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Freitag

Bergarbeiterfrauen in Bolivien: “Befreiung aller Gefangenen!”

Nach sieben Jahren Militärdiktatur versprach am 22. Dezember 1977 Boliviens Präsident General Banzer anlässlich bevorstehender Wahlen eine Generalamnestie für politische Gefangene. Von dieser aber wurden 348 ausgeschlossen.
Aus der Zinnminenstadt Llallagua kamen am 28. Dezember vier Bergarbeiterfrauen, deren Männer von der Amnestie ausgeschlossen waren, mit ihren insgesamt 14 Kindern in die Hauptstadt La Paz, entschlossen, für die Freiheit der Gefangenen in einen unbefristeten Hungerstreik zu treten. Ihre vier Forderungen: Generalamnestie ohne Einschränkung; Wiederaufnahme aller entlassenen, gefangenen oder exilierten Bergarbeiter in ihre früheren Arbeitsstellen; Rückkehr aller Exilierten (ca. 17000 Personen) und Aufhebung der Besetzung der Bergbauzonen durch die Armee.

Nach Abweisung von der “Permanenten Versammlung für die Menschenrechte”, die eine derartige Aktion für unwirksam hielt, wurden sie im Haus des Erzbischofs Mons. Manrique aufgenommen. Drei Tage später schließen sich zwei weitere Gruppen von elf Personen dem Fasten an, das sie in einer Kirche und am Sitz der unabhängigen katholischen Zeitung “Presencia” durchführen. Solidaritätserklärungen kommen am selben Tag von der Gewerkschaftsföderation der Bergleute, der Frauen-Union Boliviens, dem Interfakultären Komitee der UMSA, der katholischen Kirche und der Permanenten Versammlung für die Menschenrechte. Diese lösen eine Welle der Zustimmung über das ganze Land aus.
Beauftragte der Ministerien suchen die Frauen auf und versprechen, “ihre Fälle” zu revidieren. Die Frauen bestehen dagegen auf der Erfüllung aller Forderungen, da es ihnen nicht nur um die eigenen Familien gehe.

In vielen Städten entstehen Unterstützungskampagnen, am 10. Tag fasten allein in La Paz 300 Personen mit, die meisten im Lande fasten in Kirchen. Universitäten, Betriebe und Minen streiken für kürzere oder längere Zeit, um ihre Solidarität auszudrücken. Expräsident Salinas, der mitfastet, leitet ein neu gebildetes Verhandlungskomitee. Die Regierung weist jedes Verhandlungsangebot zurück, bezichtigt die Streikenden der Subversivität und organisiert Gegendemonstrationen. Wegen der anhaltenden Solidaritätskundgebungen versucht General Banzer über den Erzbischof einen Kompromiss durchzusetzen, der aber von den Fastenden zurückgewiesen wird. Um die Koordinierung des Widerstandes zu behindern, organisiert daraufhin die Regierung über von ihr beauftragte Gewerkschaftskoordinatoren einen Streik, der den Verkehr lahm legt.
Schließlich kommt es doch zu Verhandlungen. Die Regierung bricht diese am Abend des 20. Fastentages ab.

In den frühen Morgenstunden des 21. Tages (17. Januar 1978) besetzt die Polizei viele Orte, an denen sich Fastende aufhalten, außer dem Haus des Erzbischofs, und führt sie z.T. in Krankenhäuser, z.T. in Polizeistationen ab. Das ruft Empörung hervor, immer mehr Menschen solidarisieren sich: 1200 Personen fasten. Der Erzbischof protestiert gegen die Übergriffe gegen die Kirche, exkommuniziert die dafür Verantwortlichen und kündigt gemeinsam mit anderen Bischöfen des Landes eine dreitägige Schließung aller Kirchen an, auch ein Sonntag ist davon betroffen. Gegen Abend ist die Regierung zur Fortsetzung der Verhandlungen bereit, um 23 Uhr wird ein Abkommen erzielt, das alle Forderungen der Fastenden erfüllt, um 23.30 Uhr wird das Fasten beendet, die große Mehrheit der Gefangenen und Verhafteten wird sofort entlassen und die erkämpften Rechte Schritt für Schritt verwirklicht.

(Nach: Hildegard Goss-Mayr [Hrsg.]: Geschenk der Armen an die Reichen. Zeugnisse aus dem gewaltfreien Kampf der erneuerten Kirche in Lateinamerika. Wien, 2. Auflage 1980, S. 123 - 126)

Die ägyptische Revolution 2011: Mechanismen von Gewalt und Gewaltlosigkeit

Ein Vortrag von:
Prof. Dr. Patricia Bauer
PD Dr. Michael Berndt
Prof. Dr. Bertold Schweitzer



















Samstag

"Was passiert, wenn... ?"

  Wir hatten einen Überfall durch faschistoide Typen, und die Reaktionen der Frauen waren sehr unterschiedlich, von Sich-schüchtern-zurückziehen und Angst bis zur Bereitschaft zur energischen, notfalls handgreiflichen Gegenwehr, dazwischen bloßes Zuschauen oder auch Vermitteln-wollen. Bei der ersten Diskussion darum stellten sich starke Verunsicherungen der Frauen untereinander durch diese Gegensätzlichkeiten heraus; so hatten nicht nur die Schüchternen Angst, in eine Knüppelorgie hineingezogen zu werden, sondern auch die Kämpferischen hatten Angst, daß die anderen Frauen ihnen bei einer effektiven Gegenwehr in den Rücken fallen könnten... Wir haben gemerkt: so geht das nicht - daß die Angst voreinander wichtiger wird als die gemeinsame Bedrohung.
  So haben wir erst einmal - buchstäblich Tag und Nacht, denn die "Faschos" hatten gedroht, wiederzukommen und dann massiv zu werden - in Kleingruppen miteinander diskutiert und diese Ängste auf den Tisch gebracht. Wichtig war dabei von der Struktur her, daß die Kleingruppen jeweils aus Frauen der unterschiedlichen Haltungen zusammengesetzt waren. Grundlegend war auch, daß nicht aus der Situation allein heraus entschieden wurde, sondern von dem persönlichen Hintergrund her: Dadurch, daß sich die Frauen ihre jeweiligen Lebensgeschichten mitteilten und voneinander erfuhren, erarbeiteten sie eine Verständnisbasis für ihre verschiedenen Reaktionsweisen. Das ist ein Unterschied zu allen Entscheidungssituationen, die ich sonst kenne. Von diesem Hintergrund aus konnten die Frauen akzeptieren, daß sie verschiedene Formen haben, sich zu verteidigen.
  Daraus haben wir dann eine gemeinsame Strategie entwickelt. Also weder einen Einheitsplan, noch eine Bildung von "Blöcken", wie sonst üblich. Sondern ein gemeinsames Verteidigungskonzept, in dem die unterschiedlichen Verhaltensweisen ihren Platz hatten. Wo sich die verschiedenartigen Frauen - an ihrem Platz und auf ihre unterschiedliche Weise - unterstützten, Vertrauen hatten und gaben und sich bestärkten.
  Das haben wir dann im Rollenspiel geübt. Und zwar so, daß die Frauen, die die "Typen" spielten, uns voll signalisieren konnten, daß wir wirklich Kraft ausstrahlten. Als dann die Typen tatsächlich kamen zum Nachtüberfall, hat das alles funktioniert: Jede wußte, was sie zu tun hatte, die Geschlossenheit, die wir dadurch erzielten, hat die Angreifer abgehalten von ihrem Vorhaben und hat eine Prügelei verhindert.



