Montag

Jerusalem im Jahre 26 n.Chr.

Jerusalem im Jahre 26 n.Chr. Josephus Flavius berichtet von einem Ereignis, an dem „Tausende von Juden” beteiligt waren (Bell. II,9,171f). Es ging um die verpönten Bilder des „Gott-Kaisers” in Rom, die Pilatus nächtens nach Jerusalem hatte bringen lassen, um die Juden zu dessen Verehrung zu veranlassen:
„Die Juden erhoben sich gegen Pilatus in Caesarea, um ihn zu bitten, die Bilder aus Jerusalem zu entfernen [...] Da Pilatus sich weigerte, lagerten sie sich um sein Haus und blieben dort fünf Tage und fünf Nächte. Am sechsten Tag begab sich Pilatus vor sein Tribunal im großen Stadion und rief das Volk unter dem Vorwand zusammen, auf sein Begehren antworten zu wollen; den bewaffneten Soldaten gab er den Befehl, die Juden zu umzingeln. Als die Juden sahen, wie die Soldaten sie mit einem dreifachen Ring umgaben, blieben sie vor diesem unerwarteten Schauspiel stumm. Pilatus, nachdem er ihnen erklärt hatte, er wolle sie töten lassen, falls sie das Bildnis des Kaisers nicht anerkennen würden, gab den Soldaten das Zeichen, ihre Schwerter zu ziehen. Doch die Juden warfen sich, wie auf einen gemeinsamen Befehl, auf die Erde und boten ihren Nacken dar, alle bereit, lieber zu sterben, als das Gesetz zu verletzen. Von diesem religiösen Eifer überwältigt [wörtlich: Das Lautere der Gottesfurcht überbewundernd] , gab Pilatus den Befehl, die Bilder aus Jerusalem zu entfernen.”

Falls Jesus von Nazareth nicht selbst dabei war, so hat er doch mit Sicherheit davon gewusst. Seine Seligpreisungen und die Worte zur Feindesliebe dürften davon beeinflusst sein. (Martin Arnold)

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Tusculum, 4. Jahrhundert v.Chr.

Tusculum, Rom, 4. Jahrhundert v.Chr. Krieg gegen Tusculum, Camillus solle ihn führen, dies beschloss der römische Senat, denn obwohl Tusculum mit Rom verbündet war, hatten Tusculaner mit Erlaubnis ihres Staates zusammen mit den Volskern gegen Rom gekämpft. Titus Livius berichtet davon in seiner Römischen Geschichte Seit der Gründung der Stadt (Buch VI, 25f). Unabhängig von der Frage, wie zuverlässig der Geschichtsschreiber hier erzählt,  können wir das Geschilderte einschließlich der ungewöhnlichen Fortsetzung zum Anlass für weitergehende Überlegungen nehmen. Camillus lässt das römische Heer gegen Tusculum ausrücken, ein Lager aufschlagen – und findet Tusculaner draußen auf den Feldern arbeiten und das Stadttor offen. In Scharen gehen Tusculaner zivil gekleidet den Bewaffneten furchtlos entgegen und bringen den Römern Lebensmittel ins Lager. Camillus vergewissert sich in der Stadt, dass dort ebenso beständiger und ruhiger Friede und normales Treiben herrscht wie vor dem Tor, die Haustüren sind offen. „Entwaffnet durch diese Gelassenheit der Feinde“ (Victus igitur patientia hostium) leitet Camillus das Ende des geplanten Krieges mit den Worten ein: „Tusculaner, ihr habt die wahren Waffen und die wahren Kräfte gefunden, mit denen ihr euer Eigentum vor dem Zorn der Römer schützen werdet.“ Er schickt sie nach Rom, sie sagen dem Senat u.a.: „Wir danken euren Feldherrn sowohl als euren Heeren, dass sie [...] wo kein Feind war, auch keinen finden wollten. [...] Soll uns die Übermacht eurer Waffen fühlbar werden, so wollen wir sie wehrlos fühlen.“ Rom zieht die Soldaten ab.
Durch patientia haben die Feinde den Feldherrn besiegt. Der Geschichtsschreiber lässt den als tugendhaft und vorbildlich dargestellten Feldherrn patientia als wahre Waffe und wahre Kräfte zum Schutz vor Krieg bezeichnen.
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Dramatik in Birmingham

  Mehrere hundert "Neger" von Birmingham hatten beschlossen, sich zu einer Gebetsversammlung in der Nähe des Stadtgefängnisses zu versammeln. Sie trafen sich an der New Pilgrim Baptist Church und setzten sich geordnet in Marsch. "Bull" Connor ließ Polizeihunde holen und Wasserwerfer auffahren. Als die Marschierenden sich der Grenze zwischen dem weißen und dem schwarzen Bezirk näherten, befahl ihnen Connor umzukehren. Reverend Charles Billups, der den Zug anführte, weigerte sich höflich. "Bull" Connor kam in Wut, drehte sich zu seinen Männern um und brüllte:
  "Verdammt! Wasser frei!"
  Was in den nächsten dreißig Sekunden geschah, gehört zu den phantastischsten Ereignissen von Birmingham. "Bull" Connors Leute standen den Marschierenden gegenüber, die mörderischen Schläuche zum Einsatz bereit. Die Demonstranten starrten unverwandt zurück, furcht- und regungslos; viele von ihnen knieten. Langsam erhoben sich die Neger und begannen vorwärts zu gehen. Connors Leute wichen wie gebannt zurück, die Schläuche hingen schlaff in ihren Händen, während Hunderte von Negern vorbeizogen und ungehindert ihre geplante Gebetsversammlung abhielten.



(Quelle: Gernot Jochheim, Die Gewaltfreie Aktion, Hamburg 1984, S.314)

Samstag

Die Rowdies respektieren sie

  Bei einer denkwürdigen Gelegenheit, als das jährliche Treffen der Antisklaverei-Gesellschaft in New York stattfand, wurde die Veranstaltung von einigen Rowdies gestört. Einige der VertreterInnen wurden sehr rauh behandelt von der Menge, als sie den Saal verließen. Als Lucretia Mott dies bemerkte, bat sie ihren Begleiter, sie zu verlassen, und einigen anderen Frauen zu helfen, die in Bedrängnis waren.
  "Aber wer passt auf Dich auf?", fragte er.
  "Dieser Mann", sagte sie, und legte ganz ruhig ihre Hand auf den Arm von einem der gefährlichsten des Mobs. "Er wird mich in sicherer Art durchbringen."
  Derart vor den Kopf gestoßen durch so viel unerwartetes Vertrauen reagierte der Mann, indem er sie rücksichtsvoll durch diesen Tumult an einen sicheren Ort geleitete.
  Am nächsten Tag ging sie in ein Restaurant in der Nähe des Versammlungsortes und erkannte den Anführer des Mobs an einem der Tische. Sie setzte sich zu ihm und kam ins Gespräch mit ihm. Als er den Raum verließ, fragte er einen Mann an der Tür, wer diese Frau sei. Als er ihren Namen hörte, bemerkte er:   "Ja, sie ist eine gute, feine Frau."



