Donnerstag

Gefahr als Gelegenheit

M hatte sich oft gefragt, wie sie in der Prüfung reagieren würde und ob diese Prüfung überhaupt käme. Würde sie wütend werden? Würde sie wie ein Feigling reagieren? Oder würde sie irgendwie das Richtige und Tapfere tun? Sie wusste es nicht. Aber sie war bereit, es zu probieren und zu dann zu sehen.

Es war am 2. Dezember 1956, dem Glückstag für die Bus-Boykotteure in Montgomery, Alabama. Der Boykott hatte 381 Tage gedauert und sie feierte den Sieg oder den „Einsteige-Tag“, indem sie mit Würde in einem Bus fuhr.
M war eine große Frau. Als sie an ihrer Haltestelle ausstieg, sah sie einen jungen Weißen, der ebenfalls ausstieg. Er hatte einen harten Blick. Als der Bus anfuhr, kam er schnell auf sie zu und schlug ihr, so stark er konnte, ins Gesicht. Der Schlag war so stark, dass sie fiel. Er stand über ihr und ballte die Fäuste. Ein Wagen mit Weißen kam um die Ecke und die Türen öffneten sich. Offensichtlich hofften sie, sie könnten Ärger machen. Aber niemand gab ihnen einen Vorwand. M’s Gruppe nahm die Regel, die sie sich auferlegt hatte, ernst: „Wenn sich ein Zwischenfall ereignet, greif nicht zugunsten der Person, die angegriffen worden ist, ein. Wenn du das nämlich tust, wird das nur Weiße dazu bringen, dem Angreifer zur Hilfe zu kommen. Daraus ergibt sich eine Situation der Gewalt.“

M blieb einen Augenblick liegen und dachte darüber nach. Später gestand sie, dass sie zwar weder ein Rasiermesser noch eine andere Waffe bei sich trug, aber in dem Augenblick ihren Gegner gerne „in Scheibchen“ geschnitten hätte. Aber sie unterdrückte diesen Impuls und dachte an die Trainingsanweisungen: „Wenn dich jemand schlägt, schlage nicht zurück. Wenn dir Gewalt angetan wird, reagiere nicht mit Gewalt. Andererseits sollst du weder Feigheit noch Furcht zeigen, wenn es dir irgend möglich ist.“ Sie drehte sich auf dem Boden um und saß ganz bewusst ein paar Sekunden da, ehe sie aufstand. Sie klopfte sich den Staub ab und wischte sich das Blut vom Mund.
Sie ging drei oder vier Schritte und blieb stehen. Sie vermied es, den jungen Mann anzusehen. Niemand griff zu ihren oder zu seinen Gunsten ein. Das war eine unerwartete Wende der Ereignisse. Es verwirrte ihn sehr. Er sah schnell ringsum, sprang in den Wagen und floh mit den Männern, die auf ihn gewartet hatten.

Erst am Abend zuvor war M zum ersten Mal so weit, dass sie Gott und „dem kleinen Mann“ (Dr. Martin Luther King, dem Führer der Bewegung) dieses Versprechen geben konnte: „Morgen“, so hatte sie im Stillen versprochen, „werde ich, wenn ich in den Bus steige und deshalb geschlagen werde, nicht zurückschlagen.“

Aus dem Buch: 
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.

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