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Samstag

Abba - Vater !

  Eine Frau von ungefähr 25 Jahren wohnte mir gegenüber. Sie war ein kleiner östlicher Typ, geboren in New York und war lange Zeit in Indien gewesen.
  An einem Abend kam sie in einer Kneipe beim Hauptbahnhof in Amsterdam mit zwei türkischen Männern in ein Gespräch. Als sie die Kneipe verließ, folgten sie ihr und wurden zudringlich. Sie fingen an, sie mit persönlichen Dingen auszuschimpfen, die sie ihnen eben erst erzählt hatte, wie zB., daß sie mit einem Niederländer zusammengewohnt hatte, den sie in Indien getroffen hatte, und daß sie daher jetzt noch in den Niederlanden wohnte und ähnliches. Sie versuchte zuerst noch, darauf einzugehen, aber dadurch wurden die Männer nur noch lästiger und machten vulgäre Bemerkungen ihr gegenüber, wie daß sie es sicher auch gerne mal mit Türken machen würde.

  Auf einmal drückte sie der jüngere Mann gegen eine Mauer, während der andere Mann ihre Jacke öffnete und ihre Kleider auszog. Der jüngere schlug ihr regelmäßig ins Gesicht. Was es für sie besonders schwierig machte, war, daß sie Informationen gegen sie verwendeten, die sie ihnen vertraulich und freundschaftlich erzählt hatte, und worauf sie anfänglich nett und interessiert reagiert hatten. Der ältere Mann versuchte sie nach unten zu ziehen, aber in einem Augenblick, als sie ihn ansehen konnte, sagte sie zu ihm mit eindringlichem Ton:
  "Aber Abba, laß mich jetzt gehen."
  Darauf reagierte er und kam wie aus einer "Betäubung" und/oder "Aufregung" zurück zur Realität. Er machte ihre Jacke zu und sorgte dafür, ohne ein Wort zu sagen, daß der Jüngere aufhörte zu schlagen. Sie zog sich wieder an und bedankte sich bei dem älteren Mann dafür, daß er sie gehen ließ.
  Sie liefen noch mit ihr in Richtung Bahnhof, was natürlich für sie nicht ohne Angst ablief, aber keiner von beiden sagte mehr etwas. Sie konnte dann ein Taxi nehmen und kam zu mir.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.105f)

Eine heiße Phase

  "Setz Dich hin", sagt der Junge. "Ich befehle Dir, Dich zu setzen."
  In seiner Hand hält er einen schweren Stein, kurz über meinem Kopf; sein Blick ist entschlossen.
  Und plötzlich zählt das alles nicht mehr, die Hitze, meine Erschöpfung, der lange Weg unter brennender Sonne, mein Wunsch, mich unter einen dieser Olivenbäume zu setzen und einfach auszuruhen. Es ist, als habe jemand ein anderes Programm eingeschaltet; ich bin plötzlich in einem anderen Film.
  "Setz Dich", sagt der Junge; aber ich setze mich nicht. Ich schaue auf den Stein über meinem Kopf, schaue in sein Gesicht. 14 ist er, hat er vorhin gesagt; sein Freund neben ihm, ein rotznäsige Kind, höchstens zwölf. Ich hatte damit gerechnet, daß sie versuchen könnten, mich zu bestehlen; aber an einen Vergewaltigungsversuch hatte ich nicht gedacht.
  "Nein", sage ich, "ich gehe jetzt."
  Aber ich kann diesem Jungen mit dem Stein in der Hand unmöglich den Rücken zukehren. Ich bleibe ruhig stehen und schaue ihn an.
  "Wirklich, ich schlage zu", sagt er. "Ich bin so einer."
  Ich glaube ihm nicht. Da gibt er es auf, mir mit dem Stein zu drohen. Statt dessen fangen nun beide Jungen an, an meiner Hose zu ziehen. Ich stelle mich breitbeinig hin, damit sie die Hose nicht runterziehen können; gleichzeitig wehre ich sie mit den Händen ab
  "Hört auf. Laßt mich gehen."
  Ich bin in einem fremden Land, ich spreche ihre Sprache nicht; aber sie verstehen ein wenig Englisch.
  "Ich bin hier, weil ich Euch vertraut habe. Ihr habt gesagt, Ihr würdet mir den richtigen Weg zeigen. Laßt mich jetzt gehen."
  Aber sie versuchen wieder, mir die Hose herunterzuziehen.
  Wir sind in einem Olivenhain; die Jungen sind von einem nahen Haus herübergekommen, gerade als ich endlich geglaubt hatte, ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen gefunden zu haben. Wir haben uns unterhalten, Ich habe ihnen auf der Flöte vorgespielt, sie haben sich bedankt, aber irgend etwas war falsch an der Situation. Das war ihr Land, und sie schienen mich bewachen zu wollen, bis ich wieder gehe. Also ging ich.
  "Nein, nicht da lang", riefen sie, "dort drüben ist der Weg, komm mit."
  Und führten mich an diesen einsamen Platz, außerhalb der Ruf- und Sichtweite der nächsten Häuser.
  Von beiden Seiten zerren die Jungen nun an meiner Hose. Ich stelle mich wieder breitbeinig hin, habe aber dadurch keinen so festen Stand; sie versuchen, mich umzustoßen. Wenn ich erstmal am Boden liege, denke ich, dann habe ich keine Chance mehr; ich trete den beiden in die Hoden, und sie weichen zurück. Also geht es doch nur mit Gewalt?? "Wenn Du die Wahl hast zwischen Feigheit und Gewalt", sagt Gandhi, "dann wähle die Gewalt." Ich habe das immer so verstanden: in aller Regel gibt es eine dritte Möglichkeit. Hier bin ich nun in einer Situation, wo es die nicht gibt: es gibt nur aufgeben oder Gewalt anwenden, und ich trete zu. Aber ich merke auch: diese Situation währt nur Sekunden. Sobald die Jungen zurückgewichen sind, habe ich wieder andere Möglichkeiten.
  "Ihr könnt mir nichts tun", sage ich bestimmt. "Laßt mich gehen."
  Dabei schaue ich den Jungen in die Augen. Der Jüngere hat jetzt einen Stock aufgehoben und versucht es damit. Als ich mich auch davon nicht einschüchtern lasse, beraten die beiden kurz, greifen mich dann an und drängen mich rückwärts in eine halb zugewachsene Grube hinein, die ich vorher nicht gesehen hatte. Mein rechter Fuß steht noch fest, mein linker Fuß bricht beim Zurückweichen plötzlich in die Tiefe ein, findet dann einen Halt einen Meter weiter unten; es raschelt. Schlangen? Ein Blick nach unten zeigt mir, daß die Grube noch viel tiefer ist. Ich verstehe nicht, was die Jungen sagen, aber die Botschaft ist deutlich: wenn ich nicht tue, was sie sagen, werden sie mich ganz da rein schmeißen.
  Dann reicht mir der Ältere die Hand, zieht mich raus. Klar: sie wollen mich nicht in die Grube schmeißen, sie wollen mir nicht den Kopf einschlagen, sie haben Skrupel, mich zu verletzen. Sie sind aber nicht stark genug, mich zu Boden zu zwingen, und wollen mich deshalb einschüchtern, bis ich aufgebe und mich nicht mehr gegen eine Vergewaltigung wehre. Würde ich weglaufen oder sie angreifen, so würden sie von hinten oder im Kampf sicher ihre Hemmungen verlieren und zuschlagen; dann hätte ich wohl kaum eine Chance. Als der Junge mich herauszieht, kommt seine Gelegenheit: er wirft mich zu Boden, und im nächsten Augenblick sind beide über mir. Ich verstehe nicht warum, aber es gelingt mir, mich zu befreien: ich habe die Beine angezogen, trete dem Älteren in die Hoden, er weicht zurück, ich rolle den Jüngeren von mir herunter, rolle mich ab und stehe plötzlich wieder.
  Die Jungen sind überrascht, greifen aber nach kurzer Zeit erneut an, kämpfen; ich wehre sie ab, aber nie greife ich von mir aus an, nie versuche ich, taktische Vorteile zu nutzen, zu verletzen, zu siegen. Mitten im Gerangel suche ich den Augenkontakt; ich rufe:
  "Ich will nicht mit Euch kämpfen. Ich will Euch nicht verletzen. Ich hasse Euch nicht."
  Es ist wahr. Ich hasse die Jungen nicht, ich bin auch nicht in panischer Angst. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihnen gelingen wird, mich zu vergewaltigen; aber ich weiß, daß nichts mich dazu bringen kann, mich selbst zu verlieren, diese Jungen zu hassen, sie ernsthaft zu verletzen oder gar zu töten. Das ist wichtiger; ich kann ganz ruhig sein.
  Einen Moment lang überlege ich, ob ich es über mich ergehen lassen soll. Niemand zwingt mich zu kämpfen ... Aber ich spüre, daß das nicht geht. Würde ich den Widerstand aufgeben, dann würde ich etwas verlieren, was sie mir niemals mit Gewalt nehmen können...
  Einer der Jungen hat mir die Geldbörse aus der Tasche gezogen. Er holt das Geld heraus, steckt den kleinsten Schein wieder hinein, gibt mir die Börse zurück.
  "Gut", sage ich, "nehmt das Geld und laßt mich jetzt gehen; ich werde Euch nicht verraten."
  Aber sie geben noch nicht auf. Der Jüngere findet ein Stück Stacheldraht; er droht, mich damit zu schlagen, und befiehlt mir mit wütendem Gesichtsausdruck, mich hinzusetzen.
  "Wenn Du mich verletzen willst, dann tu es", sage ich und halte ihm meinen Arm hin.
  Da läßt der den Stacheldraht fallen und versucht, mich zu umarmen; ich stoße ihn leicht von mir.
  Noch ein weiterer Versuch folgt; wieder schaue ich den Jungen in die Augen, wieder sage ich ihnen, daß sie mir nichts tun können, und unterstreiche das mit Gesten. Dann gibt der Ältere das Signal: lassen wir's. Ich drehe mich um und gehe langsam zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
  Ich bin noch nicht weit gegangen, da höre ich die Jungen hinter mir rufen, ich solle warten; sie winken mit Geldscheinen. Ich gehe noch ein Stück weiter, bis ich wieder in Sichtweite eines Hauses und etwas näher am Weg bin; dort warte ich.
  "Es tut uns leid", sagen die Jungen, als sie heran kommen.
  "Wenn es Euch leid tut, gebt Ihr mir dann auch mein Geld zurück?"
  Der Jüngere gibt mir das Geld, der Ältere zeigt mir einen kleinen Schein und sagt, den behalte er, weil er ihn brauche. Ich zähle nach.
  "Da fehlt eine ganze Menge."
  "Mehr haben wir nicht. Wir müssen es beim Kämpfen verloren haben."
  "Das wäre aber schade drum. Ob Ihr es nun habt oder ich - aber verloren gehen sollte es nicht. Schaut nochmal nach."
  Da ziehen sie los, gehen das Geld suchen und kommen nach einer Weile mit hängenden Schultern wieder:
  "Nichts gefunden."
  Sie sind offensichtlich erstaunt, daß ich gewartet habe. Sie flüstern miteinander, dann läuft der Ältere los, "um nochmal zu suchen", und nach ein paar Minuten läuft der Jüngere hinterher. Ich sehe die Beiden über eine Mauer klettern und verschwinden.
  Klick - umschalten. Ein heißer Tag, Mittagssonne, ich steige den Berg wieder hinauf, gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Ein Polizeiauto fährt vorbei. Als ich nach einem Umweg im Dorf nahe dem Olivenhain ankomme - da, wo mich die Abkürzung der Jungen hätte hinführen sollen - treffe ich den Älteren der beiden.
  "Es tut mir leid", sagt er und reicht mir die Hand.
  Nun, leidtun allein ändert noch nicht viel. Ich würde ihn noch einiges fragen wollen, aber dazu reicht meine Kraft jetzt nicht aus. So drücke ich nur seine Hand und sage:
  "Ich vergebe Dir."



(Quelle: Autorin und Ort sind der Redaktion bekannt; wollen nicht genannt sein.)

Grund-Schule der Gewaltabwehr

  Die siebenjährige Angelika ist bisher "lupenrein gewaltfrei" erzogen worden. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie beinahe einen Schock bekommt, als sie die ersten Wochen an der Schule ist: Prügeleien, brutale Spielszenen, Nachspielen von Fernsehkrimis und  Western u.a.m. Da sie nicht mitprügelt, wird sie schnell zur Außenseiterin. Doch als solche bekommt sie es nun erst recht ab; sie hat gleichzeitig blaue, rote, braune und gelbe Flecken, niemand spielt mit ihr, und schließlich will sie schon gar nicht mehr zur Schule gehen wegen der täglichen Prügel. Vor allem der Nachbarjunge, Ralf, lauert ihr schon auf dem Schulweg auf und haut besonders kräftig, auch auf den Kopf.
  Angelikas Mutter kauft ein Buch über Selbstverteidigung. Sie sucht die Übungen heraus, die leicht auszuführen und wirksam sind. Sie sollen den Angreifer dabei nicht ernsthaft gefährden, sondern sozusagen nur seine eigene Angriffswucht gegen ihn selbst oder ins Leere lenken. Diese übt sie mit ihrer Tochter zusammen ein. Beide haben Spaß dabei und fühlen sich stärker.
  Ein paar Tage später kommt Angelika strahlend heim:
  "Ich hab's so gemacht, und der Ralf hat sich in 'ne Pfütze legen müssen!"
  Hinterher habe sich auch keiner von den anderen Raufbolden mehr an sie herangewagt.
Ein bißchen mulmig ist es der Mutter nur noch, weil sie daran denkt, daß nun der "Hereingelegte" Rache üben könnte. Aber am Nachmittag klingelt es an der Tür, es ist Ralf:
  "Derf i mit der Angelika spiele?"...



(Quelle: -bg-)

Meine Welt

  Eine junge Frau erzählt eine Erfahrung, über die sie selbst später noch überrascht war:
  Sie ging allein durch eine von Bäumen beschattete Straße nach Hause, als sie von einem Jugendlichen mit einem Messer angehalten wurde. Es war sorgfältig schwarz angemalt, um das Blinken von Lichtstrahlen zu verhindern. Dies war also kein unerfahrener Räuber. Aber als er sie festhielt und ihr Portemonnaie forderte, sagte sie einfach:
  "Du kannst mich hier nicht belästigen! Das ist meine Wohngegend!"
  Sie war in ihrem Gerechtigkeitsgefühl angegriffen. Sie lebte in einer Welt, in die der Angreifer nicht hineinkonnte. Und ihre Sätze hatten gewirkt. Ohne daß etwas in der Umgebung den Angreifer von körperlicher Gewalt abhielt, drehte er sich um und rannte weg.



(Quelle: ebda., S.30)

Zwei zufriedene Angreifer

  Ich erzähle, was ein Freund von mir erfahren hat:

  Es kamen zwei Männer auf meinen Freund zu, die ihn grob anhielten.
  Mein Freund fragt: "Guten Abend, kann ich etwas für Euch tun?"
  Die anderen: "Wir wollen Dein Geld."
  "Habt Ihr Schwierigkeiten?"
  Die anderen: "Ja, wir brauchen Geld."
  Und mein Freund: "Wieviel braucht ihr?"
  Mit dieser Reaktion hatten seine Angreifer nicht gerechnet. Und dies hatte zur Folge, daß sie nach      einigem Zögern sagten, daß sie 25 Cent brauchten, und verschwanden.



(Quelle: ebda., S.39)

Kleine Rettungsaktion

Sandweg am Abend: Ein Mann steigt aus einem Auto aus, läuft einer jungen Frau hinterher, versucht, sie mit sich zu ziehen.
Sie macht sich immer wieder los, wehrt ihn ab.
Eine andere Frau beobachtet die Auseinandersetzung, zögert, rennt den beiden dann nach.
Sie begrüßt die Belästigte wie eine alte Freundin und zieht sie in eine Kneipe.



(Quelle: Bericht in der Frankfurter Rundschau, 17./18.11.92 (Dorothee Beck))

Die Radfahrerin

Eine junge Frau fuhr mit dem Fahrrad auf der Straße. Ein Auto kam angefahren, in dem drei Männer saßen, die aus dem Wagen sprangen, um sie zu ergreifen und festzuhalten. Was sie genau wollten, blieb undeutlich. Denn im selben Augenblick kam eine andere Frau vorbei, die so tat, als ob sie die junge Radfahrerin kenne. Und sie rief: "Hallo, Marian, wie lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen."
Sie eilte auf "Marian" zu, umarmte sie und führte sie am Arm mit: "Komm mit, wir gehen irgendwohin."
Die drei Männer blieben verdattert zurück.



(Quelle: Han Horstink, s.o.2., S.31)

Randale mit dem Beil

Von FreundInnen wurden wir zur Hilfe gerufen; sie wurden von einer Gruppe faschistoider Jugendlicher bedrängt. Und wir konnten zunächst noch ganz gut mit ihnen reden. Doch da fand nun einer, der stark betrunken war, ein Beil und schwang es in der Luft. Sofort war da auf einmal eine ganz eisige Stimmung, wir hatten völlige Angst, daß es echt zum Blutvergießen kommen könnte.
Ich ging zu ihm hin. Andere aus seiner Gruppe wollten mich zurückhalten, weil sie Angst um mich hatten. Doch ich ging, und ich sagte zu ihm:  "Das macht Angst mit dem Beil, auch den anderen. Da kann sehr viel passieren; und das bedroht uns. Da kann noch viel mehr ausgelöst werden, was wir nicht wissen."
Er sah mich zögernd an. Er redete nicht, ließ sich auf kein Gespräch ein. Doch dann nahm er das Beil und schleuderte es in hohem Bogen ins Gebüsch. Wir haben es auch später nicht mehr gefunden. Was er sich gedacht hat, oder ob er gar etwas 'eingesehen' hat, weiß ich nicht. Jedoch die Reaktion war deutlich und hat geholfen.

Ich war in dieser Situation ganz ruhig gewesen. Mir war klar: Das ist jetzt das einzig Mögliche, da auf ihn zugehen. Die Angst war da, aber sie hat nicht mein Handeln bestimmt. Ich konnte etwas tun, ohne daß mich die Angst lähmte. Danach dann, so am nächsten Abend, kamen schlimme Erinnerungen daran, und ich wünschte sehr, daß so was nicht noch einmal passiert.



(Quelle: Ulli Laubenthal)

Schul-Autorität

Eine pensionierte Lehrerin war einige Tage zu Besuch in New York. Am letzten Abend wurde sie auf dem Bürgersteig von einem jungen Mann angehalten. Er war mit einem Revolver bewaffnet und verlangte alles Geld von ihr. Andernfalls - so drohte er - würde er sie ermorden.
Da reagierte in der alten Frau die ganze Mentalität ihrer früheren Arbeit. Die Art der Schullehrerin kam in diesem Moment in ihrer ganzen Körperhaltung hervor: sie wurde groß, ihre Augen blinkten mit Autorität, und sie befahl:   "Hör sofort damit auf! Steck die Pistole weg!"
Die Reaktion zeigte Wirkung: In gleicher Weise mit der Körpersprache eines getadelten Schuljungen zuckte der Verbrecher zusammen. Er ließ die Hand sinken, in der er die Pistole hielt, und rannte aus der Straße weg.



(Quelle: erzählt von Dorothy T.Samuel, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.74)

Ein schöner Vormittag

In der Gruppe sitzen wir an diesem ersten sonnigen Vormittag im Frühling am freien Samstag im Garten. Keine große Arbeit, keine Termine, wir können es uns gut gehen lassen. Und ähnlich wohl auch die Gruppe Jugendlicher, welche im Laufe des Vormittags vorbeikommt und am Gartenzaun Halt macht. Doch ganz friedlich scheinen sie nicht zu sein. Schon fliegen einige Erdballen in unsere Richtung. Zugleich erkennt einer von uns die Gruppe und weiß: sowie wir nur einmal ganz harmlos zurückwerfen, wird es ernst. Doch die Würfe von der Straße lassen nicht ab, und die provozierende Spannung wird deutlicher. Verwirrung, Unmut an diesem sonst doch so schönen Vormittag.
Also macht Klaus sich auf und geht zu ihnen hin. Er spricht sie an und redet ein wenig zu ihnen. Doch die Spannung bleibt und scheint schärfer zu werden. Klaus setzt sich auf den Boden, direkt vor die Gruppe auf den Bordstein. Da tritt die erste Entspannung ein. Die Jugendlichen wissen nicht recht, damit umzugehen, daß da einer vor bzw. unter ihnen sitzt. Kurz danach wird es für sie noch erstaunlicher, als Klaus geht, im Haus verschwindet und gleich darauf mit ein paar Flaschen Bier und Chips wiederkommt. Sie unterhalten sich, finden anregende Themen, und die ersten Provokationen scheinen ganz vergessen.
Und endlich finden sie sogar einen gemeinsamen Weg: Hinein in den Gruppenraum, Musik hören und Neuigkeiten über das aktuelle Popgeschehen austauschen. Wo uns zuerst ein wenig die Angst vor dieser Jugendgruppe bewegt hat, da ist der gemeinsame Weg am Ende gestanden.




(Quelle: Ulli Laubenthal)

Der alte Mann

Ein älterer Mann hielt in einer kleinen Gasse eine Frau fest. Er sagte immer wieder, daß es ihm leid täte, daß er ihr nicht wehtun wolle, aber daß er es einfach tun müsste. Er sah schlampig aus und es war deutlich, daß es ihm nicht sehr gut ging.
Die Frau fing an, mit ihm zu reden. Sie sagte ihm, daß es für ihn überhaupt keine Notwendigkeit gäbe, sie zu vergewaltigen; daß Vergewaltigung etwas Schlechtes und gegen den Willen Gottes gerichtet wäre; daß er außerdem erheblich besser aussehen könnte, wenn er sich mehr pflegen würde. Dann sagte sie weiter, daß er nicht wirklich schlecht wäre und ihr das tatsächlich gar nicht antun wollte. Sie versuchte dabei vor allem, sein Selbstwertgefühl zu stärken. Auch erzählte sie von sich und ihren Kindern.
Als sie geendet hatte, dankte er ihr für die Tatsache, daß sie sich so um ihn bemühte und so mit ihm sprach. Das habe noch nie jemand mit ihm gemacht, denn er sei sehr einsam, sagte er; und weiter, daß er es ihr zu verdanken hätte, daß er nichts Schlechtes getan hätte. Sie sollte nun gehen, meinte er; und sie gingen beide ihres Weges.



(Quelle: Mary Crane,zitiert aus:Han Horstink,Übersetzung des Originals(zu s.o.2.)von A.D.(?),S.56f)

Üble Anmache

Wie an jedem Morgen, so gehe ich auch an diesem früh um halb sechs zur Arbeit. Dabei komme ich einen einsamen Weg entlang, kein Mensch weit und breit, keine Häuser oder Autos. Ich bin zu Fuß, und ich habe einige schwere Sachen dabei, da ich gleich nach der Arbeit noch wegfahren möchte.
Da steht auf einmal ein Typ vor mir und macht mich sehr direkt an: Mitkommen, miteinander ins Bett, und ähnliche Geschichten. Und nicht ganz harmlos; das war schon recht bedrohlich. Doch was tun? In anderen Fällen, in denen ich sowas erlebte, da kann ich schnell wegrennen; oder ich schreie laut und rufe andere Menschen. Doch hier? Ich bin ja nicht schlecht überrascht über diese Anmache so früh am Morgen; abends oder nachts - das kenne ich eher.
Da fange ich nun an, ganz ruhig mit ihm zu reden. Ich merke auch, daß er leicht alkoholisiert ist. Also, mein Ton ist ganz ruhig, nicht aggressiv, auch nicht laut: "Du, hör mal: ich muß zur Arbeit. Ich bin gerade auf dem Weg ins Krankenhaus. Da warten sie schon alle auf mich. Du kannst mich jetzt hier nicht lange aufhalten. Was werden die dort auf der Arbeit denken, wenn ich nicht komme!?"
Und weiter rede ich so, ich selbst wähle dieses Thema - sicher zehn Minuten lang - daß das nicht geht, was er will etc. Da zieht er wieder ab; ich komme wohlbehalten an meiner Arbeitsstelle an.
Und ich merke: das war nochmal gut gegangen. Nicht immer wäre ich dazu in der Lage gewesen. Trotz der deutlichen Bedrohung, die von diesem Typen ausging, hatte ich aber hier keine panische Angst. Ich konnte reagieren, und es kam spontan. Eine andere Wahl hatte ich ja auch nicht: wegrennen (mit all den Sachen) oder schreien (wenn niemand da ist). Doch hier konnte ich ruhig bleiben.



(Quelle: Claudia Schmidt-Brücken, Berlin)

Die Kunst der Versöhnung

Der Zug rasselte und ratterte durch die Vorstädte Tokios. Es war ein schläfriger Frühlingsnachmittag. Unser Wagen war vergleichsweise leer - einige Hausfrauen mit ihren Kindern im Schlepptau, einige alte Leute, die einkaufen gehen wollten. Gedankenverloren starrte ich auf die eintönigen Häuser und die staubigen Hecken.

An einer Station öffneten sich die Türen und die Ruhe des Nachmittags wurde gestört. Ein Mann stolperte in den Wagen. Laut stieß er gewalttätige und unverständliche Flüche aus. Er trug Kleidung eines Arbeiters, und er war groß, betrunken und dreckig. Laut schreiend stieß er mit einer Frau zusammen, die ein Baby hielt. Sie wirbelte um ihre eigene Achse und fiel in den Schoß eines älteren Ehepaars. Es grenzte an ein Wunder, daß dem Baby dabei nichts geschah.
Verschreckt sprang das Ehepaar auf und rettete sich zum anderen Ende des Wagens. Der Arbeiter wollte der alten Frau noch einen Tritt geben, doch er verfehlte sie in ihrer hastigen Flucht. Das erzürnte den Betrunkenen so sehr, daß er den Metallstab in der Mitte des Wagens ergriff und versuchte, ihn aus der Halterung zu reißen. Ich sah, daß er sich an einer Hand geschnitten hatte und blutete. Der Wagen ruckelte vorwärts, die Passagiere froren vor Angst. Ich stand auf.

Das Ganze ist nun zwanzig Jahre her. Ich war damals jung und in guter körperlicher Verfassung. Ich hatte fast jeden Tag runde acht Stunden Aikido trainiert, und das seit drei Jahren. Ich kämpfte gerne. Ich dachte, ich sei ziemlich gut. Mein Kummer war nur, daß meine Kriegskunst noch nie in einem echten Kampf auf die Probe gestellt worden war. Als Aikido-Schüler durften wir nicht kämpfen.
"Aikido", hatte mein Lehrer immer gesagt, "ist die Kunst der Versöhnung. Wer kämpfen will, hat seine Verbindung mit dem Universum unterbrochen. Wenn du versuchst, Menschen zu beherrschen, bist du schon besiegt. Wir lernen hier, Konflikte zu lösen, nicht sie anzufangen."
Ich hatte seinen Worten zugehört, und ich hatte es ernsthaft versucht. Ich war sogar soweit gegangen, den Chimpira aus dem Weg zu gehen, den Flipperpunks, die um die Bahnhöfe herumlungerten. Meine Geduld verschaffte mir ein Gefühl der Erhabenheit. Ich fühlte mich zugleich stark und heilig. In Gedanken jedoch wartete ich nur auf eine Gelegenheit, die es rechtfertigte, die Unschuldigen zu retten und die Schuldigen zu vernichten. Das ist sie! sagte ich mir, als ich aufstand. Hier sind Menschen in Gefahr, wenn ich nicht schnell handle, wird es wahrscheinlich Verletzte geben.

Als er mich aufstehen sah, erkannte der Betrunkene eine Chance, seine Wut auf ein Ziel zu richten.
"Aha!", brüllte er. "Ein Ausländer! Du brauchst sicher eine Lektion in japanischem Benehmen!"
Ich hielt mich lässig an dem Signalseil über mir fest und sandte ihm einen verächtlichen und abweisenden Blick zu. Ich hatte vor, diesen Truthahn auseinanderzunehmen, aber er mußte den ersten Schritt tun. Ich wollte, daß er explodierte, also spitzte ich meine Lippen und blies ihm einen unverschämten Kuß zu. "In Ordnung!", schrie er. "Du kriegst eine Lektion."
Er sammelte sich für einen Angriff. Doch einen Sekundenbruchteil, bevor er sich in Bewegung setzte, rief ihm jemand zu: "Hej."

Es war trommelfellzerfetzend. Ich erinnere mich genau an die seltsam freudige und fröhliche Art des Zurufs - als hättest du mit deinem Freund lange nach etwas gesucht und er sei gerade darüber gestolpert. "Hej."
Ich drehte mich nach links; der Betrunkene nach rechts. Beide starrten wir auf einen kleinen, alten Japaner. Er mußte wohl schon in den Siebzigern sein, dieser kleine Herr, wie er so dasaß in seinem Kimono. Von mir nahm er überhaupt keine Notiz, aber den Arbeiter strahlte er voller Freude an, als hätte er ihm das wichtigste und willkommenste Geheimnis mitzuteilen.
"Komm rüber", sagte der alte Mann in leichter Umgangssprache und lud den Betrunkenen ein. "Komm rüber, wir wollen miteinander reden." Er winkte ihm leicht mit der Hand.
Der große Mann folgte ihm wie an einem Faden. Er pflanzte seine Füße streitlustig vor den alten Herrn und überbrüllte das Rattern der Räder: "Warum sollte ich mit dir reden, verdammt noch mal?"
Der Betrunkene wandte mir nun den Rücken zu. Sollte sein Ellenbogen sich auch nur einen Millimeter bewegen, so wollte ich ihn in seine Socken hineinboxen.
Der alte Mann strahlt ihn immer noch an.
"Was hast du getrunken?", fragte er, und seine Augen blinkten vor Interesse.
"Ich habe Sake getrunken", bellte der Arbeiter zurück, "und es geht dich einen Dreck an."
Kleine Speicheltröpfchen trafen den alten Mann.
"O, das ist aber schön," sagte er, "wirklich schön. Du mußt wissen, ich trinke auch gerne Sake. Jeden Abend wärmen meine Frau und ich - sie ist 76, weißt du? - eine Flasche Sake auf und nehmen sie mit in den Garten. Dort sitzen wir dann auf einer alten Holzbank. Wir schauen zu, wie die Sonne untergeht, und wir sehen nach, was unser Persimonenbaum macht. Mein Urgroßvater hat den Baum gepflanzt, und wir machen uns Sorgen, ob er sich von den schrecklichen Eisstürmen erholt, die wir letzten Winter hatten. Unser Baum hat sich besser gehalten als ich fürchtete, besonders wenn man den schlechten Boden in Rechnung stellt. Es ist so eine dankbare Sache, ihn anzusehen, wenn wir unseren Reiswein trinken und draußen den Abend genießen - auch wenn es regnet!"
Er schaute den Arbeiter an und zwinkerte mit den Augen.
Während er versuchte, den Worten des alten Mannes zu folgen, begann das Gesicht des Betrunkenen sich zu besänftigen. Seine zu Fäusten geballten Hände lösten sich.
"Ja, ich habe Persimonen auch gern...", sagte er, und seine Stimme verlor sich.
"Ja", sagte der alte Mann lächelnd. "Und ich bin sicher, du hast eine wunderbare Frau."
"Nein", antwortete der Arbeiter. "Meine Frau ist gestorben."
Und ganz leise, sich im Rhythmus des Zuges hin und her bewegend begann der große Mann zu schluchzen. "Ich habe keine Frau mehr, ich habe kein Heim mehr, ich habe keine Arbeit mehr. Ich schäme mich so vor mir selber."
Tränen rollten über seine Backen, sein ganzer Körper verkrampfte sich vor Verzweiflung.
Jetzt war ich an der Reihe. Da stand ich in meiner jugendlichen Unschuld, mit meiner Gerechtigkeit, die die Welt für die Demokratie sichern wollte, und fühlte mich plötzlich dreckiger, als er es war.
Dann hielt der Zug an meiner Station. Als die Türen sich öffneten, hörte ich den alten Mann teilnehmend glucksen:
"Ach jemine, das ist aber wirklich eine schwierige Situation. Setz dich her und erzähl mir darüber."
Ich wandte den Kopf zu einem letzten Blick. Der Arbeiter lag ausgestreckt auf der Bank, sein Kopf im Schoß des alten Mannes. Der alte Mann strich ihm sanft über das schmutzige, verfilzte Haar.

Als der Zug weggefahren war, setzte ich mich erstmal auf eine Bank. Was ich mit meinen Muskeln hatte tun wollen, war nun mit guten Worten erreicht worden. Ich hatte gerade Aikido in der Bewährung des Kampfes gesehen, und das Wesen dieses Kampfes war die Liebe. Ich mußte diese Kunst anscheinend mit einem völlig anderen Geist ausüben. Es sollte wohl noch lange dauern, bevor ich über die Lösung von Konflikten würde reden können.



(Quelle: Terry Dobson, org. in Reader's Digest 1981; mit freundlicher Genehmigung des Agape-Ver¬lages aus:John H.Yoder,Was würden Sie tun?,deutsch von Wolfgang Krauß,1985,S.84ff)

Randale vor der Hütte

 Ein Telefonanruf rief uns zur Hilfe: Nächtliche Randale - das war die Absicht einiger faschistisch ausgerichteter Jugendlicher, die vor der Pressehütte standen. Sie machten einigen Aufruhr vor dem Haus. Zwei waren betrunken; die waren auch besonders aggressiv. Und sie belagerten die Tür. Einer von uns, ein Ami, ging zu dem einen an der Türe hin und bat ihn, daß er doch da weggehen solle. Der Betrunkene sagte, gut, gehen wir da auf die Straße. Und es war klar: Er wollte den Zweikampf.
Sie gingen vor, und der Ami stand einfach ganz ruhig da. Das machte den anderen ganz hilflos, und provozierte ihn auch. Er nahm den Ami und stieß ihn rückwärts über eine Bodenkante auf die Erde. Er schlug ihn und rüttelte an ihm. Doch dieser blieb weiter ruhig, ertrug es noch und sagte nur:
"Was hab' ich dir denn getan? Ich schlage niemand. Ich habe dich ja auch noch nie gesehen."
Da endlich kamen zwei andere von dessen Kumpels und zogen den Besoffenen weg. Es ging ihnen wohl doch zu weit, was hier geschah. Und sie sagten es dem auch.
Der Ami war - wie gesagt - in der Situation ganz ruhig; doch als wir nachher noch darüber sprachen, hat er sehr stark am ganzen Körper gezittert.



