Als er siebzehn war, hatte er sein Alter gefälscht, um sich für die kanadische Armee einschreiben lassen zu können. Tief in seinem Herzen wusste er allerdings, dass Krieg nicht der Weg zu Gerechtigkeit und Frieden war. Aber mit siebzehn, als ältere Freunde in Europa Helden wurden und es die am besten aussehenden Mädchen beim Anblick einer Uniform heiß und kalt überlief, dachte er: Also gut, warum eigentlich nicht?
Er trug Stücke von Wellblech auf dem Kopf zur Front in Frankreich, die dort für den Bau von Unterständen benutzt werden sollten. Der Boden um ihn her war aufgewühlt. Es hagelte Grantatsplitter auf die Wellblechstücke auf seinem Kopf. Pat erschien die Situation hoffnungslos. Wozu sollte das wohl alles gut sein? Hatte das Leben irgendeine Bedeutung? Man konnte ebenso gut von einem der Splitter getroffen werden wie davonkommen. In seiner Verzweiflung und Erschöpfung ruhte er einen Augenblick aus und es kümmerte ihn kaum, ob er getroffen würde oder nicht. Er erwartete, dass irgendein Offizier ihn wütend anschreien würde: „Was machen Sie da? Sehn Sie zu, dass Sie vorwärtskommen!“
Dann geschah Pat das Seltsamste, das er je erlebt hatte. Aber zu dem Zeitpunkt schien es völlig natürlich, so dass er sich nicht wunderte. Eine strahlende Figur näherte sich ihm. Offenbar war es Jesus. Er kam zu Pat, gab ihm freundlich die Hand, lächelte und glitt dann an ihm vorüber ins Dunkel.
Von da an konnte Pat nicht mehr töten. Das Kopfschütteln genügte Pat vollständig. Es ging nicht darum, was wirklich geschehen war, ob das Erlebnis seiner übererregten Fantasie zu verdanken war oder ob wirklich Jesus zu ihm gekommen war. Es ging darum, dass Pat von da an nicht mehr direkt am Krieg teilnehmen konnte.
Er hatte keine Angst. Die Tommies in den Schützengräben fühlten, dass er sich verändert hatte. „Warum?“ konnten sie beunruhigt fragen, „Es ist dir doch nichts passiert! Es hat sich doch nichts verändert. Wir verstehen nicht, was über dich gekommen ist.“
Pat sagte seinem Oberst, einem Mann aus Calgary in Kanada, dass es für ihn mit dem Töten vorbei sei. „Was zum Teufel denken Sie eigentlich, wozu wir hier sind?“ fragte der überraschte Oberst McDonald.
Pat kam vor ein Kriegsgericht und wurde zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der Oberst verabscheute das, aber so waren nun einmal die Gesetze der Armee.
Während Pat auf die Exekution wartete, dachte er tief nach, wurde sehr still und lauschte auf Gott. Schließlich kam ihm in den Sinn, dass es eine Lösung des Problems geben könnte. Er ging also zu Oberst McDonald. „Ich werde den Gesetzen der Armee gehorchen. Zwar werde ich niemanden töten, aber ich werde weiter vorwärts gehen.“
Zu seiner Überraschung fand der Oberst im militärischen Handbuch zwar eine genaue Anleitung zur Benutzung des Bajonetts, aber an keiner Stelle wurde die Benutzung befohlen. Er war sehr froh, dass Pat nicht erschossen werden musste. Er nahm seinen Vorschlag an.
Aber der Oberfeldwebel, der später von seinen eigenen Männern von hinten erschossen wurde, war nicht zufrieden. Er dachte, Pats Einfall sei vollständiger Unsinn. Daraus ergab sich, dass Pat in nur zwei Wochen dreimal auf Patrouille geschickt wurde. Er machte es sich zur Regel, dass er nie die Auslöser der Granaten betätigte, nie schoss und nie sein Bajonett benutzte. Irgendwie kam er mit dem Leben davon.
Bei einem Angriff kamen von der gesamten Kompanie nur eine Handvoll Soldaten zurück. Zu ihnen gehörte auch Pat. Sie zählten die Kugellöcher in Pats Uniform. Es waren sechzehn und eine leichte Fleischwunde. Es schien unglaublich, dass er das lebend überstanden hatte.
Der Oberfeldwebel hatte etwas gegen diesen aus der Art geschlagenen Soldaten. Er war ein alter Haudegen, ausgekocht und unsensibel. Pat war klar, dass den Männern nichts lieber wäre, als mit anzusehen, wie ihr Tyrann in eine lächerliche Lage gebracht würde. Einmal wurde er wütend und schrie Pat an, indem er wüste Schimpfwörter gebrauchte. Er befahl ihm, sein Gewehr zu laden und zu schießen. Pat fügte sich ruhig und höflich und zielte dorthin, wo sein Schuss den geringsten Schaden anrichten würde. Er wollte nicht, dass der Oberfeldwebel das Gesicht verlöre.