(Quelle: aus: Victories Without Violence, compiled by A.Ruth Fry, Santa Fee 1986, S.29f)

Das Gewissen des Wachmanns

  Es geschah einmal in Deutschland während des Krieges in einem Gefangenenlager. Das Leben der Gefangenen war hart. Sie hatten Hunger und litten unter der Kälte und den Anstrengungen der Zwangsarbeit. Abends kehrten sie in ihre Baracken zurück. Ein Wachmann erwartete sie, um mit ihnen seine Scherze zu treiben, die aber nur ihm allein Vergnügen machten. Er zog den einen an der Nase und gab einem anderen einen Tritt in den Bauch. Jeder fragte sich, wer wohl heute an der Reihe wäre.
  Eines Abends aber kam einer der Gefangenen von selber zu ihm und sagte:
  "Da Sie jeden Tag jemand schlagen müssen, möchte ich Sie bitten, heute mit mir vorlieb zu nehmen."
  "Nanu, kleines Französchen! Weil Du so frech bist, rate einmal, wieviel Mal ich Dir mit meiner Reitpeitsche auf den ..."
  "Es ist nicht meine Sache zu bestimmen, wieviele Schläge ich verdient habe. Ich überlasse das Ihrem Gewissen."
  "Meinem Gewissen, meinem Gewissen? Ich habe kein Gewissen!"
  "Doch!", sagte nach einer kleinen Pause der Gefangene. "Doch, Sie haben ein Gewissen. Ihr Zögern beweist, daß Sie ein Gewissen haben, denn Sie haben mich noch immer nicht geschlagen."
  Und indem er sich anschickte weiterzugehen, fügte er noch hinzu:
  "Ich glaube sogar, daß Sie mich heute abend nicht mehr schlagen werden."
  Dann wandte er sich um und ging.
  Der andere starrte betroffen vor sich auf den Boden, blaß, mit Tränen in den Augen und zitternden Lippen. Nie zuvor hatte jemand zu diesem Unglücklichen von seinem Gewissen gesprochen. Vielleicht war das die Ursache seiner Rohheit.
  Nach diesem Tag wurde kein Gefangener mehr von ihm geschlagen. Ich würde es nicht wagen, diese Geschichte zu erzählen, wenn ich nicht wüßte, daß sie wahr ist.



(Quelle: Lanza del Vasto, Definition der Gewaltlosigkeit, org.1963, hier aus: Albert Schmelzer, Die Arche, Waldkirch 1983, S.57f)


Augenkontakt

  Eine Begebenheit auf der Straße kann ich erzählen, wo ich mal reingefallen bin. Raus kam ich da wieder, weil ich gerade an einem Training für Gewaltfreiheit mitgemacht hatte. Ich will diese Story gerne erzählen, weil es ein Beispiel dafür ist, wie sich Trainings auszahlen können. In diesem Fall also war ich umzingelt von einer Gruppe schwarzer junger Männer spät in der Nacht. Ich war alleine. Ich war selbst blöd, daß ich in diese Situation kam. Ich hätte es vermeiden können. Ich tat es sicher aus einer überheblichen Männlichkeit heraus, und dann fand ich mich umzingelt von diesen jungen Männern. Einer von ihnen stieß mich gegen die Wand.
  Woran ich mich erinnerte von dem Training, an dem ich teilgenommen hatte, war das interessante Gespräch über die Geschichte von John Wesley, der in England sehr oft angepöbelt wurde. Er war ein methodistischer Prediger und er hatte gelernt, wie er mit dem Mob umging. Was er tun würde, war, den Kopf hoch nehmen und auf die Seite wenden, so daß die Leute sein Gesicht sehen können und daß er damit so menschlich als möglich sein kann. Er würde sich umschauen und entscheiden, wer wohl der Anführer dieses Mob sei. Und dann würde er keinen anderen mehr anschauen. Er würde alleine direkt mit dieser Person verhandeln und - wenn da allzu viel Lärm wäre - würde er einfach den Augenkontakt mit dieser Person behalten. Er würde alle Energie dieser Person zuwenden, bis sie bei dem Mob interveniert und die Situation wendet.
  So erinnerte ich mich an dieses Gespräch jetzt bei meiner Bedrohung und schaute mich nach ihnen um, als ich entschied, daß es nicht der Mann war, der mich so energisch gegen die Wand drückte, daß er der Anführer sei. Intuitiv entschied ich, daß es ein anderer war. Also fixierte ich völlig diese Person. Ich sprach zu ihm. Ich war empört. Ich zeigte meinen Ärger. Ich sagte:
  "Warum machst Du das mit mir? Ich bin hier mitten in der Nacht und hole Arznei für mein Baby und Du machst dies mit mir! Was hab' ich getan? Womit hab' ich das verdient? Das verwirrt mich! Warum machst Du das?"
  In keiner Weise erniedrigte ich ihn. Ich war nicht respektlos. Ich drückte allein meinen Ärger über diesen Vorfall aus. Die ganze Zeit über fixierte ich ihn; meist war es Augenkontakt, meine Stimme war womöglich auch sehr gewichtig. Nach einiger Zeit intervenierte er bei dem Jungen, der die Initiative ergriffen hatte, und sagte ihm, er solle aufhören, und so kamen sie in Diskussion, was sie mit mir machen wollten. Während alle mit diesen Fragen beschäftigt waren, konnte ich sicher weggehen.



(Quelle:George Lakey, Philadelphia, Interview mit Uwe Painke, Okt.92)



Überfall beim Trampen

  Als ich auf dem College war, trampte ich oft durchs ganze Land. Das war in der Mitte der 60er Jahre. Ich reiste alleine und auch mit anderen Freunden zusammen. Es gab eine Reihe von Episoden, bei denen ich angegriffen wurde. Da kann ich Dir ein Beispiel geben.
  Du mußt verstehen, ich bin Quäkerin und bin erfüllt von der Idee, daß du immer annehmen kannst, daß du eine gewaltfreie Lösung findest. Ich glaube, das erste Mal, als es passierte, da war ich auf dem Weg, einen Freund in PA zu besuchen, und ich wurde rausgelassen bei - ja, ein Freund hatte mich nach NJ gefahren und nun wartete ich auf einen Bus, um nach Philadelphia rein zu kommen. Da kam ein Junge daher und sagte:
  "Ich fahre nach Philadelphia. Willst Du mitfahren?"
  Und ich Idiot akzeptierte es. Auf dem Weg sagte er:
  "Ich geh' mal raus und hole Wasser."
  Er ging zu so einem verlassenen Haus. Ich war da gerade mal 19 und sehr naiv zu der Zeit. Er ging also in das Haus, um nach Wasser zu sehen. Schließlich folgte ich ihm, und da griff er mich an. Er warf mich nieder und war drauf und dran, mich zu vergewaltigen. Ich hatte doch gerade dies Gespräch mit ihm. Ich glaube, ich war verstört, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich sprach weiter:
  "Ich will keinen Sex mit Dir haben. Ich will nicht, daß Du mich vergewaltigst."
  Ich kam aus der ganzen Geschichte raus mit Gewaltfreiheit und gab ihm diese klare Erwiderung. Endlich hörte er auf und sagte:
  "Du bist ja äußerst ernst, nicht wahr?"
  Er nahm mich mit zurück in den Wagen, fuhr mich nach Philadelphia, gab mir zwanzig Dollar und fuhr davon.



(Quelle: Patty Lyman, Seattle, Interview mit Uwe Painke, Sept.92)

Ein "Neger" handelt

  Neulich war einer der jungen Sekretäre des amerikanischen Versöhnungsbundes, ein junger Farbiger, als Redner auf einer Reise im Süden und setzte sich über die Trennungsgesetze, die in einigen Staaten üblich sind, hinweg, indem er sich in einem Autobus auf einen Platz in einem für Weiße reservierten Abteil niederließ. Der Fahrer des Omnibus rief die Polizei an, sodaß vier Rohlinge von Polizisten den Omnibus gerade vor einer Stadt, wohin er fuhr, anhielten, einstiegen und unter Beschimpfungen verlangten, daß der junge Bayard Rustin den Platz, auf dem er saß, verließe. Den weiteren Verlauf der Geschichte geben wir am besten mit den eigenen Worten seines Briefes wieder. Nachdem er geschildert hat, wie die Polizisten ihn zu Boden warfen, schlugen, traten und herauszerrten, schreibt er:
  Ich sprang auf, streckte meine Arme waagrecht aus und sagte:
  "Sie brauchen mich nicht zu schlagen. Ich leiste keinen Widerstand."
  In diesem Augenblick entstiegen drei Weiße, offenbar aus dem Süden, dem Omnibus. Sie sagten:
  "Warum tun Sie das? Er hat nichts getan. Warum behandeln Sie ihn nicht wie einen Menschen? Er leistet Ihnen keinen Widerstand."
  Ein Kleiner packte den Knüppel des Polizisten, als er mich schlagen wollte, und sagte:
  "Lassen Sie das!"
  Die Polizisten schickten sich an, ihn zu schlagen, als ich zu ihm sagte:
  "Tun Sie das bitte nicht, denn ich stehe in guter Hut. Es bedarf keines Kampfes. Ich danke Ihnen trotzdem."
  Diese drei weißen Freunde begannen, meine Kleider und mein Gepäck aufzulesen, das der Fahrer des Omnibus aus dem Wagen an den Straßenrand geworfen hatte. Ein älterer Mann fragte die Polizisten, wohin sie mich brächten. Sie sagten:
  "Nashville."
  Er versprach mir, daß er hinkäme, um dafür zu sorgen, daß mir mein Recht werde.
  Während der wilden Fahrt von 13 Meilen zur Stadt beschimpften sie mich auf jede Weise und sagten alles Mögliche, was mich heftig werden lassen könnte. Ich saß ganz still und blickte ihnen gerade ins Auge, sooft sie mich anzusehen wagten. Der Umstand, daß sie mich nicht ansehen konnten, gab mir Mut, denn ich wußte, daß sie im Unrecht waren. Dies machte sie der Besserung ganz zugänglich.
  Als ich in Nashville ankam, durchsuchten sie mein Gepäck und meine Papiere. Sie zeigten größtes Interesse für das 'Christian Century and Fellowship'. Schließlich sagte der Hauptmann:
  "Komm her, Nigger!"
  Ich ging geraden Weges auf ihn zu.
  "Was kann ich für Sie tun?" sagte ich.
  "Nigger", sagte er, "man sollte annehmen, Du hättest Angst, wenn Du hier hereinkommst."
  "Ich werde gestärkt durch Wahrheit, Gerechtigkeit und Christus", sagte ich, "da brauche ich mich nicht zu fürchten."
  Er war völlig verblüfft. Eine Zeitlang sagte er gar nichts. Dann ging er zu einem anderen Beamten und sagte in seiner Verblüffung:
  "Ich glaube, der Nigger ist verrückt."
  Ich wartete dort anderthalb Stunden. Das nächste, was geschah, war, daß ich zu einer langen Fahrt durch die Stadt mitgenommen wurde. Im Gerichtsgebäude führte man mich in das Dienstzimmer des zweiten Bezirks-Staatsanwaltes. Als ich eintrat, hörte ich jemand sagen:
  "Na Du Farbiger, he!"
  Ich sah mich um und erblickte den weißen Herrn, der gesagt hatte, er würde dafür sorgen, daß mir mein Recht werde.
  Der Bezirks-Staatsanwalt fragte mich eine halbe Stunde über mein Leben, das 'Christian Century', den Versöhnungsbund, über Pazifismus und Krieg aus. Dann forderte er die Polizisten auf, ihre Darstellung von dem Vorfall zu geben. Sie brachten einige Lügen vor. Dann verlangte er von mir, daß ich meine Meinung sagte. Das tat ich, indem ich die Polizisten aufforderte, mir jeden Punkt zu bestätigen. Der Bezirks-Staatsanwalt entließ mich. Ich wartete eine weitere Stunde ganz allein in einem dunklen Raum. Dann kam er herein und sagte sehr freundlich:
  "Sie können gehen, Herr Rustin."
  Verwirrt verließ ich das Gerichtsgebäude, bestärkt in dem Glauben an das Handeln ohne Gewalt, denn ich bin sicher, daß man mich Herr nannte, daß mir der ältere Herr half und daß mir die drei Männer im Omnibus halfen, weil ich vier Polizisten mit den Worten: 'Sie brauchen mich nicht zu schlagen, ich leiste keinen Widerstand' furchtlos entgegengetreten war.



(Quelle: aus: Victories Without Violence, s.o.5., S.76f)


Das "Wunder" von Gorski Kotar

  Franjo Starcevic lebt in der Region Gorski Kotar im Westen Kroatiens, südlich der (slowenischen) Gottschee und östlich von Rijeka. Der Professor für Psychologie und Philosophie hat 1971 wegen seines Eintretens für die kroatische Autonomie seinen Arbeitsplatz verloren. Inzwischen pensioniert, lebt er zurückgezogen in seinem (kroatischen) Geburtsort Mrkopalj, wo er großen Einfluß hat. Im Spätherbst 1991 drohte der Krieg auch seine Region zu erreichen. Die Kroaten und Serben, die relativ geschlossen in ihren Dörfern lebten, hatten schon Waffen gesammelt und Barrikaden gebaut. Es fehlte nicht mehr viel, und es wäre auch hier zu Kämpfen gekommen. Doch durch sein mutiges Engagement ist es dem alten Mann gelungen, diese Gefahr abzuwenden. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:
  "Im vorigen Jahr, im November oder Dezember, als der Krieg in Kroatien voll im Gang war, habe ich mich entschieden, in unser Nachbardorf Jasenak zu gehen, welches ganz serbisch ist und sich auf der anderen Seite eines Berges, der Bjelalasica, befindet. Zwischen den beiden Dörfern, die rund 30 Kilometer voneinander entfernt sind, besteht eine traditionelle Freundschaft. Es gab früher viele kroatische und serbische Dörfer, die eng verbunden waren, aber diese Freundschaft ist zerbrochen, und zwar sehr brutal.
  Also, ich komme nach Jasenak, und sie waren sehr gastfreundlich, wie die Serben immer sind. Das ist ihre nationale Eigenschaft. Ich habe den Leuten aus dem Gemeinderat gesagt, daß es sehr dumm ist, jetzt im 20.Jahrhundert mit Waffen gegeneinander zu kämpfen. Das Gespräch dauerte einige Stunden.
  In diesem Gespräch war natürlich die Schwierigkeit, daß es schon auf beiden Seiten Barrikaden gab. Wir haben damit angefangen, weil wir eine Offensive der Volksarmee befürchteten. Wir hatten zehn Bäume auf die drei Verbindungsstraßen Richtung Jasenak gelegt. Darauf haben die Serben auch auf ihrer Seite Straßensperren errichtet. Und sie hatten viel mehr Waffen als wir. Aber ich habe versprochen, daß wir unsere Barrikaden wegräumen.
  Als ich zurückgekommen bin, habe ich alles das unserem Bürgermeister erzählt und auch in unserer Provinzstadt Delnice darüber berichtet. Und wir haben beschlossen, daß diese Aktion richtig war und daß man sie ausweiten muß. Vorher waren meine Leute sehr skeptisch und dagegen, daß ich nach Jasenak fahre. Sie hatten geglaubt, daß es gefährlich und unsinnig ist, zu den Serben zu gehen. Aber jetzt sahen alle, daß es erfolgreich war.
  Nach etwa zwei Monaten, zu Beginn dieses Jahres, bin ich ein zweites Mal nach Jasenak gefahren. Vorher haben wir unsere Barrikaden weggeräumt, um ihnen zu demonstrieren, daß wir es ehrlich meinen. Und diesmal bin ich länger geblieben. Wir sind als Freunde geschieden. Und dann haben sie, vielleicht nach einem Monat, auch ihre Barrikade weggeräumt. Und unsere Beziehungen sind besser und besser geworden. Im Mai war ihre Delegation bei uns, und jetzt können wir diese guten Beziehungen fortsetzen."



(Quelle: Werner Wintersteiner, aus: Friedensforum, Sept./Okt.92, S.13.)

Überfall auf ein Gewerkschafts-Büro

  Eines Tages kommt eine Todesschwadron ins Büro gestürmt, wo etwa zehn Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen an der Arbeit sind. Die schwerbewaffneten Männer richten ihre Maschinenpistolen auf die Anwesenden und schreien, alle müssten sich mit ausgebreiteten Armen kopfunter auf den Boden werfen! Julio, der zunächst am Eingang sitzt, reagiert blitzschnell:
  "Nein, wir tun das nicht! Ihr könnt mich umbringen, ich weigere mich! Wenn Ihr mich niederschießt, dann müßt Ihr gleichfalls alle anderen töten! Wer seid Ihr überhaupt? Was wollt Ihr? Wer hat Euch geschickt?"
  Die Todesschwadron, durch diese unerwartete Weigerung aus dem Konzept gebracht, reagiert im Moment verunsichert.
  Julio bringt heraus, daß sie von der Nationalpolizei sind. Rasch realisiert er, daß er ihnen einen Ausweg bieten muß, um ihr Gesicht zu wahren:
  "Was wollt Ihr? Wollt Ihr Geld? Hier, zweitausend colones!"
  "Wir wollen Dollares!"
  "Nichts da, macht, daß Ihr rauskommt, hinaus, hinaus ...!"
  Und die Gewerkschafter folgen ihnen noch bis zum wartenden Auto nach.



(Quelle: Ueli Wildberger, Peace Brigades International, in Neue Wege, Zürich 11/92, S.322)

Gruppen - Treffen

  Freitag Abend, die Jugendkneipe des Brückenhaus e.V. ist wieder gut voll. Von Ehrenamtlichen wurde sie eingerichtet und jetzt betrieben, die hier in zwei Stadtteilen zusammen mit dem Sozialarbeiter sowohl mit ausländischen als auch mit rechtsorientierten Jugendlichen arbeiten. Gerade letztere treffen sich ganz gerne hier. Schon öfter mal kam es da zu einzelnen Zwischenfällen verschiedener Art; doch verliefen sie zumeist glimpflich. Aber so gespannt wie an diesem Freitag abend war es noch nie.
  Vor dem Haus hatten sich 40 Leute versammelt - sogenannte Linke. Sie waren zum Teil vermummt, trugen einige Stangen und Schläger bei sich, die sie einem Metallzaun entwendet hatten; und auch das Gerücht ging um, sie hätten Molotow-Cocktails dabei. Sogleich waren die Jungs in der Kneipe in Alarmbereitschaft. Sie bedienten sich bei einem nahegelegenen Container und versorgten sich mit allerlei Metallbrocken als Bewaffnung. Die Stimmung war geladen.
  Da griffen die anwesenden Ehrenamtlichen ein. In guter und schneller Reaktion baten sie zunächst alle "ihre" Leute, wieder ins Haus zu kommen; ein breitschultriger stellte sich dann in die Türe, um sie zu versperren. Damit war schon mal eine erste Konfron-tationsmöglichkeit verhindert, indem die Gruppen ganz klar getrennt waren.
  Nun wagte es einer der Ehrenamtlichen und ging hinaus direkt auf die Gruppe der Linken zu:
  "Ich bin der Vertreter des Brückenhaus e.V.; und wer ist Euer Vertreter?"
  Das überraschte; das lehnten sie erst mal ab:
  "Nein, wir haben keinen Vertreter; das brauchen wir doch nicht."
  Nach einigem zögerlichen Überlegen gab es dann doch einen. Nun war eine Grundlage für eine erste Diskussion geschaffen.
  "Wißt Ihr, was das Brückenhaus ist und was wir da machen?", fragte der Ehrenamtliche aus der Kneipe.
  "Ja", antwortete die andere Seite sehr schnell. "Ihr habt da die Faschos drin; und also seid ihr auch für die."

  Erst später wurde uns nochmal deutlich, daß dies die allgemeine Überzeugung bei den Linken bzw. Autonomen des Stadtteils war, obwohl wir im Rahmen unserer akzeptierenden Jugendarbeit sicher ganz anderes machen. Unser Standpunkt ist politisch gerade nicht rechts.
  Nach einigem Wortwechsel dieser Art wurde die Situation allerdings noch einmal verschärft. Ein paar Jugendliche, die in die Kneipe wollten, kamen von außerhalb dazu. Sie waren nun als neue Gruppe da draußen. Und nun wollte einer von den Linken rein ins Haus und mit denen drin diskutieren. Allerdings waren nun schon einige ausfällige Attacken verbaler Art zu hören. Ob das gut geht?
  Es war wohl auch eine gute Portion Glück, daß nichts ernsthaftes passierte. Denn nach einiger Zeit kamen nun doch etwa 10 der Linken in die Kneipe; die anderen hatten sich inzwischen verzogen. Und auch hier reagierten die ehrenamtlichen Mitarbeiter wieder sehr geschickt: Mit Eimern gingen sie herum und sammelten vor dem Zusammenkommen auf beiden Seiten alle Waffen ein.
  Im Folgenden blieb es ruhig, wenn auch mit heftigen Diskussionen. Am Ende stand die Vereinbarung, sich in den nächsten Tagen noch einmal zu einer geordneten Diskussion zu treffen, an der auch türkische Jugendliche teilnehmen sollten. Sie fand statt - und war ein voller Erfolg!



(Quelle: Martin Lempp, Kirchheim/Teck)

Aus der Sicht eines Polizisten

  Nun, es gibt zwei Theorien über Kriminalität und den Umgang mit ihr. Manche sagen: "Du mußt wie der Kriminelle denken." Manche Polizisten lernen das so gut, daß sie selber eine Form krimineller Mentalität entwickeln.
  Die Weise, auf die ich arbeite, unterscheidet sich davon beträchtlich. Ich betrachte den Menschen als essentiell rein und unschuldig und von einer ungeteilten, guten Natur. Das ist sein Geburtsrecht. Und das ist es auch, was ich im Verlauf eines jeden Arbeitstages anzuerkennen habe - ja, es ist sogar das, woraus meine Arbeit besteht. ...
  Ich versuche diese Vision auch dann zu bewahren, wenn Konflikt entsteht. Ich hatte einmal einen sehr zornigen, schwarzen Mann verhaftet, der mich mit gezielter Ablehnung behandelte. Als ich ihn zum Polizeiwagen führen wollte, spuckte er mir ins Gesicht - das war schon keine Kleinigkeit - und dann versuchte er noch, mit einem Stuhl auf mich loszugehen. Es gelang uns, ihm Handschellen anzulegen. Als wir im Wagen fuhren, mußte ich mich einfach irgendwie von diesem eigenen negativen Bild von ihm befreien, das nun entstanden war. So affirmierte ich ständig in meinem Geist: "Dieser Mann und ich sind Brüder in der Liebe." Als wir zum Revier gelangten, sagte ich spontan zu ihm:
  "Hören Sie zu. Wenn es irgend etwas gegeben hat, womit ich Sie verletzt habe, so möchte ich Sie jetzt um Entschuldigung bitten."
  Mein Kollege neben mir schaute mich an, als sei ich total verrückt geworden.
  Am nächsten Tag mußte ich den Mann zum Kriminalgericht überführen. Als ich ihn abholte, dachte ich: "Wenn du deiner Vision wirklich vertraust, dann brauchst du ihm auch keine Handschellen anzulegen." Das tat ich auch nicht. Im Gerichtsgebäude gelangten wir zu einer Stelle im Korridor, wo er auf mich hätte losgehen müssen, wenn er eine solche Absicht gehabt hätte. Er blieb dort tatsächlich stehen, was ich auch tat. Dann sagte er:
  "Wissen Sie, ich habe darüber nachgedacht, was Sie gestern gesagt haben, und ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen."
  Ich spürte diese tiefe Dankbarkeit, die von ihm ausstrahlte.
  Aus seinem Strafregister ergab sich, daß er lange im Staate Michigan gesessen und ziemlich viel Ärger mit seinen Wächtern gehabt hatte. Ich symbolisierte anfangs etwas für ihn. Und ich sah bei diesem Vorfall, wie das verwandelt werden konnte - so eine Art von "Heilung" war das, glaube ich.



(Quelle: Ram Dass und Paul Gormann: "Wie kann ich helfen?", Berlin 1988, S.46ff)

Der Dritte Weg

  Martin Luther King vermittelte diesen Dritten Weg Jesu (die Gewaltfreiheit, d.Red.) so an seine Anhänger, daß er zur ethischen Grundlage der gesamten Bürgerrechtsbewegung werden konnte.
  Eines Abends, als Selma in Alabama das Zentrum der Bürgerrechtskämpfe war, stand eine riesige Menschenmenge aus schwarzen und weißen Aktivisten vor der baptistischen Ebenezer-Kirche. Die Nachricht, die ein schwarzer Bestattungsunternehmer aus Montgomery mitbrachte, schlug in ihre Versammlung ein wie ein Blitz. Er berichtete, wie an diesem Nachmittag nahe beim Kapitol berittene Polizisten in eine Gruppe schwarzer demonstrierender Studenten hineingestürmt waren und die Demonstranten zusammengeschlagen hatten. Zwei Stunden lang hatten die Polizisten sodann die Krankenwagen daran gehindert, zu den Verletzten vorzudringen. Unser Informant war der Fahrer eines dieser Krankenwagen. Er war sofort nach Selma gefahren, um uns davon zu unterrichten, was geschehen war.
  Die Menge vor der Kirche kochte vor Wut. Der Ruf "Losmarschieren!" wurde immer lauter. Hinter der Menge, auf der anderen Straßenseite, standen die Staatstruppen von Alabama und die lokalen Polizeikräfte mit Sheriff Jim Clark in Alarmbereitschaft. Die Lage war explosiv.
  Da ging ein junger schwarzer Pfarrer zum Mikrophon und sagte:
  "Es ist Zeit, daß wir ein Lied singen."
  Er begann mit der Verszeile:
  "Liebt ihr Martin Luther King?"
  Diejenigen, die das Lied kannten, stimmten in den Refrain ein:
  "Sicherlich, sicherlich, sicherlich, Herr!"
  Dann ging er alle Führergestalten der Bürgerrechtsbewegung durch. Die Menge erwärmte sich mehr und mehr für das Lied und beantwortete jeden Vers:
  "Sicherlich, sicherlich, sicherlich, Herr!"
  Ohne Vorwarnung sang der Pastor plötzlich:
  "Liebt ihr Jim Clark?" - das war der Sheriff!
  "Si...cherlich, Herr!", kam das zögernde, verebbende Echo.
  "Liebt ihr Jim Clark?", wiederholte der Pfarrer.
  "Sicherlich, Herr!", tönte das Echo schon lauter.
  "Liebt ihr Jim Clark?".
  Mittlerweile war der Groschen gefallen:
  "Sicherlich, Sicherlich, Sicherlich, Herr!"
  Dann ergriff Pfarrer James Bevel das Mikrophon.
  "Wir kämpfen nicht nur für unsere Rechte", sagte er, "sondern für das Wohl der gesamten Gesellschaft. Es reicht uns nicht, Jim Clark zu besiegen - können Sie mich hören, Jim? - , wir wollen Sie bekehren. Wir können nicht gewinnen, solange wir unsere Unterdrücker hassen. Wir werden sie lieben, bis sie sich verändern."
  Und Jim Clark veränderte sich wirklich. Als der Feldzug zur Wähler-Registrierung abgeschlossen war, merkte Jim Clark , daß er ohne die schwarzen Stimmen nicht wiedergewählt werden konnte. So begann er, schwarze Wähler zu hofieren. Später bekannte er sogar - wie ich meine, ehrlich - , daß er sich in seiner Einstellung gegenüber den Schwarzen geirrt hätte.



(Quelle: Walter Wink, Angesichts des Feindes - Der dritte Weg Jesu in Südafrika und anderswo, München 1988, S.82ff)

Was ist canaille?

  Während einer der im 19.Jahrhundert häufigen Unruhen in Paris erhielt der Kommandant einer Gardeabteilung den Befehl, einen Platz durch Gebrauch der Schußwaffe von der dort demonstrierenden canaille zu räumen. Er befahl seinen Leuten, durchzuladen und die Gewehre auf die Demonstranten anzuschlagen. Während die Menge vor Entsetzen erstarrte, zog er seinen Säbel und rief mit schallender Stimme:
 "Mesdames, M'sieurs, ich habe den Befehl, auf die canaille zu schießen. Da ich vor mir aber eine große Anzahl ehrenwerter Bürger sehe, bitte ich sie, wegzugehen, damit ich unbehindert auf die canaille feuern kann."
  Der Platz war in wenigen Minuten leer.

Angespuckt

  Es ist mir mal passiert, daß ich in Bremen, von drei Rockern, die mir entgegenkamen, angespuckt wurde. Ich war auf'm Fahrrad, und die spuckten mir echt so tierisch ins Gesicht. Ich bin erst ein Stück weitergefahren, aber dann hab ich kehrtgemacht und bin zu denen hingegangen und hab denjenigen, der mich angespuckt hat, einfach gefragt, warum er das gemacht hat. Und der war total geplättet und stand da richtig verdattert und verdutzt. Es war ihm richtig peinlich, und er mochte mich kaum angucken. Schließlich sind die drei bedröppelt weitergegangen. Und ich selber hab mich gut gefühlt, daß ich mir das nicht einfach so hab gefallen lassen, diese anonyme Gewalt in der Stadt, sondern daß ich darauf reagiert hab und persönlich den Kontakt versucht habe herzustellen zu denen.

Abba - Vater !

  Eine Frau von ungefähr 25 Jahren wohnte mir gegenüber. Sie war ein kleiner östlicher Typ, geboren in New York und war lange Zeit in Indien gewesen.
  An einem Abend kam sie in einer Kneipe beim Hauptbahnhof in Amsterdam mit zwei türkischen Männern in ein Gespräch. Als sie die Kneipe verließ, folgten sie ihr und wurden zudringlich. Sie fingen an, sie mit persönlichen Dingen auszuschimpfen, die sie ihnen eben erst erzählt hatte, wie zB., daß sie mit einem Niederländer zusammengewohnt hatte, den sie in Indien getroffen hatte, und daß sie daher jetzt noch in den Niederlanden wohnte und ähnliches. Sie versuchte zuerst noch, darauf einzugehen, aber dadurch wurden die Männer nur noch lästiger und machten vulgäre Bemerkungen ihr gegenüber, wie daß sie es sicher auch gerne mal mit Türken machen würde.

  Auf einmal drückte sie der jüngere Mann gegen eine Mauer, während der andere Mann ihre Jacke öffnete und ihre Kleider auszog. Der jüngere schlug ihr regelmäßig ins Gesicht. Was es für sie besonders schwierig machte, war, daß sie Informationen gegen sie verwendeten, die sie ihnen vertraulich und freundschaftlich erzählt hatte, und worauf sie anfänglich nett und interessiert reagiert hatten. Der ältere Mann versuchte sie nach unten zu ziehen, aber in einem Augenblick, als sie ihn ansehen konnte, sagte sie zu ihm mit eindringlichem Ton:
  "Aber Abba, laß mich jetzt gehen."
  Darauf reagierte er und kam wie aus einer "Betäubung" und/oder "Aufregung" zurück zur Realität. Er machte ihre Jacke zu und sorgte dafür, ohne ein Wort zu sagen, daß der Jüngere aufhörte zu schlagen. Sie zog sich wieder an und bedankte sich bei dem älteren Mann dafür, daß er sie gehen ließ.
  Sie liefen noch mit ihr in Richtung Bahnhof, was natürlich für sie nicht ohne Angst ablief, aber keiner von beiden sagte mehr etwas. Sie konnte dann ein Taxi nehmen und kam zu mir.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.105f)

