Donnerstag

„Lieber will ich sterben“

Im Oktober 1948 wurde in Sunchon, Südkorea, während eines Aufstandes der Kommunisten Dong-In in seinem Zimmer überfallen. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und Vorsitzender der „Y“ im dortigen College. Wegen dieses Postens wurde er von den Kommunisten geschlagen. Dann brachten sie ihn in eine Polizeistation, damit er dort erschossen würde. Sein neunzehn Jahre alter Bruder Dong-Schin, der auch misshandelt worden war, ging freiwillig mit.

Als Dong-In an die Reihe kam, schrie ihn ein Studienkamerad, der die Kommunisten anführte an, er solle seinem Glauben abschwören. „Wenn du das tust“, sagte er, „kannst du gehen.“
Aber Dong-In wollte lieber sterben. „Ich kann eher mein Leben als meine Religion aufgeben“, sagte er. Dann hörte er, wie sein jüngerer Bruder die Kommunisten darum bat, dass sie ihn statt Dong-In erschießen mögen. Da bat er sie, den Jungen nach Hause zu schicken. Bevor er niedergeschlagen wurde, betete er: „Nimm meine Seele auf und vergib mir meine Sünden.“

Das rettete aber Dong-Schin nicht. Der kommunistische Anführer war wütend darüber, wie er sich weiterhin zu seinem Glauben bekannte, und schrie: „Dieser Kerl ist ja noch schlimmer als sein Bruder!“
Bevor er neben seinem Bruder zu Boden fiel, hörte man Dong-Schin Gott für die, die ihn töteten, um Vergebung bitten.

Diese Einzelheiten können nicht verifiziert werden, aber ein mit dem Vater befreundeter Lehrer, der ein paar Tage später die Szene betrat, hat die Vorgänge rekonstruiert. Er hatte sich als Bettler verkleidet und war durch die Linien geschlichen, um herauszufinden, ob das Gerücht über die Hinrichtung der beiden auf Tatsachen beruhte. In der Nähe der Polizeistation fand er die Leichen der beiden Söhne zwischen anderen Leichnamen, begrub sie und kehrte mit der traurigen Nachricht zum Vater zurück. Dieser war unter dem Namen Pastor Sohn bekannt. Zur Zeit der Ereignisse leitete er einige Kilometer entfernt eine Schule für Leprakranke. Als er davon hörte, galt seine erste Sorge dem Kommunisten, der seine Söhne ermordet hatte.

Er würde den jungen Mann in seine Familie aufnehmen und er würde versuchen, aus ihm einen Christen zu machen. Er sollte Dong-Ins Platz einnehmen. Inzwischen war die Revolte zusammengebrochen, so dass nun das Leben des Jungen in Gefahr war. Deshalb schickte Pastor Sohn eine eilige Botschaft an seinen guten Freund Pastor Ra, der in Sunchon der Kirche diente, er möge zum Befehlshaber der Regierungstruppen gehen und ihn bitten, das Leben des Mörders zu schonen.
Pastor Ra sah sich unter den gefangenen Aufrührern um und fand schließlich, gerade noch rechtzeitig, den jungen Mann. Das Erschießungskommando wollte schon in Aktion treten. Es wurde von Studienfreunden der beiden Ermordeten dazu gedrängt, die „Gerechtigkeit“ forderten. Pastor Ra erklärte dem Anführer, dass er den Vater vertrat. „Pastor Sohn“, sagte er, „will nicht, dass dieser Gefangene getötet oder auch nur geschlagen werde. Er bittet sie, dass sie ihm die persönliche Verantwortung für ihn überlassen. Er will ihn an Kindes Statt annehmen und ihn zu einem christlichen Führer erziehen.“
Aber das sei übermenschlich, wandte der Offizier ein. Kein Vater könne zulassen, dass irgendjemand seinem Sohn ins Gesicht schlage!
„Dieser Vater kann das“, antwortete Pastor Ra.
Der junge Mann wurde nach Hause geschickt. Als Pastor Sohn ihn einige Tage später zur Rede stellte, gab er seine Schuld offen zu und bereute seine Tat aufrichtig.