(Quelle: Sonja Badura, Interview mit Birgit Berg, aus: Konsens, eine Broschüre, hrsg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, 1990, S.47)

Manchmal braucht es Vertrauen

Eines abends im Jahre 1982 wollten zwei ganz normale junge Frauen in Philadelphia ihre Miete bezahlen gehen. Sie hatten weder eine Handtasche noch einen Geldbeutel dabei. Nachdem sie die Miete bezahlt hatten, schlenderten sie wieder nach Hause - ohne einen einzigen Penny in der Tasche. Und es war ihnen anzusehen. Doch plötzlich stellte sich ihnen auf der dunklen und leeren Straße ein Mann in den Weg und hielt der ihm am nächsten stehenden ein Messer an die Kehle.
  "Ich will Geld. Ich habe kein Geld."
  So etwas geschieht heutzutage in den Straßen der Städte - der vor Schmerz fast verrückte Junkie, der an die Spritze will. Und wenn sein Versuch fehlschlägt, dann kann er nicht einfach ruhig wieder abziehen; mit Sicherheit würde sofort die Polizei alarmiert, die ihm mit heulenden Sirenen, Suchscheinwerfern und gezückten Revolvern nachjagte. Leuteüberfallen ist eben kein Geschäft, wo man sich von einer schlechten Aussicht abwenden kann, um gelassen einen lohnenderen Kunden zu suchen.
  Was sollten die beiden Frauen tun? Wenn eine floh, das erkannten sie gleich, dann würde die andere dem Messer zum Opfer fallen.
  "Ich will das eigentlich nicht tun", sagte der Junkie. "Es macht mir keinen Spass, Leuten weh zu tun. Aber manchmal muß ich einfach!"
  Das Messeer kam näher.
  "Und wenn es sein muß, mach' ich es jetzt. Wenn ich kein Geld kriege, muß ich jemandem weh tun."
  "Aber wir haben kein Geld!"
  "Ich muß aber Geld haben!"
  Sie fingen an, sich Alternativen für ihn zu überlegen. Aber keine war praktikabel.
  "Wenn ich kein Geld kriege, muß ich euch weh tun."
  "Paß auf", sagte die Kleinere, das Kinn über dem Messer. "Ich bleibe bei dir. Mary geht zurück in meine Wohnung und holt das Geld für dich."
  "Nein, auf keinen Fall. Sie ruft nur die Bullen an."
  "Nein, das tut sie nicht! Wirklich nicht! Ich bin doch hier. Sie ruft doch nicht die Bullen, wenn ich noch hier bin."
  Immer noch war die Straße menschenleer. Die drei befanden sich in einer dramatischen Lage. Das Messer war geschwärzt, um kein Licht zu spiegeln. In den jungen Frauen begann ein seltsames Verständnis zu wachsen. Er machte das wirklich nicht gerne. Es ging ihm tatsächlich schlecht. Er war unberechenbar. Außerdem hatte er mehr Angst als sie.
  "Paß auf, du kommst mit uns. Ich hab' ein bißchen Geld in meiner Wohnung. Komm mit."
  "Nein! Dein Mann ist in der Wohnung. Irgend ein Mann ist dort."
  Das Messer begann wieder zu drohen.
  "Es ist niemand dort. Ehrlich! Die Wohnung ist leer. Du mußt uns vertrauen. Los, wir gehen alle zusammen."
  "Es ist ein Trick."
  "Nein, es ist kein Trick."
  Gab er nach? Seine Lage war so unhaltbar wie ihre - noch unhaltbarer. Sie hatten einfach kein Geld bei sich, das sie ihm hier auf der Straße geben konnten. Er konnte drohen, wie er wollte, er konnte sie dadurch nicht zwingen, ihm etwas zu geben, was sie nicht hatten. Und wenn er sie verletzte, würde es auch nichts helfen. Er war in einer unmöglichen Lage, und diese schreckliche Ausweglosigkeit steigerte noch seine Verrücktheit und Frustration.
  "Vertrau uns doch!"
  Sie sprach ihn direkt an, von Person zu Person, sah ihm fest in die Augen - ein Mensch dem anderen.
  "Ich wohne gleich um die Ecke. Komm mit in meine Wohnung."
  Er wurde unsicher.
  "Es ist niemand da. Vertrau uns doch! Komm mit!"
  Langsam, das Messer bereithaltend, begann er, sich mit ihnen die dunkle Straße hinunter zu bewegen. Die junge Frau sprach normal und ruhig weiter.
  An der Außentür angekommen, zog er sie näher ans Messer heran.
  "Es ist gleich die Treppe hoch. Es ist niemand da. Vertrau uns nur!"
  In der Vorhalle. Die Treppe hoch. Den Schlüssel ins Schloß. Dann nahm die andere Frau den Platz unter dem Messer ein. Die kleinere ging in die Wohnung und suchte nach ihrem Geldbeutel. Zehn Dollar. Ein Zehn-Dollar-Schein - das war alles, was sie hatte. Sie rannte zurück zur Tür und gab es ihm.
  "Sonst hast du nichts?"
  Ein Gefühl plötzlichen Versinkens. Nach allem, was geschehen war, nach dem Anschein des Vertrauens, der scheinbaren Lösung ihrer Not - wollte er nach all dem noch mehr verlangen? Sie hatte nicht mehr Geld. Die Wohnungstür stand offen hinter ihr.
  "Das ist alles. Das ist wirklich alles."
  "Aber ich brauche doch nur fünf Dollar. Und ich hab' kein Wechselgeld."
  "Nimm es nur! Nimm es! Es stimmt schon."
  "Aber ich brauche doch nur fünf."
  Seine Hände zitterten und seine Stimme bebte.
  "Es ist in Ordnung. Nimm es! Nimm es!"
  Er sah auf den Geldschein hinunter, dann wieder in die Augen der jungen Frau.
  "Tschüß", sagte er. "Tschüß dann."
  Er stolperte die Stufen hinunter und hinaus in die Nacht.
  Die jungen Frauen plumpsten auf das Sofa, jetzt voller Angst, da sie nicht mehr unter Spannung standen.



(Quelle: Dorothy T.Samuel, Safe Passage on City Streets, 1975; mit freundlicher Genehmigung des Agape-Verlages (s.o.17.), S.88ff)

Im U-Bahn Tunnel

Ich kam gerade aus der U-Bahn und ging meinen Weg nach oben. Wie immer ein etwas längerer Tunnel, durch den die FußgängerInnen gehen müssen, um nach oben zu gelangen.
Ich komme an zwei Leuten vorbei: ein Mädchen und ein Mann bei ihr. Wie sie zueinander standen, war unklar. Doch mir war ein wenig mulmig. So drehte ich mich nach ca. 20 Metern nochmal um und schaute zurück. Das Mädchen wurde von dem Mann angesprochen, und noch war die Situation uneindeutig. Doch als ich blieb und eine Weile beobachtete, sah es nach Streit aus, und das Mädchen fing an zu schreien:  "Laß mich!".
Nun ging ich wieder zurück. Ich ging direkt auf die beiden zu und sagte zu dem Mann in meiner festen, klaren und lauten Art:  "Du läßt sie jetzt sofort los!"
Es war nicht aggressiv, nur äußerst deutlich.
Er zeigte einen harten Blick. Ich war mir nun selbst unsicher und meinte schon: Vielleicht holt er gleich ein Messer hervor. Doch ich hielt einfach seinem Blick stand. Dann ging ich wieder; und als ich mich noch einmal umdrehte, war auch er gegangen und hatte das Mädchen losgelassen. Es hatte also anscheinend etwas genützt.



(Quelle: Ute Delor, Freiburg)

Donnerstag

Das Abi-Scherz Verbot, ein Gütekrafterlebnis

„Mein Gütekrafterlebnis“ von Kristin Ideler:

Der Abi-Scherz und die damit verbundene Feier der Abiturienten mit der gesamten Schule, hatte an meinem ehemaligen Gymnasium, wie auch an den meisten anderen Schulen, eine besondere Tradition.
Doch vor einigen Jahren, als wir einen neuen, sehr autoritär veranlagten, Direktor bekamen, verbot dieser einfach den Abi-Scherz mit der Begründung, das dass Sommerhalbjahr sowieso schon so kurz ist und der Abi-Scherz ja sowieso nur eine blöde Party ist, die die Schüler vom Lernen abhält. Sofern die Abiturienten seine Anweisung nicht beachten würden, drohte er mit dem Einbehalt der Abiturzeugnisse.