Immer wieder gab Pat in allen möglichen Einzelheiten nach, gab in technischen Punkten, so weit er konnte, nach, führte getreulich alle Handlungen eines guten Soldaten aus – nur dass er das Töten ausließ. Eines Tages gab ihm der Oberst seinen dritten Streifen. Schließlich hatte der junge Irisch-Kanadier nicht ein einziges Mal gegen die Regeln verstoßen. Der Oberst hatte Sinn für Humor. Er sagte: „Ich gebe Ihnen diesen dritten Streifen, weil ich muss. Niemand, Pat, niemand in der ganzen kanadischen Armee ist besser davongekommen als Sie.“
Bei einem Angriff schlug das kanadische Sperrfeuer in die deutschen Schützengräben ein und Pat und seine Kompanie mussten die Soldaten der anderen Seite „völlig aufreiben“. Das heißt, sie mussten dem Sperrfeuer folgen und jeden Deutschen töten oder gefangen nehmen, auf den sie beim Vorrücken trafen. Jeder Soldat sprang in einen Schützengraben und tat, was er konnte. Natürlich war das verwirrend. Pat war plötzlich allein in einem Schützengraben. Er wusste nicht, ob er vor oder hinter den anderen war.
Als er in einem Graben um die Ecke bog, tauchte vor ihm plötzlich ein Deutscher auf, der zu seinem Empfang bereit war. Gewehr und Bajonette des Deutschen richteten sich auf Pat. Sofort ging Pat, das Gewehr über die Schulter gehängt, auf den Deutschen zu und hielt beide Hände vor sich, die Handflächen ein wenig erhoben. Er hob die Hände nicht über den Kopf. Das wäre zu viel gewesen, so als würde er sich ergeben.
„Kamarad!“ rief Pat und lächelte. Das Bajonett des Deutschen kam näher und war nur einige Meter von Pats Bauch entfernt.
„Sprechen Sie deutsch?“ fuhr Pat fort, „you sprechen English?“
„Nein English“, antwortete grimmig der andere unter seinem Helm hervor.
Der Deutsche war nun überrumpelt, er war überrascht worden. Er war auf einen Bajonettstoß des Feindes gefasst gewesen. Aber dieser seltsame Kanadier fragte ihn, ob er Englisch spreche und noch dazu mit diesem komischen Akzent. Der Deutsche schob mit einer Hand ganz verwirrt den Helm zurück und fasste mit der anderen sein Gewehr fester.
„Liebe mannen“, sagte Pat, „alles mannen.“ (Ich liebe Menschen, alle Menschen.)
„Alles mannen? Deutsch?“ antwortete der Deutsche ungläubig.
„Ya, alles mannen“, und Pat balancierte sein Gewehr auf den ausgestreckten Händen. Er wollte, dass der Deutsche versteht, dass er Patronen im Gürtel hatte und dass er sein Gewehr genau so wirksam gebrauchen könnte wie der Deutsche seines. Das könnte er, aber er würde es nicht tun. Widerstrebend verstand der Deutsche. Die beiden Soldaten setzen sich auf die Gewehrablage. Pat durchsuchte sein Gedächtnis nach deutschen Wörtern. Er wollte sagen: „Ich hasse den Krieg“, also versuchte er: „Nicht war“. Der Deutsche verstand nicht. „Nicht la guerre“, sagte Pat, der nach dem richtigen Wort suchte. Der andere zeigte Verachtung. Offensichtlich missfiel ihm der Gedanke an irgendetwas Französisches. Pat erklärte noch einmal, er liebe alle Menschen.
Die Anspannung dieses behutsamen Balancierens auf der Schwelle des Todes, dazu der seltsame Akzent und die unpassenden Wörter des unerschütterlichen Iren neben ihm waren zu viel für den Deutschen. Er hatte Pat zunächst mit Misstrauen betrachtet, aber jetzt konnte er nicht anders, er musste lachen.
„Ach“, brach es fast unkontrollierbar aus ihm heraus. Er wedelte mit seinem
Gewehr in der Luft herum, als wäre es ein Spazierstock. „Freund! Freund!“ rief er.
Sie schwätzten noch weiter, jeder in seiner eigenen Sprache, aber sie konnten sich gegenseitig verstehen. Schließlich ging jeder der beiden seiner Wege.
Aus dem Buch: