Posts mit dem Label sonstige Berichte werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label sonstige Berichte werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag

Ermutigende Beispiele für Friedenshandeln

Ermutigende Beispiele für Friedenshandeln

- Der Kampagne ICAN ist es in rund zehn Jahren gelungen, mehr als 120
Staaten unter einem Atomwaffenverbotsantrag zu sammeln - und dafür
2017 den Friedensnobelpreis zu erhalten. 2020 haben 50 Staaten den Vertrag ratifiziert, genug für sein Inkrafttreten im Januar 2021.

- Nach Protesten von Friedensbewegten in Köln sagte die Messeleitung
Köln die Militär- und Waffentechnik-Messe Itec für das Jahr 2018 ab.
Auf der letzten Itec-Messe im Jahre 2014 hatten noch 110
Rüstungsunternehmen ihre todbringenden Produkte ausgestellt. Nun gilt
es diese weiter gezogene Rüstungs-Messe aus Stuttgart zu vertreiben!

- Durch massive Proteste aus der Zivilbevölkerung - u.a. von der
Kampagne "Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel" - sind bis heute keine
neuen Panzer an Saudi-Arabien ausgeliefert worden.

- Zumindest die Pläne für eine gemeinsame türkisch-deutsche
Panzerfabrik sowie die bessere Panzerung bereits gelieferter deutscher
Leopard-Panzer wurden von der neuen Bundesregierung vorerst auf Eis
gelegt.

- In Lahr - zwischen Freiburg und Offenburg gelegen - hat die örtliche
Friedensbewegung es geschafft, den Gemeinderat zu überzeugen, gegen
die Ansiedlung einer Schweizer Munitionsfabrik zu stimmen - und damit
auch auf Gewerbeeinnahmen zu verzichten.

- Die Europäische Investitionsbank (EIB) erteilte vor zwei Jahren den
Vorschlägen der EU-Kommission zur Finanzierung von
EU-Rüstungsprojekten eine Absage. Begründung: Sie müsse sich
refinanzieren bei Anlegern, die ganz klar die Finanzierung von Rüstung
aus ethischen Gründen ausgeschlossen haben.

- Die Kampagne "Abrüsten statt Aufrüsten" hat in relativ kurzer Zeit
unzählige Unterschriften gesammelt, das 2-Prozent-Aufrüstungsziel zu
verhindern - und statt dessen eine Umschichtung von Rüstungsausgaben
hin zu Schulen, Kindertagesstätten, sozialem Wohnungsbau,
Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr, kommunaler Infrastruktur,
Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und
internationaler Hilfe zur Selbsthilfe gefordert.

- Private und institutionelle Anleger, die sich der globalen
Divestment-Bewegung angeschlossen haben und aus Investitionen mit
Verbindungen zu fossilen Energien aussteigen, verfügen mittlerweile
über ein Gesamtvermögen von mehr als fünf Billionen US-Dollar.

Wer nicht bei der GLS-Bank, der Triodos-Bank oder der Ethik-Bank sein
Geld angelegt hat, läuft Gefahr, dass sein Erspartes irgendwo in einer
Waffenschmiede Unheil anrichtet.

Fragt bei euren Banken nach - und schichtet euer Geld dorthin um, wo
es sinnvoll zum Beispiel in erneuerbaren Energien oder Biohöfen
eingesetzt wird!


Wo sind Menschen noch an anderen Orten und arbeiten an einer gerechteren und friedvolleren Welt?

- In der Nähe von Magdeburg engagieren sich Friedensbewegte in der
Kampagne "Krieg beginnt hier" - um darauf hinzuweisen, dass auf dem
nahe gelegenen Gefechts-Übungszentrum Altmark von deutschem Boden aus
Kriege eingeübt und vorbereitet werden.

- In Büchel protestieren auch 2018 wieder verschiedene Gruppen gegen
die Modernisierung und für den Abzug der letzten Atomwaffen auf
deutschem Boden. Für den 7. Juli 2018 haben mehrere Landeskirchen
ihren Protest-Besuch angekündigt.

- In und um Ramstein in der Pfalz fordern Menschen die Beendigung
völkerrechtswidriger US-Drohneneinsätzen von deutschem Boden aus und
die Schließung der Airbase Ramstein.

- Die Kampagne "Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien" wird weiter
daran arbeiten, die wachsende Zahl der Nein-Stimmen im deutschen
Bundestag bei der nächsten Verlängerung der Bundeswehrmandate für
Syrien und Irak zu erhöhen - und gleichzeitig zivile Konfliktlösungen
vorstellen.

- An vielen Orten in Deutschland gibt es Gruppen, die sich mit der
Forderung "Bundeswehr raus den Schulen" u.a. für die Einhaltung der
UN-Kinderrechtskonvention einsetzen. Derzeit sind mehr als 1000 unter
18-Jährige in der Bundeswehr eingesetzt, die gemäß der
UN-Kinderrechtskonvention dort gar nicht sein dürften!

- Ende Mai bis Anfang Juni wird die Aktion Staffellauf 2018 von
Oberndorf nach Berlin stattfinden. Vom Sitz des Rüstungskonzerns
Heckler und Koch werden sich Menschen in Etappen auf den Weg zur
Bundesregierung aufmachen, um dort am 2. Juni 2018 eine Großkundgebung
abzuhalten. Sie werden dort mit einer Friedensfahrradtour zusammen
treffen, die von Würzburg aus startet und ebenfalls wie die
Läufergruppe Station an Rüstungsstandorten machen wird.

- Vor dem Festsaal bei der Weihnachtsfeier der Firma Diehl mahnten
Aktive: "Christen bauen keine Waffen" - eine Auffassung, die auch
Papst Franziskus vertritt.

- Die friedenspolitisch sehr aktive evangelische Landeskirche Baden
erarbeitete ein Rüstungs-Ausstiegsszenario und stellte den Entwurf in
den Friedensräumen Lindau vor. Der evangelische Landesbischof traf
sich zur Diskussion mit dem Chef des Diehl-Konzerns.

- Mehrere Landeskirchen haben sich auf den Weg gemacht, "Kirchen eines
gerechten Friedens" zu werden!

- Auch in diesem Jahr (2018) wird es in Überlingen wieder einen
Frieden-Stiftertag mit einem ganztägigen Workshop zu Fragen
gewaltfreier Konfliktbearbeitung geben.

- Vertreterinnen und Vertreter des 60-köpfigen Vereins "Keine Waffen vom
Bodensee" haben Pfarrerinnen und Pfarrer aus vier Landeskirchen zu
einer Langzeitfortbildung eingeladen. Themen sind die Rüstungsbetriebe
am Bodensee und deren Konversion.

- Als Untergruppe des Vereins "Keine Waffen vom Bodensee" hat sich vor
drei Jahren die Initiative "Friedensregion Bodensee" gebildet, der
inzwischen rund 20 Mitglieder angehören. Diese Gruppe, der besonders
die positiven Friedensansätze am Herzen liegen, beschäftigt sich u.a.
damit, welche konkreten Alternativen es zur Herstellung von Waffen am
Bodensee gibt.

Die Initiative fragt auch, wie den in den Rüstungskonzernen
Beschäftigten die Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes durch
sinnvolle zivile Produktionsmöglichkeiten genommen werden kann.

Zu den Aktivitäten der Gruppe "Friedensregion Bodensee" gehört u.a.
das WIR-Cafe in Owingen als Internationaler Treffpunkt.

- Im Mai wird im Pestalozzi-Kinder- und Jugenddorf Wahlwies im Rahmen
des "Pilgerweges für den Frieden" ein Friedensbaum gepflanzt werden.
In Stockach findet die Aktion "Singen für den Frieden" statt.

- Am westlichen Bodensee gibt es schon jetzt zahlreiche
landwirtschaftliche Demeter-Betriebe und andere Biohöfe für
nachhaltigen und fairen Einkauf und Konsum.

- Die Integration von Flüchtlingen wird in vielen Gemeinden groß
geschrieben. Dem wachsenden Rechtsruck in Europa begegnen Menschen
rund um den Bodensee mit ihrer friedensfördernden und integrierenden
Arbeit mit Menschen aus aller Welt.

- Mit den Friedensräumen in Lindau und dem Friedensmuseum in Schachen
stehen kulturelle Räume zur Begegnung und zum Austausch bereit, die
noch weit größere Aufmerksamkeit verdienen als bisher.

Auszüge aus der Rede von Clemens Ronnefeldt, anlässlich der Bodenseekonferenz am 2. April 2018 in Bregenz. Ergänzt von Martin Arnold.
Clemens Ronnefeldt,
Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen
Versöhnungsbundes

Freitag

Der Mann im Wald: “Ihr sollt wissen...”

Ein junger Mann, der sich wegen seiner Kriegsdienstverweigerung Rat bei mir (M.A.) holte, erzählte von seinem Vater: Er ging in der Dämmerung im Wald, plötzlich verstellten ihm drei junge Männer den Weg: “Geld her!!” Er blieb stehen und warf ihnen sein Portemonnaie hin. Sie hoben es auf und öffneten es. Es war nicht viel Geld darin. Sie standen da, plötzlich zieht einer von ihnen ein Messer, sagt zu den anderen: “Wenn der uns verpfeift - ” und geht mit der Waffe auf den Mann los. Dieser bleibt stehen, ergreift sein Hemd vor der Brust und zieht es hoch. Er hält ihnen die nackte Brust entgegen und sagt: “Ihr könnt mich umbringen. Aber Ihr sollt wissen: Ich habe eine Frau und drei Kinder. Die sind auch davon betroffen.” Der andere lässt das Messer sinken, sie werfen ihm die Geldbörse noch hin und verschwinden.

Samstag

Augenkontakt

  Eine Begebenheit auf der Straße kann ich erzählen, wo ich mal reingefallen bin. Raus kam ich da wieder, weil ich gerade an einem Training für Gewaltfreiheit mitgemacht hatte. Ich will diese Story gerne erzählen, weil es ein Beispiel dafür ist, wie sich Trainings auszahlen können. In diesem Fall also war ich umzingelt von einer Gruppe schwarzer junger Männer spät in der Nacht. Ich war alleine. Ich war selbst blöd, daß ich in diese Situation kam. Ich hätte es vermeiden können. Ich tat es sicher aus einer überheblichen Männlichkeit heraus, und dann fand ich mich umzingelt von diesen jungen Männern. Einer von ihnen stieß mich gegen die Wand.
  Woran ich mich erinnerte von dem Training, an dem ich teilgenommen hatte, war das interessante Gespräch über die Geschichte von John Wesley, der in England sehr oft angepöbelt wurde. Er war ein methodistischer Prediger und er hatte gelernt, wie er mit dem Mob umging. Was er tun würde, war, den Kopf hoch nehmen und auf die Seite wenden, so daß die Leute sein Gesicht sehen können und daß er damit so menschlich als möglich sein kann. Er würde sich umschauen und entscheiden, wer wohl der Anführer dieses Mob sei. Und dann würde er keinen anderen mehr anschauen. Er würde alleine direkt mit dieser Person verhandeln und - wenn da allzu viel Lärm wäre - würde er einfach den Augenkontakt mit dieser Person behalten. Er würde alle Energie dieser Person zuwenden, bis sie bei dem Mob interveniert und die Situation wendet.
  So erinnerte ich mich an dieses Gespräch jetzt bei meiner Bedrohung und schaute mich nach ihnen um, als ich entschied, daß es nicht der Mann war, der mich so energisch gegen die Wand drückte, daß er der Anführer sei. Intuitiv entschied ich, daß es ein anderer war. Also fixierte ich völlig diese Person. Ich sprach zu ihm. Ich war empört. Ich zeigte meinen Ärger. Ich sagte:
  "Warum machst Du das mit mir? Ich bin hier mitten in der Nacht und hole Arznei für mein Baby und Du machst dies mit mir! Was hab' ich getan? Womit hab' ich das verdient? Das verwirrt mich! Warum machst Du das?"
  In keiner Weise erniedrigte ich ihn. Ich war nicht respektlos. Ich drückte allein meinen Ärger über diesen Vorfall aus. Die ganze Zeit über fixierte ich ihn; meist war es Augenkontakt, meine Stimme war womöglich auch sehr gewichtig. Nach einiger Zeit intervenierte er bei dem Jungen, der die Initiative ergriffen hatte, und sagte ihm, er solle aufhören, und so kamen sie in Diskussion, was sie mit mir machen wollten. Während alle mit diesen Fragen beschäftigt waren, konnte ich sicher weggehen.



(Quelle:George Lakey, Philadelphia, Interview mit Uwe Painke, Okt.92)



Was ist canaille?

  Während einer der im 19.Jahrhundert häufigen Unruhen in Paris erhielt der Kommandant einer Gardeabteilung den Befehl, einen Platz durch Gebrauch der Schußwaffe von der dort demonstrierenden canaille zu räumen. Er befahl seinen Leuten, durchzuladen und die Gewehre auf die Demonstranten anzuschlagen. Während die Menge vor Entsetzen erstarrte, zog er seinen Säbel und rief mit schallender Stimme:
 "Mesdames, M'sieurs, ich habe den Befehl, auf die canaille zu schießen. Da ich vor mir aber eine große Anzahl ehrenwerter Bürger sehe, bitte ich sie, wegzugehen, damit ich unbehindert auf die canaille feuern kann."
  Der Platz war in wenigen Minuten leer.

Angespuckt

  Es ist mir mal passiert, daß ich in Bremen, von drei Rockern, die mir entgegenkamen, angespuckt wurde. Ich war auf'm Fahrrad, und die spuckten mir echt so tierisch ins Gesicht. Ich bin erst ein Stück weitergefahren, aber dann hab ich kehrtgemacht und bin zu denen hingegangen und hab denjenigen, der mich angespuckt hat, einfach gefragt, warum er das gemacht hat. Und der war total geplättet und stand da richtig verdattert und verdutzt. Es war ihm richtig peinlich, und er mochte mich kaum angucken. Schließlich sind die drei bedröppelt weitergegangen. Und ich selber hab mich gut gefühlt, daß ich mir das nicht einfach so hab gefallen lassen, diese anonyme Gewalt in der Stadt, sondern daß ich darauf reagiert hab und persönlich den Kontakt versucht habe herzustellen zu denen.

Die Krankenschwester

  Eine westdeutsche Krankenschwester verließ einen Festsaal in dem Dörfchen Assendorf und ging ihren Weg. Da versuchte ein junger Mann, sie auf der Straße anzugreifen. Sofort war das erste, was der Krankenschwester einfiel, Gebete. Diese begann sie sogleich so laut wie möglich auf der Straße zu beten.
  Der Mann hatte solch eine Selbstverteidigung nicht erwartet und ließ sie gehen; aber kurze Zeit später versuchte er es noch einmal mit zwei Saufkumpanen. Erneut fing das Mädchen an, so laut zu beten, daß alle in der Straße das Geschehen bemerken mußten - auch die Polizei, die die drei festnahm, noch bevor ein Unglück geschehen war.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.2., S.31)

Der gewaltfreie Niels

  Der achtjährige Niels steht auf dem Schulhof. Da kommt sein Freund auf ihn zu, hat die Fäuste geballt und fängt an zu boxen. Er sagt zu Niels: "Komm, wir wollen uns jetzt bekämpfen."
  Da gibt Niels ganz spontan zurück: "Aber ich bin doch gewaltfrei!"
  Sogleich dreht sich der Freund um und geht weiter seiner Wege. Niels ist perplex.



(Quelle: Beate Krieger, Zürich)

Die müde Kellnerin

  Eine todmüde Kellnerin war alleine in ihrer kleinen Kneipe, kurz bevor sie geschlossen wurde. Plötzlich sah sie sich mit einem bewaffneten Eindringling konfrontiert. Er forderte von ihr, ihm das Geld aus der Kasse zu geben. Aber sie blieb einfach da sitzen, wo sie ihre Füße zum Ausruhen hingelegt hatte.
  "Ich bin krank", klagte sie, "ich könnte mich nicht einmal bewegen, wenn ich müßte."
  Es gab nichts, das den Verbrecher davon abgehalten hätte, selbst die Kasse zu öffnen. Sie war keine Bedrohung; sie war nicht einmal interessiert. Aber er verschwand. Ihre einfache, menschliche Antwort beseitigte all seine gefühlsmäßige Vorbereitung, weil sie vielleicht ein Appell an seine eigenen Erfahrungen von Erschöpfung war.



(Quelle: ebda., S.37)

Zwei zufriedene Angreifer

  Ich erzähle, was ein Freund von mir erfahren hat:

  Es kamen zwei Männer auf meinen Freund zu, die ihn grob anhielten.
  Mein Freund fragt: "Guten Abend, kann ich etwas für Euch tun?"
  Die anderen: "Wir wollen Dein Geld."
  "Habt Ihr Schwierigkeiten?"
  Die anderen: "Ja, wir brauchen Geld."
  Und mein Freund: "Wieviel braucht ihr?"
  Mit dieser Reaktion hatten seine Angreifer nicht gerechnet. Und dies hatte zur Folge, daß sie nach      einigem Zögern sagten, daß sie 25 Cent brauchten, und verschwanden.



(Quelle: ebda., S.39)

Eine ruhige Hilfe

Es war an einem ruhigen Abend in Frankreich, als ich gemütlich durch eine schon dunkle Straße ging. Da wurde auf einmal die Ruhe durch einige Aufregung gestört: In einiger Entfernung sah ich zwei Menschen - einen Mann und eine Frau - in heftigem Streit miteinander. Was vorgefallen war, konnte ich nicht erkennen.
Doch schon kurz nach meinem Auftauchen bemerkte mich wohl die Frau. Sie kam sofort auf mich zugerannt und hielt sich an mir fest. Es war mir gleich klar: Sie suchte Schutz. Ich legte die Arme um sie; und da kam auch schon der Mann auf uns zu - aggressiv und wütend. Ich sah ihm in die Augen. Es war so meine ganz normale Reaktion: Ich wurde ganz ruhig und sah ihn fest und scharf an. Wie eine große Spannung kam es mir vor - und sehr schnell zog der Mann ab. Der Frau konnte ich einige tröstende Worte sagen. Anscheinend war es hilfreich, auch wenn ich mir selbst dabei sehr passiv vorkam.



(Quelle: Bernd Ebding, Neuershausen)

Die Radfahrerin

Eine junge Frau fuhr mit dem Fahrrad auf der Straße. Ein Auto kam angefahren, in dem drei Männer saßen, die aus dem Wagen sprangen, um sie zu ergreifen und festzuhalten. Was sie genau wollten, blieb undeutlich. Denn im selben Augenblick kam eine andere Frau vorbei, die so tat, als ob sie die junge Radfahrerin kenne. Und sie rief: "Hallo, Marian, wie lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen."
Sie eilte auf "Marian" zu, umarmte sie und führte sie am Arm mit: "Komm mit, wir gehen irgendwohin."
Die drei Männer blieben verdattert zurück.



(Quelle: Han Horstink, s.o.2., S.31)

Lauter Schrei

Eine Frau berichtet, wie sie von einem Mann belästigt und bedroht wird. Die ersten Augenblicke kann sie keinen Laut herausbringen. Doch dann fängt sie an zu schreien; und das half sehr direkt.
Sie erzählt später:  "Es klang so alarmierend, daß Passagiere, die gerade an einer nahegelegenen Haltestelle aus der Straßenbahn stiegen, zu vielen in meine Richtung rannten. Wären es nur wenige Passagiere gewesen, hätten sie sich nicht getraut, wie sie mir später versicherten, dann hätte also auch die Empfehlung "Schreien" nichts geholfen. Außerdem hätte der Mann in Panik geraten können und seine Reaktion läßt sich nur erraten."

Kleine Frau - ganz groß!

Eine junge Frau, kaum einen Meter sechzig groß, von beinahe kindlicher Zerbrechlichkeit, wurde von einem Jungen in einer verlassenen U-Bahn-Station gegen eine Mauer gedrückt. Er wollte offensichtlich beweisen, daß er "Charakter" hatte. Er war nicht älter als zehn oder zwölf Jahre, aber größer und breiter als sie. Auch war er bewaffnet. Als er ein kleines Taschenmesser an ihre Kehle hielt, fühlte er sich so stark und mächtig wie zehn Fernsehhelden. Sie stand ruhig, sah ihn mit glühenden Augen an, beleidigt durch seine Berührung.
"Du hast Angst vor mir, nicht wahr?", freute er sich.
Aber sie war eher wütend als erschrocken; und sie schnauzte in seinem eigenen Sprachgebrauch zurück:  "Ja, ich habe ja eine solche Angst!"
"Wenn ich an Deiner Stelle wäre, hätte ich wohl Angst."
Er bewegte das Messer vor ihren Augen hin und her. Sie fügte noch ein grobes Wort hinzu. Da fiel seine jämmerliche Maske, und sein Spiel ging zu Ende. Er hatte gedacht, daß sie vor ihm zusammenbrechen würde, heulen oder betteln wie ein wimmernder Hund. Aber so gewann er daran keinen Spaß, kein Gefühl von Macht und Herrschaft, keine Phantasie von persönlicher Übermacht und Wichtigkeit. Mit einem Knurren drehte sich der Junge um und lief vom Bahnsteig weg.



