Samstag

Unerwartete Reaktion

Seit Monaten arbeite ich an einer Sammlung gewaltfreier Aktionen. Ich habe mich ganz in diese Haltung hineingedacht und hineingefühlt. Mit allen meinen Gedanken bin ich dabei. So kommt es mir eines abends gar nicht zu Bewußtsein, daß ich mich in einer gefährlichen Situation befinde: der Gang alleine als Frau durch eine ziemlich dunkle Seitenstraße.
Ich betrete eine Telefonzelle und führe ein erfreuliches Telefonat. Auf einmal wird die Tür aufgerissen. Eine Horde Randalierender steht vor mir, angetrunken, in schwarzer Kleidung mit viel Metall an den Lederjacken. Sie haben kahlrasierte Schädel, von denen ihnen oben die Haare zu Berge stehen; Nadeln sind in den Ohren zu sehen, und sie tragen Schlagringe und -ketten.
"Wird das Scheißhaus endlich frei?" brüllt der an der aufgerissenen Tür und schwingt drohend eine Bierflasche gegen mich.
Die Stimmung, in der ich mich befunden habe, ist so stark, daß ich mich auch jetzt nicht aus der Fassung bringen lasse. Strahlend wende ich mich zu dem Grölenden und sage ganz unbefangen und mit ruhiger Herzlichkeit: "Ja, gleich. Ich bin bald fertig. Prost."
Verblüfft bleibt ihm der Mund offenstehen, die Bierflasche trudelt ins Leere und die Tür fällt zu. Ich sehe die jungen Leute die Straße runterschlurfen; da ist irgendwie die Luft raus.
Im Nachhinein hab' ich überlegt, womit ich das eigentlich bewirkt habe. Wie gesagt: ich war allein, keine Vorsätze, keine besonderen Machtmittel. Ich denke, es kam daher, daß ich unerwartet reagiert und mich nicht auf Drohungen eingelassen hatte. Das Gewaltmuster griff dadurch nicht und lief ins Leere.

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