Eine heiße Phase

  "Setz Dich hin", sagt der Junge. "Ich befehle Dir, Dich zu setzen."
  In seiner Hand hält er einen schweren Stein, kurz über meinem Kopf; sein Blick ist entschlossen.
  Und plötzlich zählt das alles nicht mehr, die Hitze, meine Erschöpfung, der lange Weg unter brennender Sonne, mein Wunsch, mich unter einen dieser Olivenbäume zu setzen und einfach auszuruhen. Es ist, als habe jemand ein anderes Programm eingeschaltet; ich bin plötzlich in einem anderen Film.
  "Setz Dich", sagt der Junge; aber ich setze mich nicht. Ich schaue auf den Stein über meinem Kopf, schaue in sein Gesicht. 14 ist er, hat er vorhin gesagt; sein Freund neben ihm, ein rotznäsige Kind, höchstens zwölf. Ich hatte damit gerechnet, daß sie versuchen könnten, mich zu bestehlen; aber an einen Vergewaltigungsversuch hatte ich nicht gedacht.
  "Nein", sage ich, "ich gehe jetzt."
  Aber ich kann diesem Jungen mit dem Stein in der Hand unmöglich den Rücken zukehren. Ich bleibe ruhig stehen und schaue ihn an.
  "Wirklich, ich schlage zu", sagt er. "Ich bin so einer."
  Ich glaube ihm nicht. Da gibt er es auf, mir mit dem Stein zu drohen. Statt dessen fangen nun beide Jungen an, an meiner Hose zu ziehen. Ich stelle mich breitbeinig hin, damit sie die Hose nicht runterziehen können; gleichzeitig wehre ich sie mit den Händen ab
  "Hört auf. Laßt mich gehen."
  Ich bin in einem fremden Land, ich spreche ihre Sprache nicht; aber sie verstehen ein wenig Englisch.
  "Ich bin hier, weil ich Euch vertraut habe. Ihr habt gesagt, Ihr würdet mir den richtigen Weg zeigen. Laßt mich jetzt gehen."
  Aber sie versuchen wieder, mir die Hose herunterzuziehen.
  Wir sind in einem Olivenhain; die Jungen sind von einem nahen Haus herübergekommen, gerade als ich endlich geglaubt hatte, ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen gefunden zu haben. Wir haben uns unterhalten, Ich habe ihnen auf der Flöte vorgespielt, sie haben sich bedankt, aber irgend etwas war falsch an der Situation. Das war ihr Land, und sie schienen mich bewachen zu wollen, bis ich wieder gehe. Also ging ich.
  "Nein, nicht da lang", riefen sie, "dort drüben ist der Weg, komm mit."
  Und führten mich an diesen einsamen Platz, außerhalb der Ruf- und Sichtweite der nächsten Häuser.
  Von beiden Seiten zerren die Jungen nun an meiner Hose. Ich stelle mich wieder breitbeinig hin, habe aber dadurch keinen so festen Stand; sie versuchen, mich umzustoßen. Wenn ich erstmal am Boden liege, denke ich, dann habe ich keine Chance mehr; ich trete den beiden in die Hoden, und sie weichen zurück. Also geht es doch nur mit Gewalt?? "Wenn Du die Wahl hast zwischen Feigheit und Gewalt", sagt Gandhi, "dann wähle die Gewalt." Ich habe das immer so verstanden: in aller Regel gibt es eine dritte Möglichkeit. Hier bin ich nun in einer Situation, wo es die nicht gibt: es gibt nur aufgeben oder Gewalt anwenden, und ich trete zu. Aber ich merke auch: diese Situation währt nur Sekunden. Sobald die Jungen zurückgewichen sind, habe ich wieder andere Möglichkeiten.
  "Ihr könnt mir nichts tun", sage ich bestimmt. "Laßt mich gehen."
  Dabei schaue ich den Jungen in die Augen. Der Jüngere hat jetzt einen Stock aufgehoben und versucht es damit. Als ich mich auch davon nicht einschüchtern lasse, beraten die beiden kurz, greifen mich dann an und drängen mich rückwärts in eine halb zugewachsene Grube hinein, die ich vorher nicht gesehen hatte. Mein rechter Fuß steht noch fest, mein linker Fuß bricht beim Zurückweichen plötzlich in die Tiefe ein, findet dann einen Halt einen Meter weiter unten; es raschelt. Schlangen? Ein Blick nach unten zeigt mir, daß die Grube noch viel tiefer ist. Ich verstehe nicht, was die Jungen sagen, aber die Botschaft ist deutlich: wenn ich nicht tue, was sie sagen, werden sie mich ganz da rein schmeißen.
  Dann reicht mir der Ältere die Hand, zieht mich raus. Klar: sie wollen mich nicht in die Grube schmeißen, sie wollen mir nicht den Kopf einschlagen, sie haben Skrupel, mich zu verletzen. Sie sind aber nicht stark genug, mich zu Boden zu zwingen, und wollen mich deshalb einschüchtern, bis ich aufgebe und mich nicht mehr gegen eine Vergewaltigung wehre. Würde ich weglaufen oder sie angreifen, so würden sie von hinten oder im Kampf sicher ihre Hemmungen verlieren und zuschlagen; dann hätte ich wohl kaum eine Chance. Als der Junge mich herauszieht, kommt seine Gelegenheit: er wirft mich zu Boden, und im nächsten Augenblick sind beide über mir. Ich verstehe nicht warum, aber es gelingt mir, mich zu befreien: ich habe die Beine angezogen, trete dem Älteren in die Hoden, er weicht zurück, ich rolle den Jüngeren von mir herunter, rolle mich ab und stehe plötzlich wieder.
  Die Jungen sind überrascht, greifen aber nach kurzer Zeit erneut an, kämpfen; ich wehre sie ab, aber nie greife ich von mir aus an, nie versuche ich, taktische Vorteile zu nutzen, zu verletzen, zu siegen. Mitten im Gerangel suche ich den Augenkontakt; ich rufe:
  "Ich will nicht mit Euch kämpfen. Ich will Euch nicht verletzen. Ich hasse Euch nicht."
  Es ist wahr. Ich hasse die Jungen nicht, ich bin auch nicht in panischer Angst. Ich bin mir nicht sicher, ob es ihnen gelingen wird, mich zu vergewaltigen; aber ich weiß, daß nichts mich dazu bringen kann, mich selbst zu verlieren, diese Jungen zu hassen, sie ernsthaft zu verletzen oder gar zu töten. Das ist wichtiger; ich kann ganz ruhig sein.
  Einen Moment lang überlege ich, ob ich es über mich ergehen lassen soll. Niemand zwingt mich zu kämpfen ... Aber ich spüre, daß das nicht geht. Würde ich den Widerstand aufgeben, dann würde ich etwas verlieren, was sie mir niemals mit Gewalt nehmen können...
  Einer der Jungen hat mir die Geldbörse aus der Tasche gezogen. Er holt das Geld heraus, steckt den kleinsten Schein wieder hinein, gibt mir die Börse zurück.
  "Gut", sage ich, "nehmt das Geld und laßt mich jetzt gehen; ich werde Euch nicht verraten."
  Aber sie geben noch nicht auf. Der Jüngere findet ein Stück Stacheldraht; er droht, mich damit zu schlagen, und befiehlt mir mit wütendem Gesichtsausdruck, mich hinzusetzen.
  "Wenn Du mich verletzen willst, dann tu es", sage ich und halte ihm meinen Arm hin.
  Da läßt der den Stacheldraht fallen und versucht, mich zu umarmen; ich stoße ihn leicht von mir.
  Noch ein weiterer Versuch folgt; wieder schaue ich den Jungen in die Augen, wieder sage ich ihnen, daß sie mir nichts tun können, und unterstreiche das mit Gesten. Dann gibt der Ältere das Signal: lassen wir's. Ich drehe mich um und gehe langsam zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
  Ich bin noch nicht weit gegangen, da höre ich die Jungen hinter mir rufen, ich solle warten; sie winken mit Geldscheinen. Ich gehe noch ein Stück weiter, bis ich wieder in Sichtweite eines Hauses und etwas näher am Weg bin; dort warte ich.
  "Es tut uns leid", sagen die Jungen, als sie heran kommen.
  "Wenn es Euch leid tut, gebt Ihr mir dann auch mein Geld zurück?"
  Der Jüngere gibt mir das Geld, der Ältere zeigt mir einen kleinen Schein und sagt, den behalte er, weil er ihn brauche. Ich zähle nach.
  "Da fehlt eine ganze Menge."
  "Mehr haben wir nicht. Wir müssen es beim Kämpfen verloren haben."
  "Das wäre aber schade drum. Ob Ihr es nun habt oder ich - aber verloren gehen sollte es nicht. Schaut nochmal nach."
  Da ziehen sie los, gehen das Geld suchen und kommen nach einer Weile mit hängenden Schultern wieder:
  "Nichts gefunden."
  Sie sind offensichtlich erstaunt, daß ich gewartet habe. Sie flüstern miteinander, dann läuft der Ältere los, "um nochmal zu suchen", und nach ein paar Minuten läuft der Jüngere hinterher. Ich sehe die Beiden über eine Mauer klettern und verschwinden.
  Klick - umschalten. Ein heißer Tag, Mittagssonne, ich steige den Berg wieder hinauf, gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Ein Polizeiauto fährt vorbei. Als ich nach einem Umweg im Dorf nahe dem Olivenhain ankomme - da, wo mich die Abkürzung der Jungen hätte hinführen sollen - treffe ich den Älteren der beiden.
  "Es tut mir leid", sagt er und reicht mir die Hand.
  Nun, leidtun allein ändert noch nicht viel. Ich würde ihn noch einiges fragen wollen, aber dazu reicht meine Kraft jetzt nicht aus. So drücke ich nur seine Hand und sage:
  "Ich vergebe Dir."