(Quelle: Dorothy T.Samuel, zitiert aus: Han Horstink, s.o.2., S.44)

Harte klare Reaktion

Die Bürgersteige waren sehr belebt, als Polly zu ihrem Büro in Chicago Loop ging. Ein Mann lief einen halben Block lang nahe bei ihrem Ellenbogen, aber es war ja schließlich auch sehr voll. Dann kam der Mann näher heran und sagte: "Hallo, Schätzchen, gehst Du mit, etwas trinken?"
"Was, Du verdammter Dreckskerl! Schämst Du Dich nicht", reagierte sie scharf, während sie ihre schwere Schultasche gegen ihn schwang und ihn genau gegen den Rücken traf.
Er drehte sich um und flüchtete. Doch sie schrie ihm lauthals hinterher: "Einen Ehering am Finger, aber auf der Straße unschuldigen Frauen unehrenhafte Angebote machen. Was würde Deine Frau sagen? Du Scheusal! Du hast den Mut, Frauen auf der Straße zu belästigen, während Du eine Frau zu Hause hast." Und so noch einige Worte. Die Leute auf der Straße blieben stehen. Mehrere zeigten schockierte Blicke und Erstaunen; manche Männer schauten entrüstet.



(Quelle: Medea und Thompson, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.86)

Zug-Zwang

Septembertag, Fahrt mit dem Zug. Im Abteil wird es plötzlich laut. Die energische Stimme der Zugschaffnerin:  "Was heißt das: Sie wollen mich umbringen? So etwas lasse ich mir doch nicht einfach sagen! Das nehmen Sie sofort zurück!"
  Ein unverständliches männliches Gebrüll, und dann wieder die klare, resolute Stimme der Schaffnerin:  "Nein! Raus! Mit Ihnen fahre ich nicht weiter. Der Zug bleibt jetzt an dieser Haltestelle stehen, bis Sie ausgestiegen sind!" Sie beharrt darauf, daß der Mann an der kleinen Station aussteigt.

Ich meine, ich habe hier eine gute Lektion erhalten: Diese Frau hat mit ihrer entschlossenen Haltung diesem Mann gegenüber zu¬nächst sehr einfach eine bedrohliche Belästigung gegen sie selbst ab-gewendet. Doch noch mehr: Sie hat damit zugleich ein entschiedenes Zeichen in der Öffentlichkeit gesetzt. Gewalt oder die Drohung damit kann nicht einfach hingenommen werden. Dies darf nicht zur Normalität werden.



(Quelle: -bg-)

Sicher auf der Straße

Ich ging des nachts allein meinen Weg durch die Stadt nach Hause. An einem Mann kam ich vorbei, der am Straßenrand stand. Seine Augen hafteten unangenehm auf mir. Als ich vorbei war, bemerkte ich auch, wie er mir folgte. Absichtlich nahm ich einen anderen Weg, doch er folgte immer noch. Dann holte er mich ein und fragte: "Darf ich ihr Gepäck tragen?"
Denn ich hatte einen Koffer und eine Tasche bei mir.
"Nein!", sagte ich mit klarer Stimme, bog schnell in eine Seitenstraße und lief weg. Doch auch hier folgte er mir. Da drehte ich mich um und sprach ihn sehr laut und hart an: "Laß mich jetzt los!"
Und zugleich ging ich mitten auf der Straße, auf der auch hin und wieder ein Auto durchfuhr. Über meine Reaktion war er nun so erschrocken, daß er gleich abzog.
Ich war froh, als er weg war, und merkte, wie es mich schon etwas gekostet hatte, hier die Nerven zu behalten. Was ich in gleicher Situation auf einem einsamen Waldweg gemacht hätte, weiß ich nicht.



(Quelle: Ute Delor, Freiburg)

Der offene Schnürsenkel

Mein Schnürsenkel war offen. Ich bemerkte es nicht gleich. Doch als ich fast darüber gestolpert wäre, hielt ich an. Da stand gerade ein geparktes Auto vor mir auf dem Gehsteig, und ich nutzte dessen Stoßstange, um meinen Fuß entsprechend etwas höher zu stellen und zu binden.
Doch etwas hatte ich nicht gesehen: in dem Auto saß noch der Fahrer. Dieser kam sofort heraus, wutschnaubend und schimpfend, und drängte mich förmlich ab und in die Ecke. Er war nahe daran, handgreiflich zu werden. Ich meinerseits war von seinem Wutausbruch fast wie gelähmt, ja ohnmächtig; ich blieb zunächst nur einfach gerade stehen. Wie es so meine Art ist, wurde ich auch hier zuerst mal immer ruhiger, je mehr der andere ausbrach. Und im weiteren konnte er auch schon nicht mehr viel machen, da nun gleich einige Leute dazukamen und uns beobachteten. So ließ er wieder ab von mir.

Im Weitergehen dachte ich jedoch bei mir: etwas unbefriedigend, dieses Ende. Mehr Vorbereitung auf soetwas wäre vielleicht besser gewesen. Denn für ein nächstes Mal hat der doch noch nichts gelernt. Immerhin ist es glimpflich ausgegangen - einfach dadurch, daß ich ruhig geblieben bin.


(Quelle: Bernd Ebding, Neuershausen)

Standhaft bleiben

Die Tagung ist beendet, ein gutes Wochenende - und die Sonne scheint uns dazu. Wir gehen zum Abschluß in ein Cafè und stärken uns für die Heimfahrt. In lockerer Stimmung treten wir nach Kaffee und Kuchen wieder auf die Straße - und kollidieren fast mit einem PKW. Sehr rasant kommt er die enge Straße daher und fährt nur Millimeter an mir vorbei. In meinem Übermut gebe ich ihm einen leichten Klaps auf den hinteren Kotflügel.

Szenenwechsel - genau bekomme ich es nicht mit; jedoch steht auf einmal der Fahrer des PKWs direkt vor mir. Mit funkelnden Augen schaut er mich an; scharf fragt er: "Hast Du gerade auf mein Auto gehauen?" Eine gewisse geladene Stimmung schwelt in der Luft. Auch sein Beifahrer ist inzwischen ausgestiegen und beobachtet die Szene. Mitten auf der kleinen Kreuzung stehen wir, mein Gegenüber in herausfordernder Haltung. Ich bleibe klar und fest stehen, bewege mich nicht, und sage nur einfach: "Ja."
Ein dunkles Auto kommt herangeschossen. Der Fahrer stellt den Motor ab, lehnt sich in die offene Türe und meint mit unverkennbarem Unterton: "Was ist los? Machen wir ihn fertig?"
Er macht durchaus den Eindruck, daß er mit Schlägereien einige Erfahrung hat. Ich sehe ihn an, ganz ruhig, ohne etwas zu sagen. Ich sehe auch nochmal die anderen an. Mein Gegenüber sagt einige weitere scharfe Worte gegen mich, doch dann wendet er sich wieder zu seinem PKW und sie fahren ab - das andere Auto hinterher.

Ich habe ihnen zu wenig entsprechende Gegenreaktionen gezeigt, an denen sie sich hätten abreagieren können. Die Wut lief einfach ins Leere. Als die Autos weg sind, fangen mir ordentlich die Kniee an zu schlottern.


(Quelle: Andreas Riehm)

Plakate kleben

An einem Freitag Abend ging ich mit Bert Plakate auf die Reklameflächen in der Stadt kleben. Irgendwann, es war noch hell, näherten wir uns der Nordbrücke. Ich sah dort drei Jungen herumhängen und war gespannt, ob wir unsere Plakate an der Reklamefläche dort ungestört aufhängen könnten. Wir hielten an, aber die Jungen nahmen kaum Notiz von uns. Bert konnte in Ruhe die beiden Plakate aufkleben. Einige Jungen lasen, was darauf stand. Ich machte einem gegenüber noch eine Bemerkung: "Wenn Du auch Lust hast mitzufahren (mit dem Fahrrad)..."
Denn die Plakate kündigten Fahrraddemonstrationen durch verschiedene Viertel in der Stadt an. Aber er zog eine ablehnende Mine und drehte sich um.

Als wir schon fast weggehen wollten, kam ein Junge hinzu, der auch etwa 14 oder 15 Jahre alt war. Er hatte einen langen Stock mit einem Haken dran. Den steckte er nun ganz bedächtig unter das Plakat gegen die Reklamefläche drückte ihn und langsam nach oben, sodaß das Plakat entzwei gerissen wurde. Er wollte uns offensichtlich ärgern. Ich appelierte an ihn: "Mach das doch nicht! Warte wenigstens, bis wir weg sind, sonst ist es so frustrierend für uns."
Dies hatte keine Wirkung. Langsam schob er den Haken weiter nach oben.
Dann fing ich mit einem dicht neben ihm stehenden Jungen an zu sprechen: "Schau mal, er genießt es richtig. Er findet das schön. Siehst Du, er strahlt richtig. Sein Gesicht leuchtet davon."
Das sagte ich mit einem lächelnden Gesicht, als ob ich es mit ihm genoß. Der Junge schob den Haken nicht weiter; er schaute eben in meine Richtung und zeigte sogar einen Augenblick lang eine Neigung zu lächeln. Mit seinem Haken zog er das halbzerrissene Plakat wieder schön gerade auf die Reklamefläche. "Das finde ich sehr nett von Dir," sagte ich.
Er drehte sich um und lief weg - ebenso ruhig, wie er gekommen war.