Nun gab es zwei Möglichkeiten, entweder man nimmt diese Einschränkung hin und wartet darauf, was der neue Direktor als nächstes verbieten möchte, oder man zeigt ihm, dass auch die Schülerschaft ein Mitbestimmungsrecht hat, wenn es darum geht die eigene Schulzeit mitzugestalten.
Vor allem die Abiturienten fingen nun an dem Direktor Paroli zu bieten. Denn sie betraf diese Ungerechtigkeit ja besonders. Sie hatten in den letzten Monaten gelernt, gelernt und noch mal gelernt und alle Prüfungen hinter sich gebracht und nun wollte man sie um ihre Belohnung bringen. Zumal alle Abiturjahrgänge zuvor den Abi-Scherz ohne Probleme und mit allseitiger Begeisterung veranstalten konnten.

Der erste Schritt war ein Gespräch mit dem Direktor. Man wollte ihm zeigen, wie wichtig der Abi-Scherz für die Schulgemeinde ist und das man ihn nicht einfach abschaffen kann. Doch der Direktor ließ sich in keinster Weise überzeugen und wurde sogar noch wütend, weil er dachte, dass man seine absolute Autorität anzweifelte.
Da das Gespräch gar nichts gebracht hatte, wurde eines Morgens eine Sitzblockade veranstaltet, um den Direktor so zu überzeugen. Mehr als ein Drittel der Schüler beteiligten sich. Und so war nicht nur fast das ganze Treppenhaus blockiert, sondern es konnte de facto auch kein sinnvoller Unterricht stattfinden.
Doch auch jetzt war der Direktor noch nicht zum Einlenken bereit, auch wenn sogar die Lehrer ihm teilweise rieten, sein Verbot des Abi-Scherzes wieder aufzuheben, weil es die sinnvollste Lösung wäre.
Doch nun kam ein weiterer Faktor hinzu, der den Direktor schließlich zum Einlenken bewegen sollte, allein schon die „Drohung“ die regionale und überregionale Presse sei informiert und werde bald eintreffen, bewirkte ein Aufweichen seiner Position. Als dann der erste Reporter da war, gab er seine Position ganz auf.

Seitdem ist der Abi-Scherz an meiner ehemaligen Schule wieder Tradition. Und es gab nie wieder Probleme damit.

Die Frauen von Medellin: Trinkwasser für das Barrio

Die Frauen von Medellin: Trinkwasser für das Barrio

Medellin liegt in einem Tal: die moderne Großstadt unten in der Talsohle, an den Hängen ziehen sich die Elendsviertel (Barrios) hinauf. In den 1960er Jahren lebten dort in einem sehr großen Barrio etwa 30 000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen: Sie hatten weder Strom noch Straßen und, was neben der Arbeitslosigkeit das Schlimmste war, es gab keine Trinkwasserversorgung. Das führte u. a. zu hoher Kindersterblichkeit.
Die Bewohnerinnen mussten sich das Wasser unten im Tal an Zapfstellen holen und es dann zwei Kilometer den Berg hinaufschleppen. Außerdem mussten sie auch noch dafür bezahlen. – In diesem Barrio baute ein Priester Basisgemeinden auf. Die Menschen lasen gemeinsam in der Bibel und entdeckten, dass sie Würde und Rechte besaßen. Sie lernten, dass sie ihre Situation nicht einfach hinnehmen müssten, sondern dass es eine Möglichkeit gab, das Unrecht nicht mit neuem Unrecht, sondern aus der Kraft, die Gottes Frohe Botschaft schenkt, also aus der Liebe, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, zu überwinden. Ein Gütekraft-Seminar stärkte sie und zeigte ihnen methodische Möglichkeiten, ihre neu entdeckte Kraft anzuwenden. Eine Gruppe von Frauen beschloss daraufhin, sich zunächst für die Trinkwasserversorgung einzusetzen.