(Quelle: Ulli Laubenthal)

Streit ums Fernsehprogramm

Ich arbeitete als Sozialarbeiter in einer neugegründeten Wohngemeinschaft, in der sehr verwahrloste Jugendliche einen neuen Halt finden sollten.
An einem trüben Tag gerieten zwei Jugendliche in Streit, weil jeder ein anderes Programm im Fernsehen anschauen wollte. Ich selbst war gerade in einem anderen Raum. Plötzlich bekam der eine einen Wutanfall und warf das Fernsehgerät zum Fenster hinaus. Durch den Knall aufgeschreckt, rannte ich hinüber. Als ich erzählt bekam, was los war, schaute ich zuerst gleich zum Fenster hinaus. Gott sei Dank war das Gerät niemandem auf den Kopf gefallen.

Dann fragte ich den Burschen - 1,80 groß und viel stärker als ich - ob er verrückt geworden sei. Ich verlangte von ihm, daß er die Glassplitter aufkehren sollte. Er weigerte sich. Mittlerweile waren alle zehn Jugendliche im Raum versammelt und standen neugierig hinter ihm, um zu sehen was passieren würde. Er stand mir gegenüber und wurde in seinen Worten immer aggressiver. Ich merkte: wenn mir jetzt nichts einfällt, dann schlägt er zu. Da kam mir der rettende Einfall. Ich sagte zu dem langen Kerl: "Ich verstehe, Du kannst das bei Deiner schwachen Gesundheit nicht machen."
Und wandte mich an den Kleinsten: "Vielleicht kannst Du das für Ihn machen?"
Die Reaktion: der Lange brach in ein brüllendes Gelächter aus und die ganze Gruppe lachte mit. Der Kleine fing an zu kehren; doch nach einer Weile nahm der Lange ihm den Besen ab und kehrte selbst weiter. Die Situation war entspannt.



(Quelle: Fritz Karas, Köln)

Angriff in der Klasse

Kürzlich erinnerte sich eine ca. fünfzig-jährige Lehrerin daran, daß sie ganz am Anfang ihrer Tätigkeit an der Schule sich plötzlich einer tödlichen Bedrohung gegenüber gesehen hatte. Folgendes war geschehen:

Die Lehrerin hatte der Mutter einer lernschwachen Schülerin empfohlen, diese in eine Sonderschule versetzen zu lassen. Die Mutter war auch damit einverstanden, denn sie selbst und auch ihr Mann hatten die Sonderschule besucht.
Ohne daß die Lehrerin dies ahnen konnte, fühlte sich jedoch der Vater des Kindes von diesem Vorschlag gekränkt. Also trank er sich Mut an und platzte am nächsten Tag mitten in den Unterricht. Mit erhobenem Messer stürzte er auf die Lehrerin zu. Die Kinder waren schreckensstarr; die Lehrerin eigentlich nicht minder, aber sie wandte sich doch dem Mann zu und fragte ihn äußerlich ruhig und geschäftsmäßig: "Wollen Sie hier hospitieren?"
Sogleich ließ der Angreifer das Messer sinken. Er hatte sicher mit einer erschreckten Reaktion der Lehrerin gerechnet, aber nicht mit dieser verwirrenden Frage. Vielleicht wußte er auch nicht genau, was mit "hospitieren" gemeint war. Jedenfalls schloß er aus den Gesten der Lehrerin, daß ihm eine positive Rolle zugedacht wurde. So folgte er einfach ihrer Empfehlung: "Nehmen Sie bitte hinten Platz!" Er setzte sich in die letzte Reihe und hörte die ganze Stunde mit an, wie die Lehrerin   - innerlich immer noch zitternd - das Märchen weiter besprach, das sie gerade zu lesen begonnen hatte.



(Quelle: -bg-)

Unerwartete Reaktion

Seit Monaten arbeite ich an einer Sammlung gewaltfreier Aktionen. Ich habe mich ganz in diese Haltung hineingedacht und hineingefühlt. Mit allen meinen Gedanken bin ich dabei. So kommt es mir eines abends gar nicht zu Bewußtsein, daß ich mich in einer gefährlichen Situation befinde: der Gang alleine als Frau durch eine ziemlich dunkle Seitenstraße.
Ich betrete eine Telefonzelle und führe ein erfreuliches Telefonat. Auf einmal wird die Tür aufgerissen. Eine Horde Randalierender steht vor mir, angetrunken, in schwarzer Kleidung mit viel Metall an den Lederjacken. Sie haben kahlrasierte Schädel, von denen ihnen oben die Haare zu Berge stehen; Nadeln sind in den Ohren zu sehen, und sie tragen Schlagringe und -ketten.
"Wird das Scheißhaus endlich frei?" brüllt der an der aufgerissenen Tür und schwingt drohend eine Bierflasche gegen mich.
Die Stimmung, in der ich mich befunden habe, ist so stark, daß ich mich auch jetzt nicht aus der Fassung bringen lasse. Strahlend wende ich mich zu dem Grölenden und sage ganz unbefangen und mit ruhiger Herzlichkeit: "Ja, gleich. Ich bin bald fertig. Prost."
Verblüfft bleibt ihm der Mund offenstehen, die Bierflasche trudelt ins Leere und die Tür fällt zu. Ich sehe die jungen Leute die Straße runterschlurfen; da ist irgendwie die Luft raus.
Im Nachhinein hab' ich überlegt, womit ich das eigentlich bewirkt habe. Wie gesagt: ich war allein, keine Vorsätze, keine besonderen Machtmittel. Ich denke, es kam daher, daß ich unerwartet reagiert und mich nicht auf Drohungen eingelassen hatte. Das Gewaltmuster griff dadurch nicht und lief ins Leere.

