne. Von diesem Hintergrund aus konnten die Frauen akzeptieren, daß sie verschiedene Formen haben, sich zu verteidigen.
  Daraus haben wir dann eine gemeinsame Strategie entwickelt. Also weder einen Einheitsplan, noch eine Bildung von "Blöcken", wie sonst üblich. Sondern ein gemeinsames Verteidigungskonzept, in dem die unterschiedlichen Verhaltensweisen ihren Platz hatten. Wo sich die verschiedenartigen Frauen - an ihrem Platz und auf ihre unterschiedliche Weise - unterstützten, Vertrauen hatten und gaben und sich bestärkten.
  Das haben wir dann im Rollenspiel geübt. Und zwar so, daß die Frauen, die die "Typen" spielten, uns voll signalisieren konnten, daß wir wirklich Kraft ausstrahlten. Als dann die Typen tatsächlich kamen zum Nachtüberfall, hat das alles funktioniert: Jede wußte, was sie zu tun hatte, die Geschlossenheit, die wir dadurch erzielten, hat die Angreifer abgehalten von ihrem Vorhaben und hat eine Prügelei verhindert.



(Quelle: Sonja Badura, Interview mit Birgit Berg, aus: Konsens, eine Broschüre, hrsg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, 1990, S.47)

Grund-Schule der Gewaltabwehr

  Die siebenjährige Angelika ist bisher "lupenrein gewaltfrei" erzogen worden. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie beinahe einen Schock bekommt, als sie die ersten Wochen an der Schule ist: Prügeleien, brutale Spielszenen, Nachspielen von Fernsehkrimis und  Western u.a.m. Da sie nicht mitprügelt, wird sie schnell zur Außenseiterin. Doch als solche bekommt sie es nun erst recht ab; sie hat gleichzeitig blaue, rote, braune und gelbe Flecken, niemand spielt mit ihr, und schließlich will sie schon gar nicht mehr zur Schule gehen wegen der täglichen Prügel. Vor allem der Nachbarjunge, Ralf, lauert ihr schon auf dem Schulweg auf und haut besonders kräftig, auch auf den Kopf.
  Angelikas Mutter kauft ein Buch über Selbstverteidigung. Sie sucht die Übungen heraus, die leicht auszuführen und wirksam sind. Sie sollen den Angreifer dabei nicht ernsthaft gefährden, sondern sozusagen nur seine eigene Angriffswucht gegen ihn selbst oder ins Leere lenken. Diese übt sie mit ihrer Tochter zusammen ein. Beide haben Spaß dabei und fühlen sich stärker.
  Ein paar Tage später kommt Angelika strahlend heim:
  "Ich hab's so gemacht, und der Ralf hat sich in 'ne Pfütze legen müssen!"
  Hinterher habe sich auch keiner von den anderen Raufbolden mehr an sie herangewagt.
Ein bißchen mulmig ist es der Mutter nur noch, weil sie daran denkt, daß nun der "Hereingelegte" Rache üben könnte. Aber am Nachmittag klingelt es an der Tür, es ist Ralf:
  "Derf i mit der Angelika spiele?"...



(Quelle: -bg-)

Der gewaltfreie Niels

  Der achtjährige Niels steht auf dem Schulhof. Da kommt sein Freund auf ihn zu, hat die Fäuste geballt und fängt an zu boxen. Er sagt zu Niels: "Komm, wir wollen uns jetzt bekämpfen."
  Da gibt Niels ganz spontan zurück: "Aber ich bin doch gewaltfrei!"
  Sogleich dreht sich der Freund um und geht weiter seiner Wege. Niels ist perplex.



(Quelle: Beate Krieger, Zürich)

Die müde Kellnerin

  Eine todmüde Kellnerin war alleine in ihrer kleinen Kneipe, kurz bevor sie geschlossen wurde. Plötzlich sah sie sich mit einem bewaffneten Eindringling konfrontiert. Er forderte von ihr, ihm das Geld aus der Kasse zu geben. Aber sie blieb einfach da sitzen, wo sie ihre Füße zum Ausruhen hingelegt hatte.
  "Ich bin krank", klagte sie, "ich könnte mich nicht einmal bewegen, wenn ich müßte."
  Es gab nichts, das den Verbrecher davon abgehalten hätte, selbst die Kasse zu öffnen. Sie war keine Bedrohung; sie war nicht einmal interessiert. Aber er verschwand. Ihre einfache, menschliche Antwort beseitigte all seine gefühlsmäßige Vorbereitung, weil sie vielleicht ein Appell an seine eigenen Erfahrungen von Erschöpfung war.



(Quelle: ebda., S.37)

Meine Welt

  Eine junge Frau erzählt eine Erfahrung, über die sie selbst später noch überrascht war:
  Sie ging allein durch eine von Bäumen beschattete Straße nach Hause, als sie von einem Jugendlichen mit einem Messer angehalten wurde. Es war sorgfältig schwarz angemalt, um das Blinken von Lichtstrahlen zu verhindern. Dies war also kein unerfahrener Räuber. Aber als er sie festhielt und ihr Portemonnaie forderte, sagte sie einfach:
  "Du kannst mich hier nicht belästigen! Das ist meine Wohngegend!"
  Sie war in ihrem Gerechtigkeitsgefühl angegriffen. Sie lebte in einer Welt, in die der Angreifer nicht hineinkonnte. Und ihre Sätze hatten gewirkt. Ohne daß etwas in der Umgebung den Angreifer von körperlicher Gewalt abhielt, drehte er sich um und rannte weg.



(Quelle: ebda., S.30)

Zwei zufriedene Angreifer

  Ich erzähle, was ein Freund von mir erfahren hat:

  Es kamen zwei Männer auf meinen Freund zu, die ihn grob anhielten.
  Mein Freund fragt: "Guten Abend, kann ich etwas für Euch tun?"
  Die anderen: "Wir wollen Dein Geld."
  "Habt Ihr Schwierigkeiten?"
  Die anderen: "Ja, wir brauchen Geld."
  Und mein Freund: "Wieviel braucht ihr?"
  Mit dieser Reaktion hatten seine Angreifer nicht gerechnet. Und dies hatte zur Folge, daß sie nach      einigem Zögern sagten, daß sie 25 Cent brauchten, und verschwanden.



(Quelle: ebda., S.39)