(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion 91/92, S. 35)

Donnerstag

Der gefährlichste Ort

Ned Richards war 1917 ein kräftiger junger Mann. Er verabscheute den Gedanken, dass seine Klassenkameraden bei dem Massenmord an der Front Kopf und Kragen riskierten, während er als Quäker, der als Kriegsdienstverweigerer anerkannt war, relativ sicher war. Deshalb wandte er sich mit der Frage an einen Freund, der die Weltlage kannte: „Wo ist der gefährlichste Ort, abgesehen von den Schützengräben, an den ich gehen könnte? Ich will als Zivilist etwas Konstruktives tun und nicht in der Armee dienen. Ich will es mir nicht leicht machen.“
Die Antwort war: „In Westpersien wirst du die gewünschte Gefahr finden: Cholera, Ruhr, Typhus, Pocken und das Allerschlimmste, die kriegerischen rücksichtslosen Kurden, die oft aufs Geratewohl schießen.“

Ned Richards ging also nach Persien. Dort heiratete er die Tochter eines Missionars, die so ziemlich ebenso empfand wie er. Er war dazu entschlossen, ein wissenschaftliches Experiment durchzuführen und Persien sollte sein Labor werden. Die Frage war: Wenn einer weder lügt noch hasst noch tötet, kann er dann trotzdem in einer Krise etwas bewirken, wenn er auf den Willen Gottes vertraut?
Die Hypothese, deren Funktionieren er beobachten und dann in eigenen Erfahrungen erproben wollte – das sind seine eigenen Worte –, kann man etwa so formulieren: „Die Macht der Liebe ist stärker als die Macht des Hasses. Um das Böse zu überwinden – es wirklich zu überwinden – kann eine Macht, und nur diese eine, gebraucht werden: Die Macht der Liebe. Das Böse kann man einzig und allein mit dem Guten überwinden. Deshalb muss ich bereit sein, etwas wenigstens ebenso Unangenehmes und Gefährliches zu tun wie die, die ihr Leben in den Schützengräben an der Front aufs Spiel setzen. Aber mein Ziel muss sein, das Leben von Menschen zu erhalten und Versöhnung und Wohlwollen zwischen feindlichen Parteien zu bewirken. Ich darf dabei nur Methoden anwenden, deren Anwendung alle Beteiligten aufrichtet und hilfreich und wohltuend für sie ist. Ich muss bereit sein, mich töten zu lassen, und dennoch jeden Menschen zu lieben und ihm zu helfen, zu lieben: auch die Deutschen, die Türken und alle anderen Menschen. Dieses Programm des Einsatzes ausschließlich guter Mittel kann nur zu guten Ergebnissen führen. Ich brauche nichts weiter zu tun, als am Einsatz guter Mittel festzuhalten. Ich muss mich weigern, böse Mittel einzusetzen.“

Freunde, denen er seine Einstellung erklärte, reagierten mit den damals wie heute üblichen Fragen: „Aber was würdest du tun, wenn du mit Frauen und Kindern in einem Haus wärest und ein paar wilde Türken oder Kurden aus den Bergen würden plötzlich hereinbrechen? Würdest du ihnen einfach ihren Willen lassen? Würdest du dabeistehen und Däumchen drehen oder würdest du wie ein Mann kämpfen? Nehmen wir mal an, du würdest wie ein Mann kämpfen. Könntest du nicht auf diese Weise am besten deine christliche Liebe zeigen? Wenn du die Türken oder Kurden töten würdest, dann würdest du sie davon abhalten, den Frauen und Kindern Leid anzutun, und damit würdest du sie davor bewahren, ihrer eigenen Seele Schaden zuzufügen – meinst du nicht?“
Richards stimmte in einem Punkt zu: Er dürfe kein Feigling sein. Aber es musste einen besseren Weg geben. Wenn irgend möglich, würde er ihn finden. Sein Grundvertrauen bestand darin, dass die wirksamste Weise, die zu verteidigen, für die er verantwortlich war, darin bestand, die richtigen Mittel einzusetzen.

Auf dieser Grundlage konnte er sich darauf verlassen, dass ihm die Kraft und die Weisheit Gottes in dem Augenblick zuteil würden, wenn er sie am meisten brauchte. Selbst wenn die, für die er sterben würde, um sie zu schützen, im Verlauf der Handlung auf brutale Weise getötet würden, wäre ihr Tod nicht umsonst gewesen. Wenn man die Bitte „Dein Reich komme“ aufrichtig ausspreche, würde das mehr bewirken, als wenn man noch so viel um sich schießen würde. Tod und Leben lägen nicht in seinen Händen, sagte Richards. Er könne Gott einzig und allein anbieten, sich in Übereinstimmung mit seinem Gewissen aufrichtig zu bemühen. Und das tat er. Deshalb schiffte er sich in der Erwartung nach Persien ein, dass er niemals nach Hause zurückkehren werde.
Wenige Wochen später sorgte Richards für 500 Waisenkinder. Er organisierte die Arbeit von Flüchtlingen, so dass sie Wolle spinnen und Kleidungsstücke weben konnten. Er reinigte die Straßen von Urumiah. Er begrub die Leichen wieder, die Hunde auf den Friedhöfen ausgegraben hatten. Er benutzte Autos, Karren, Esel und Maultiere.

