Muriel Lester entschloss sich dazu, für die Unterprivilegierten in Bow einzutreten. Das erste Loch, das sie mietete, war nicht größer als der Raum, in dem Kagawa bei den Slum-Bewohnern in Kobe in Japan lebte, nämlich knapp zwei mal drei Meter. Sie fing erst einmal damit an, sich mit ihren Mitbewohnern bekannt zu machen. Sie wurden niemals unangenehm. Nachdem sie mehr als ein Dutzend Jahre dort gewesen war und Kingsley Hall, das im Gedenken an ihren Bruder eingerichtet worden war, sich seit mehr als drei Jahren als beliebtes Nachbarschaftshaus erwiesen hatte, machte sich eine kräftige und trunksüchtige Frau, wir wollen sie Frau Schmidt nennen, aus einer der dreißig in der Nähe gelegenen Kneipen auf, um „ihr eine Lektion zu erteilen“.
Es war die Zeit der Waffenruhe nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gemeinde befand sich noch im Kriegsfieber. Frau Schmidt hatte Ärger mit ihrer Tochter und es kam ihr eines Abends in den verwirrten Sinn, dass Frau Lester ein passender Sündenbock sein könnte.
Ein Nachbar, der die Drohung mit angehört hatte, eilte nach Kingsley Hall, um die dort Anwesenden zu warnen. „Frau Schmidt hat in der ‚Rose and Crown’ alle überredet, mit ihr loszuziehen. Sie kommen aus der Kneipe und wollen dir Vitriol ins Gesicht gießen, meine Liebe. Es wäre besser, ihr würdet die Polizei rufen.“
Aber die Leute in Kingsley Hall wollten das nicht. Frau Lester sagte zu einem oder zwei Clubleitern: „Dies ist eine Prüfung für euch. In ein paar Minuten werden wir angegriffen. Was nützt es zu sagen ‚Dein Arm allein genügt und unsere Verteidigung ist sicher’, wenn es uns nicht ernst damit ist? Wir wollen weiter tanzen, aber sagt es allen leise weiter.“ Das taten sie und sie hatten den Kampfblick, der manchmal die Augen von Pazifisten zum Leuchten bringt.
Bald war es zehn Uhr, also Zeit zum Schließen, aber von der zweifelhaften Frau Schmidt war nichts zu sehen. Die meisten gingen ein wenig enttäuscht, aber vielleicht auch erleichtert nach Hause. Die wenigen, die noch dort geblieben waren, um zu beten und sauberzumachen, sahen, dass plötzlich etwa 20 aufgeregte Frauen und Männer durch eine Seitentür der Halle hereingekommen waren, angeführt von der besagten Frau. Die riesige Frau Schmidt, sie war „wie eine wandelnde Eiche“, ging auf Frau Lester zu. Sie dachte, dass Kingsley Hall für das, was ihrer Tochter zugestoßen war, büßen sollte. Sie begann eine regelrechte Tirade und konnte anscheinend gar nicht wieder damit aufhören. Die Komik ihres Melodramas war offensichtlich, aber die Verteidigung lag ganz und gar im schweigenden Bewusstsein der Gegenwart Gottes.
Schließlich löste sich ein Dockarbeiter aus der kleinen Gruppe um Frau Lester. Er schlich sich zur Seitentür hinaus in den Beetraum. Eine Minute später, als Frau Schmidt noch Atem für einen erneuten Ausbruch schöpfte, rief einer ihrer betrunkenen Begleiter, offensichtlich ohne zu wissen, was er da sagte: „Gott wird ihre Tochter zurückbringen, Frau Schmidt!“
Alle versammelten sich im Kreis, die Männer zogen ehrfürchtig die Mützen und nahmen am Gebet der Gemeinde von Kingsley Hall teil, die betete, dass das Himmelreich in ihren Straßen und Häusern einkehren möge. Alle fielen in das Amen ein.
Dann bot Frau Lester der überraschten Anführerin formvollendet den Arm und wie Braut und Bräutigam gingen beide hinaus. Die Übrigen folgten ihnen freundschaftlich.
Frau Schmidt wurde nüchtern, bevor sie nach Hause gekommen war, und schwor Frau Lester feierlich ewige Freundschaft. Von der Einhaltung dieses Schwurs wich sie niemals ab. Wenn sie später einmal hörte, dass irgendjemand ihre Freundin kritisierte, stand sie klobig auf, stemmte die Hände in die Hüften und verkündete: „Frau Lester ist eine gute Frau. Ich will nix gegen sie hören!“
Aus dem Buch:
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.