Überraschungseffekt

Auf ihrem Heimweg im Dunkeln bemerkt eine Frau, wie ein Mann sie scharf beobachtet, und spürt dann, daß er hinter ihr hergeht. Sie ist allein in der menschenleeren Straße; und ihr wird unheimlich. Kurz entschlossen wendet sie sich um und spricht den Mann an:
"Guten Abend, ich habe eine Bitte: Würden Sie mich begleiten - zu meinem Schutz, damit mir nichts passiert?" Verblüfft sagt der Fremde zu. Auf dem Weg unterhalten sie sich "unbefangen" über alles mögliche; wohlbehalten kommt die Frau zu Hause an. Aber beim Abschied sagt der Mann unvermittelt: "Gehen Sie nicht mehr so spät allein im Dunkeln. Sie hatten Glück. Ich hatte ganz was anderes vor. Aber mit ihrer Bitte haben Sie mich total verblüfft. Das hat mich ganz bei meiner Ehre gepackt." Doch sogleich fügte er hinzu: "Machen Sie das nicht nochmal!"


(Quelle: -bg-)

Ein gefährlicher Spaziergang

Vor Jahren habe ich in London an einer Ausbildung zum Community-Worker teilgenommen. Sie fand in einem Gemeinwesenzentrum im East-End nahe dem Hafen statt, einer 'arme-Leute'-Gegend. Es sah damals dort fast gespenstisch aus.In ganzen Straßenzügen waren die Fenster und Türen zugemauert, weil die einstöckigen Häuser zugunsten von Wohnblöcken abgerissen werden sollten.
In der Ausbildung wurde eine Technik angewendet, die man "overflooting" nennt. Das bedeutet, daß man stundenlang mit Informationen vollgestopft wird, was natürlich äußerst anstrengend ist. Deshalb beschloß ich am Abend gegen 22.00 Uhr noch einen Spaziergang zu machen. Von meinen Kollegen wollte keiner mitgehen, weil sie zu müde waren.

Ich ging also los; und als ich so eine viertel Stunde von unserem Zentrum entfernt war, hörte ich in einiger Entfernung Schritte hinter mir, was mich zunächst nicht beunruhigte. Das änderte sich jedoch, als ich in eine Seitenstraße abbog und die Schritte folgten. Ich drehte mich vorsichtig um und bemerkte in einiger Entfernung eine Gruppe von acht Jugendlichen, die schweigend hinter mir herzogen. Jetzt bekam ich Angst. Hatte ich doch in der Stadtteilzeitung von häufigen Überfällen gelesen. Ich blieb stehen, die Schritte verstummten. Ich ging schneller, die Gruppe auch. Da wußte ich Bescheid, die wollten was von mir. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was sollte ich tun? Davonrennen? - Zwecklos - die jungen Leute wären sicher viel schneller als ich. Schließlich erinnerte ich mich an ein Rollenspiel, in dem unser Lehrer zeigte, daß es erfolgversprechend wäre, auf die Jugendlichen zuzugehen und sie um Hilfe zu bitten.

Da mir selbst nichts besseres einfiel und die Gruppe immer näher rückte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. Ich drehte mich um, ging auf die Jugendlichen zu, die stehenblieben und mich feindselig anblickten. Ich sagte in meinem schlechten Englisch: "Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht helfen? Ich bin ein Ausländer und habe mich verlaufen. Ich suche das Community-Center."
Da hellte sich das Gesicht des jungen Mannes, der vor mir stand auf und er sagte: "Selbstverständlich tun wir das, wir bringen Dich hin."
Sofort entstand in der Gruppe ein entspanntes Klima. Sie fingen an zu reden und geleiteten mich zum Zentrum. Dort lud ich sie noch zu einem Bier ein.

Unser Gemeinschaftsraum war leer. Die Kollegen waren nach dem anstrengenden Tag wohl schon im Bett. Wir ließen uns nieder, ich machte Musik an und wir tranken das Bier. Sie kannten, wie sie sagten, das Zentrum, nur von außen.
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür und ein englischer Kollege wollte herein¬kommen. Er stutzte, als er die Gruppe sah, und machte schnell die Tür von außen wieder zu. Drinnen unterhielten wir uns noch eine Weile, wobei ich erfuhr, daß alle aus der Gruppe arbeitslos waren, und dann gingen sie friedlich. Sie sagten, sie wollten mal wieder kommen und sich das Haus ansehen.
Als sich die Tür hinter ihnen schloß, öffnete sich die Tür des Essraumes und alle meine Kollegen kamen heraus. Der Engländer hatte sie geweckt. Er kannte den Boß der Gruppe und wußte, daß dies die gefährlichste Jugendbande vom Eastend war. Die Kollegen wollten mir freundlicherweise helfen, falls die mich verprügeln würden. Da wurde mir nachträglich noch schlecht - vor Schreck.


(Quelle: Fritz Karas, Köln)

Die schweren Bücher

Ein Mädchen ging von der Schule nach Hause mit einem großen Stapel Bücher in ihren Händen. Während sie auf einem Waldweg lief, hörte sie, daß jemand schnell hinter ihr herkam. Es war ein Mann, der sie verfolgt hatte. Als er schließlich neben dem Mädchen war, drückte sie ihm die Bücher mit der Bemerkung in die Hände: "Schön, daß ich jemand gefunden habe, der mir helfen kann, meine Bücher zu tragen; und der mich hier im Wald beschützen kann."
Der Mann lief mit ihr, während das Mädchen allerlei über ihre Schule erzählte. Als sie bei ihr zuhause angekommen waren, bedankte sie sich bei dem Mann für die Hilfe; worauf er antwortete:
"Ich fand es auch schön. Aber wenn du wüßtest, was ich eigentlich vorhatte."


(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion91/92,S.28)