(Quelle: Autorin und Ort sind der Redaktion bekannt; wollen nicht genannt sein.)

Die Krankenschwester

  Eine westdeutsche Krankenschwester verließ einen Festsaal in dem Dörfchen Assendorf und ging ihren Weg. Da versuchte ein junger Mann, sie auf der Straße anzugreifen. Sofort war das erste, was der Krankenschwester einfiel, Gebete. Diese begann sie sogleich so laut wie möglich auf der Straße zu beten.
  Der Mann hatte solch eine Selbstverteidigung nicht erwartet und ließ sie gehen; aber kurze Zeit später versuchte er es noch einmal mit zwei Saufkumpanen. Erneut fing das Mädchen an, so laut zu beten, daß alle in der Straße das Geschehen bemerken mußten - auch die Polizei, die die drei festnahm, noch bevor ein Unglück geschehen war.



(Quelle: Wim Robben, zitiert aus: Han Horstink, s.o.2., S.31)

"Was passiert, wenn... ?"

  Wir hatten einen Überfall durch faschistoide Typen, und die Reaktionen der Frauen waren sehr unterschiedlich, von Sich-schüchtern-zurückziehen und Angst bis zur Bereitschaft zur energischen, notfalls handgreiflichen Gegenwehr, dazwischen bloßes Zuschauen oder auch Vermitteln-wollen. Bei der ersten Diskussion darum stellten sich starke Verunsicherungen der Frauen untereinander durch diese Gegensätzlichkeiten heraus; so hatten nicht nur die Schüchternen Angst, in eine Knüppelorgie hineingezogen zu werden, sondern auch die Kämpferischen hatten Angst, daß die anderen Frauen ihnen bei einer effektiven Gegenwehr in den Rücken fallen könnten... Wir haben gemerkt: so geht das nicht - daß die Angst voreinander wichtiger wird als die gemeinsame Bedrohung.
  So haben wir erst einmal - buchstäblich Tag und Nacht, denn die "Faschos" hatten gedroht, wiederzukommen und dann massiv zu werden - in Kleingruppen miteinander diskutiert und diese Ängste auf den Tisch gebracht. Wichtig war dabei von der Struktur her, daß die Kleingruppen jeweils aus Frauen der unterschiedlichen Haltungen zusammengesetzt waren. Grundlegend war auch, daß nicht aus der Situation allein heraus entschieden wurde, sondern von dem persönlichen Hintergrund her: Dadurch, daß sich die Frauen ihre jeweiligen Lebensgeschichten mitteilten und voneinander erfuhren, erarbeiteten sie eine Verständnisbasis für ihre verschiedenen Reaktionsweisen. Das ist ein Unterschied zu allen Entscheidungssituationen, die ich sonst kenne. Von diesem Hintergrund aus konnten die Frauen akzeptieren, daß sie verschiedene Formen haben, sich zu verteidigen.
  Daraus haben wir dann eine gemeinsame Strategie entwickelt. Also weder einen Einheitsplan, noch eine Bildung von "Blöcken", wie sonst üblich. Sondern ein gemeinsames Verteidigungskonzept, in dem die unterschiedlichen Verhaltensweisen ihren Platz hatten. Wo sich die verschiedenartigen Frauen - an ihrem Platz und auf ihre unterschiedliche Weise - unterstützten, Vertrauen hatten und gaben und sich bestärkten.
  Das haben wir dann im Rollenspiel geübt. Und zwar so, daß die Frauen, die die "Typen" spielten, uns voll signalisieren konnten, daß wir wirklich Kraft ausstrahlten. Als dann die Typen tatsächlich kamen zum Nachtüberfall, hat das alles funktioniert: Jede wußte, was sie zu tun hatte, die Geschlossenheit, die wir dadurch erzielten, hat die Angreifer abgehalten von ihrem Vorhaben und hat eine Prügelei verhindert.



(Quelle: Sonja Badura, Interview mit Birgit Berg, aus: Konsens, eine Broschüre, hrsg. von der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, 1990, S.47)

Grund-Schule der Gewaltabwehr

  Die siebenjährige Angelika ist bisher "lupenrein gewaltfrei" erzogen worden. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie beinahe einen Schock bekommt, als sie die ersten Wochen an der Schule ist: Prügeleien, brutale Spielszenen, Nachspielen von Fernsehkrimis und  Western u.a.m. Da sie nicht mitprügelt, wird sie schnell zur Außenseiterin. Doch als solche bekommt sie es nun erst recht ab; sie hat gleichzeitig blaue, rote, braune und gelbe Flecken, niemand spielt mit ihr, und schließlich will sie schon gar nicht mehr zur Schule gehen wegen der täglichen Prügel. Vor allem der Nachbarjunge, Ralf, lauert ihr schon auf dem Schulweg auf und haut besonders kräftig, auch auf den Kopf.
  Angelikas Mutter kauft ein Buch über Selbstverteidigung. Sie sucht die Übungen heraus, die leicht auszuführen und wirksam sind. Sie sollen den Angreifer dabei nicht ernsthaft gefährden, sondern sozusagen nur seine eigene Angriffswucht gegen ihn selbst oder ins Leere lenken. Diese übt sie mit ihrer Tochter zusammen ein. Beide haben Spaß dabei und fühlen sich stärker.
  Ein paar Tage später kommt Angelika strahlend heim:
  "Ich hab's so gemacht, und der Ralf hat sich in 'ne Pfütze legen müssen!"
  Hinterher habe sich auch keiner von den anderen Raufbolden mehr an sie herangewagt.
Ein bißchen mulmig ist es der Mutter nur noch, weil sie daran denkt, daß nun der "Hereingelegte" Rache üben könnte. Aber am Nachmittag klingelt es an der Tür, es ist Ralf:
  "Derf i mit der Angelika spiele?"...



(Quelle: -bg-)

Der gewaltfreie Niels

  Der achtjährige Niels steht auf dem Schulhof. Da kommt sein Freund auf ihn zu, hat die Fäuste geballt und fängt an zu boxen. Er sagt zu Niels: "Komm, wir wollen uns jetzt bekämpfen."
  Da gibt Niels ganz spontan zurück: "Aber ich bin doch gewaltfrei!"
  Sogleich dreht sich der Freund um und geht weiter seiner Wege. Niels ist perplex.



(Quelle: Beate Krieger, Zürich)

Die müde Kellnerin

  Eine todmüde Kellnerin war alleine in ihrer kleinen Kneipe, kurz bevor sie geschlossen wurde. Plötzlich sah sie sich mit einem bewaffneten Eindringling konfrontiert. Er forderte von ihr, ihm das Geld aus der Kasse zu geben. Aber sie blieb einfach da sitzen, wo sie ihre Füße zum Ausruhen hingelegt hatte.
  "Ich bin krank", klagte sie, "ich könnte mich nicht einmal bewegen, wenn ich müßte."
  Es gab nichts, das den Verbrecher davon abgehalten hätte, selbst die Kasse zu öffnen. Sie war keine Bedrohung; sie war nicht einmal interessiert. Aber er verschwand. Ihre einfache, menschliche Antwort beseitigte all seine gefühlsmäßige Vorbereitung, weil sie vielleicht ein Appell an seine eigenen Erfahrungen von Erschöpfung war.



(Quelle: ebda., S.37)

Meine Welt

  Eine junge Frau erzählt eine Erfahrung, über die sie selbst später noch überrascht war:
  Sie ging allein durch eine von Bäumen beschattete Straße nach Hause, als sie von einem Jugendlichen mit einem Messer angehalten wurde. Es war sorgfältig schwarz angemalt, um das Blinken von Lichtstrahlen zu verhindern. Dies war also kein unerfahrener Räuber. Aber als er sie festhielt und ihr Portemonnaie forderte, sagte sie einfach:
  "Du kannst mich hier nicht belästigen! Das ist meine Wohngegend!"
  Sie war in ihrem Gerechtigkeitsgefühl angegriffen. Sie lebte in einer Welt, in die der Angreifer nicht hineinkonnte. Und ihre Sätze hatten gewirkt. Ohne daß etwas in der Umgebung den Angreifer von körperlicher Gewalt abhielt, drehte er sich um und rannte weg.