Zuerst versuchten sie es mit einem Dialog. Medellin ist eine reiche Stadt von mehr als einer Million Einwohnern. Es gelang den Frauen, zur Stadtverwaltung vorzudringen, um dort ihr Problem vorzutragen. Sie baten darum, dem Bairro Trinkwasser zuzuleiten. Die Antwort war: Zurzeit gebe es kein Geld dafür, aber in ein paar Monaten werde man mit ihnen über das Projekt sprechen, sie sollten nur ruhig wieder nach Hause gehen. Die Frauen gingen wieder nach Hause und warteten, aber nichts geschah.
Sie erkannten, dass das an dem Missverhältnis der Machtverteilung zwischen ein paar armen Frauen und der Stadtverwaltung lag. Um als Verhandlungspartner mehr Gewicht zu bekommen, wollten sie ihre Machtstellung dadurch verbessern, dass sie einflussreiche Gruppen zur Solidarität einluden. Wen könnten sie am ehesten ansprechen und für sich gewinnen? Sie setzten auf die wohlhabenden Frauen unten in der Stadt. Diese Frauen würden sich vermutlich für sie einsetzten, wenn sie von der Situation der armen Frauen erführen. Die Frauen aus dem Barrio bildeten zehn Gruppen. An einem festgesetzten Tag stiegen sie, jede mit ihrem jüngsten Kind auf dem Arm, hinunter zur Plaza, dem schönen, alten Platz mitten in der Stadt, der von Boutiquen umgeben ist, in denen die gut Situierten einkaufen. In der Mitte der Plaza steht ein großer Springbrunnen, aus dem Tag und Nacht Wasser fließt. Der Wind trägt Wasser über den Rand des Brunnens hinaus, sodass um ihn herum Pfützen auf dem Pflaster entstehen. Die erste Gruppe nähert sich dem Brunnen. Die Frauen fangen an, ihre Kinder zu waschen, aber nicht etwa in dem Brunnen, sondern in den Pfützen. Gleich bleiben wohlhabende Frauen stehen und sagen: „Ihr seid verrückt, ihr seid dumm! Wie könnt ihr eure Kinder in dem schmutzigen Wasser waschen? Sie werden daran sterben!“ Das ist die Gelegenheit! Die armen Frauen können den reichen Frauen von ihrem Leid erzählen! Sie sagen:  „Dies ist ein Symbol. Wir leben da oben in dem Barrio, da gibt es zwar Regenwasser, aber kein Trinkwasser. Wir haben die Stadtverwaltung gebeten, aber sie hat sich bisher nicht um eine Trinkwasserleitung für uns gekümmert.“ Kaum hat das Gespräch begonnen, da verjagen Polizisten die armen Frauen: „Hier werden keine Kinder gewaschen!“ Nach zehn Minuten kommt die zweite Gruppe. Die Szene wiederholt sich fünf oder sechs Mal: Immer wieder kommt eine neue Gruppe, immer mehr Polizei kommt hinzu und immer mehr Frauen bleiben stehen. Als ein Polizist eine der armen Frauen und ihr Kind mit dem Knüppel schlägt, tritt eine wohlhabende Frau dazwischen: „Mein Herr, wenn Ihre Frau in der Situation wäre, würde sie dasselbe tun!“ Das wirkt. Schließlich bilden arme und wohlhabende Frauen zusammen eine kleine Gruppe, die sich einige Male trifft. Nach wenigen Wochen sind sie gemeinsam bei der Stadtverwaltung, es kommt zu einem Gespräch. Die armen Frauen haben inzwischen auch ihre Männer dafür gewonnen, sich aktiv für ihre Versorgung mit Trinkwasser einzusetzen: Sie erklären sich bereit, die Gräben für die Wasserleitung auszuheben, um die Kosten der Stadtverwaltung zu senken.
Die Wasserleitung wurde gebaut.

Ein Stein oben am Hügel erinnert an das Ereignis. Die Inschrift lautet: „Zu Ehren der Frauen vom Barrio Santo Domingo, die den Mut hatten, für die Wasserleitung zu kämpfen“. Aus dieser ersten Erfahrung der Frauen mit der Kraft, die in ihnen liegt, entstanden weitere Initiativen. Als der Priester (aufgrund einer Anzeige) versetzt wurde, waren die Armen im Barrio in der Lage, selbstständig weiterzuarbeiten.

Nach: Goss-Mayr, Hildegard (2002): Elemente der Gütekraft. An Hand von Beispielen erklärt. In: gewaltfreie aktion, Jg. 34, H. 131, S. 17f.