Er lernte ein wenig die Landessprache und bereitete sich auf sein Experiment vor. Aber es geschah nichts. Er wartete. Monate vergingen. Dann waren eines Tages Hufschläge vor dem Tor des Gebäudes zu hören. Kurz darauf wurde mit Gewehrkolben an die Tür gehämmert. Richards öffnete. Die wütenden Gesichter marodierender Stammesangehöriger starrten ihm entgegen. Endlich waren die Kurden da!
„Puhl! Puhl (Geld, Geld)!“ schrieen sie.
„In Ordnung“, sagte Richards, „wir werden etwas suchen.“
Eine Schublade wurde herausgezogen. Dort lag eine kleine Geldtasche mit Münzen. Die Kurden bedienten sich. Richards führte sie zu dem russischen Safe, einem großen Eisenkasten, der einige tausend Dollar für die Hilfsarbeiten enthielt. Aber er hatte keinen Schlüssel. Sollte das sein Ende sein? Nein. Vielleicht könnten sie das Schloss mit einem Schuss sprengen. Er legte einen Finger auf das Schlüsselloch, zeigte damit einem Kurden, wohin er zielen sollte und zog schnell die Hand weg. Es gab einen großen Knall, aber der Safe gab keinen Cent heraus.

Als er die Kurden hereingelassen hatte, bekannte er später, hatte er eine Angst wie nie zuvor in seinem Leben empfunden. Aber dies hier war schlimmer. Es war, als hätte seine Seele den Boden verloren. Er war zu Tode erschreckt. Dann betete er wortlos das Verzweiflungsgebet: „Gott, ich brauche deine Hilfe!“ Plötzlich war seine Angst verschwunden.
Einer der Kurden schlug ihm äußerst stark auf die Schulter. Er drehte sich um und sah den Mann an, als wolle er ausdrücken: „Was soll das? Kannst du nicht sehen, dass ich kooperiere?“ Der Mann senkte das Gewehr.

Ein Kurde schoss in den zweiten Safe. Auch er öffnete sich nicht. Eine wütende Stimme verlangte den Schlüssel. Richards drehte sich um. Ein anderer Kurde zielte auf ihn, den Finger am Abzug. Es war ihm offensichtlich ernst. Auch Richards war es ernst. Er sah ihm mit der ganzen spirituellen Kraft, die er aufbringen konnte, gerade ins Gesicht und sagte die Wahrheit: Er tat wirklich sein Möglichstes, um den Kurden behilflich zu sein. Kein Schuss fiel. Er empfand jetzt den Mut der „Furcht, die gebetet hat“ und wahrscheinlich fühlten die Kurden das.
Der Mann, der gerade auf Richards gezielt hatte, zog ihm einen Schuh aus. Richards blickte auf die Füße des Kurden. Sie steckten in Sandalen aus ungegerbtem Leder. Richards zog den anderen Schuh selbst aus und gab ihn dem Mann.
Dann gingen die Kurden in den Raum, in dem die Frauen und Dr. Dodd waren. Andere Plünderer machten sich dort zu schaffen. Einer hatte sich schon bedrohlich Frau Richards genähert.
„Ring“, forderte der Mann und hielt das Gewehr auf sie gerichtet.
„Nehmen Sie das Ding weg!“ sagte sie und griff nach der Mündung. Der Kurde tat, was sie ihm gesagt hatte. Einer der Männer sprach davon, dass er sie mit in die Berge nehmen würde. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Schmuck einer anderen.

Frau Richards hatte sich gedacht, dass es gut wäre, wenn keine Waffen zu sehen wären und deshalb ein Gewehr im oberen Stockwerk versteckt. Dr. Dodd war noch schwach von einer Krankheit, aber er hätte trotzdem vielleicht geschossen, wenn er ein Gewehr gehabt hätte.
Die Kurden nahmen noch mehr Schuhe, einen Verbandskasten und zwei oder drei Mäntel mit und verließen bald darauf das Haus, ohne nennenswerten Schaden angerichtet zu haben.
Richards hatte seine Hypothese erprobt. Sie bestand darin: Du musst weder ein Feigling sein noch musst du deinen Mut durch Töten beweisen. Es gibt eine dritte Möglichkeit. Diese dritte Möglichkeit ist vielleicht nicht im Voraus zu bestimmen. Sie besteht in etwas, das man nicht klar erkennen kann, ehe es eintritt. Aber man kann es vorbereiten. Niemand weiß, was sich daraus ergeben wird. Aber man kann seinen Glauben daran lebendig erhalten, dass auf die Dauer die Folgen der Treue zur dritten Möglichkeit besser sein werden, als wenn man sich auf Waffen verlassen hätte. Wenn entweder am einen oder am anderen Ende der Waffe jemand Angst hat, dann kann sie leicht losgehen. Es ist nicht leicht, die Angst loszuwerden. Die Aufgabe besteht darin, es zu versuchen.

Auch bei anderen Gelegenheiten trug die Furchtlosigkeit von Herrn und Frau Richards dazu bei, dass in Westpersien viele Leben gerettet wurden, darunter auch Leben der „Feinde“. Auch ihre vier Kinder verließen sich auf eine andere Art Kraft als die, die alles ganz und gar zerstört. Beide Söhne, einer bereitete sich auf sein Medizinstudium vor, ließen sich während des Zweiten Weltkrieges lieber zu langen Gefängnisstrafen verurteilen, als dass sie einer Methode zugestimmt hätten, die den Bürgern des einen Landes Sicherheit auf Kosten der Unsicherheit der Bürger eines anderen verspricht. Vater Richards ist jetzt Förster in Pennsylvania. Sie alle sind Kämpfer – Kämpfer gegen Krankheit, Verschwendung durch den Staat, Unsicherheit und Dunkelheit im Geist, aber für den Menschen, wer oder wo er auch sei.


Aus dem Buch: 
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.