„Ich vergebe dir“, sagte Pastor Sohn freundlich, „wie mir mein himmlischer Vater vergibt.“
Der Vater des Jungen bot Pastor Sohn seine vier Söhne an, um zu zeigen, wie er empfand. Aber Pastor Sohns Herz umschloss nur den einen. Seine Hoffnung sei, sagte er ohne Umschweife, dass der Junge zum Christen werde, das Werk seiner beiden eigenen Söhne fortsetze und auf diese Weise Gottes Willen erfülle. Aber der andere Vater ließ sich nicht abweisen. „Sie haben eine Tochter, die dieselbe Schule besucht wie eine meiner Töchter“, sagte er. „erlauben Sie, dass sie in unserem Hause lebt. Sie wird uns dabei helfen, das Christentum zu verstehen. Außerdem werden Sie, wenn ihre Tochter bei uns lebt, öfter zu uns kommen und mich unterweisen.“

Dong-Hi gefiel das zunächst durchaus nicht, dann aber wurde sie darauf hingewiesen, dass das ihre Gelegenheit war, Zeugnis für das abzulegen, wofür ihre Brüder hatten sterben wollen.
In Zeiten von Guerillakämpfen ist es schwierig, zuverlässige Informationen zu bekommen. Die Geschichte, wie ich sie bis hierher erzählt habe, wurde von Frau Geraldine Fitch weitergegeben, die sie aus einer koreanischen Broschüre ins Englische übersetzte. Für das Folgende verbürgt sich Alvin Bro, der im Außenministerium arbeitet. Am 4. April 1950 schrieb er begeistert aus Korea über eine Gemeinschaft, die weithin als Atomic Love (atomare Liebe) bekannt wurde. „In den letzten sechs Monaten“, so berichtet er, „veränderte sich das Leben vieler Menschen dort von Grund auf.“
Der Motor dieser verändernden Kraft, fügte er hinzu, sei ein koreanischer Pastor mit Namen Sohn, der einen großen Teil seines Lebens den Leprakranken in einer Inselkolonie in der Nähe von Sunchon gewidmet habe. Alvin Bro fasste das, worüber hier schon berichtet wurde, kurz zusammen und sagte, dass der Kommunist, der die beiden Studenten getötet hatte, als Sohn im Hause des Pastors lebte. Aber das war nicht alles. Die Tochter des Pastors hatte ihre eigene Familie verlassen, um bei der Familie des Mörders „als Tochter“ zu leben. Nach einigen Monaten wurde Pastor Sohns Dorf von den Kommunisten angegriffen. Als sie näher kamen, baten ihn wohl Freunde, das Dorf zu verlassen. Es muss eine schwere Entscheidung für den Leiter des Dorfes der Atomic Love gewesen sein: Korea würde Menschen wie ihn dringend brauchen. Aber was würde mit denen geschehen, die nicht fort konnten?

Pastor Sohn entschloss sich offenbar dazu, bei den leidenden Menschen zu bleiben. Er tat das und wurde erschossen. Man sagt, dass damals, als er durch den befreundeten Pastor erfolgreich für das Leben des Mörders seiner beiden Söhne, der schon vor dem Erschießungskommando stand, eingetreten war, ein Mitglied des Kommandos so tief vom vergebenden Geist des Pastors erschüttert war, dass er den Kolben seines Gewehrs auf den Boden stieß und ausrief: „Ist Jesus so gut? Dann will ich von nun an Christ sein.“
Wie dem auch sei, jedenfalls können wir sicher sein, dass diese Art Energie, die von der Familie Sohn freigesetzt wurde, immer noch eine „radioaktive“ Kraft in Südkorea ist. Und, wer weiß, vielleicht auch im Norden, wo der Totalitarismus sich immer noch behauptet.


Aus dem Buch: 
Instead of cowardice or hate
COURAGE IN BOTH HANDS
Dramatic stories of real men and women who accomplished more than they believed they could
Allan A. Hunter
Copyright © 1962 by Allan A. Hunter Printed in the United States of America
BALLANTINE BOOKS, INC.
101 Fifth Avenue New York 3, N. Y.

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