(Quelle: ebda., S.30)

Zwei zufriedene Angreifer

  Ich erzähle, was ein Freund von mir erfahren hat:

  Es kamen zwei Männer auf meinen Freund zu, die ihn grob anhielten.
  Mein Freund fragt: "Guten Abend, kann ich etwas für Euch tun?"
  Die anderen: "Wir wollen Dein Geld."
  "Habt Ihr Schwierigkeiten?"
  Die anderen: "Ja, wir brauchen Geld."
  Und mein Freund: "Wieviel braucht ihr?"
  Mit dieser Reaktion hatten seine Angreifer nicht gerechnet. Und dies hatte zur Folge, daß sie nach      einigem Zögern sagten, daß sie 25 Cent brauchten, und verschwanden.



(Quelle: ebda., S.39)

Ein Angebot

Ein Mann - der sagt, er habe seine Lebensweise verändert, um Menschen höher als Besitz zu würdigen.
An einem Tag kam er aus dem Busbahnhof, wo ein bewaffneter Räuber auf ihn traf. Doch der Mann ignorierte den Revolver und das Gemurmel und machte auf besorgt:
"Es ist kalt. Warum nimmst Du nicht meine Jacke?"
Als der bewaffnete Mann unbeholfen reagierte, sagte der andere wie selbstverständlich:
"Ich wollte gerade etwas essen gehen, kommst du mit?"
Er bot dem Angreifer sogar Geld an.
Dieser aber lehnte ab und verschwand.



(Quelle: Han Horstink, s.o.2., S.29)

Manchmal braucht es Vertrauen

Eines abends im Jahre 1982 wollten zwei ganz normale junge Frauen in Philadelphia ihre Miete bezahlen gehen. Sie hatten weder eine Handtasche noch einen Geldbeutel dabei. Nachdem sie die Miete bezahlt hatten, schlenderten sie wieder nach Hause - ohne einen einzigen Penny in der Tasche. Und es war ihnen anzusehen. Doch plötzlich stellte sich ihnen auf der dunklen und leeren Straße ein Mann in den Weg und hielt der ihm am nächsten stehenden ein Messer an die Kehle.
  "Ich will Geld. Ich habe kein Geld."
  So etwas geschieht heutzutage in den Straßen der Städte - der vor Schmerz fast verrückte Junkie, der an die Spritze will. Und wenn sein Versuch fehlschlägt, dann kann er nicht einfach ruhig wieder abziehen; mit Sicherheit würde sofort die Polizei alarmiert, die ihm mit heulenden Sirenen, Suchscheinwerfern und gezückten Revolvern nachjagte. Leuteüberfallen ist eben kein Geschäft, wo man sich von einer schlechten Aussicht abwenden kann, um gelassen einen lohnenderen Kunden zu suchen.
  Was sollten die beiden Frauen tun? Wenn eine floh, das erkannten sie gleich, dann würde die andere dem Messer zum Opfer fallen.
  "Ich will das eigentlich nicht tun", sagte der Junkie. "Es macht mir keinen Spass, Leuten weh zu tun. Aber manchmal muß ich einfach!"
  Das Messeer kam näher.
  "Und wenn es sein muß, mach' ich es jetzt. Wenn ich kein Geld kriege, muß ich jemandem weh tun."
  "Aber wir haben kein Geld!"
  "Ich muß aber Geld haben!"
  Sie fingen an, sich Alternativen für ihn zu überlegen. Aber keine war praktikabel.
  "Wenn ich kein Geld kriege, muß ich euch weh tun."
  "Paß auf", sagte die Kleinere, das Kinn über dem Messer. "Ich bleibe bei dir. Mary geht zurück in meine Wohnung und holt das Geld für dich."
  "Nein, auf keinen Fall. Sie ruft nur die Bullen an."
  "Nein, das tut sie nicht! Wirklich nicht! Ich bin doch hier. Sie ruft doch nicht die Bullen, wenn ich noch hier bin."
  Immer noch war die Straße menschenleer. Die drei befanden sich in einer dramatischen Lage. Das Messer war geschwärzt, um kein Licht zu spiegeln. In den jungen Frauen begann ein seltsames Verständnis zu wachsen. Er machte das wirklich nicht gerne. Es ging ihm tatsächlich schlecht. Er war unberechenbar. Außerdem hatte er mehr Angst als sie.
  "Paß auf, du kommst mit uns. Ich hab' ein bißchen Geld in meiner Wohnung. Komm mit."
  "Nein! Dein Mann ist in der Wohnung. Irgend ein Mann ist dort."
  Das Messer begann wieder zu drohen.
  "Es ist niemand dort. Ehrlich! Die Wohnung ist leer. Du mußt uns vertrauen. Los, wir gehen alle zusammen."
  "Es ist ein Trick."
  "Nein, es ist kein Trick."
  Gab er nach? Seine Lage war so unhaltbar wie ihre - noch unhaltbarer. Sie hatten einfach kein Geld bei sich, das sie ihm hier auf der Straße geben konnten. Er konnte drohen, wie er wollte, er konnte sie dadurch nicht zwingen, ihm etwas zu geben, was sie nicht hatten. Und wenn er sie verletzte, würde es auch nichts helfen. Er war in einer unmöglichen Lage, und diese schreckliche Ausweglosigkeit steigerte noch seine Verrücktheit und Frustration.
  "Vertrau uns doch!"
  Sie sprach ihn direkt an, von Person zu Person, sah ihm fest in die Augen - ein Mensch dem anderen.
  "Ich wohne gleich um die Ecke. Komm mit in meine Wohnung."
  Er wurde unsicher.
  "Es ist niemand da. Vertrau uns doch! Komm mit!"
  Langsam, das Messer bereithaltend, begann er, sich mit ihnen die dunkle Straße hinunter zu bewegen. Die junge Frau sprach normal und ruhig weiter.
  An der Außentür angekommen, zog er sie näher ans Messer heran.
  "Es ist gleich die Treppe hoch. Es ist niemand da. Vertrau uns nur!"
  In der Vorhalle. Die Treppe hoch. Den Schlüssel ins Schloß. Dann nahm die andere Frau den Platz unter dem Messer ein. Die kleinere ging in die Wohnung und suchte nach ihrem Geldbeutel. Zehn Dollar. Ein Zehn-Dollar-Schein - das war alles, was sie hatte. Sie rannte zurück zur Tür und gab es ihm.
  "Sonst hast du nichts?"
  Ein Gefühl plötzlichen Versinkens. Nach allem, was geschehen war, nach dem Anschein des Vertrauens, der scheinbaren Lösung ihrer Not - wollte er nach all dem noch mehr verlangen? Sie hatte nicht mehr Geld. Die Wohnungstür stand offen hinter ihr.
  "Das ist alles. Das ist wirklich alles."
  "Aber ich brauche doch nur fünf Dollar. Und ich hab' kein Wechselgeld."
  "Nimm es nur! Nimm es! Es stimmt schon."
  "Aber ich brauche doch nur fünf."
  Seine Hände zitterten und seine Stimme bebte.
  "Es ist in Ordnung. Nimm es! Nimm es!"
  Er sah auf den Geldschein hinunter, dann wieder in die Augen der jungen Frau.
  "Tschüß", sagte er. "Tschüß dann."
  Er stolperte die Stufen hinunter und hinaus in die Nacht.
  Die jungen Frauen plumpsten auf das Sofa, jetzt voller Angst, da sie nicht mehr unter Spannung standen.



(Quelle: Dorothy T.Samuel, Safe Passage on City Streets, 1975; mit freundlicher Genehmigung des Agape-Verlages (s.o.17.), S.88ff)

Bewaffneter Raubüberfall

Ira Sandperl war auf dem Heimweg von einem Meeting im Mission District von San Francisco, einem Stadtviertel, in dem die Mexikaner die Mehrheit stellen, deren Leben meist von Armut geprägt ist. Er hatte versucht, die Anwesenden dazu zu bewegen, sich selbst zu organisieren, um ihre Situation zu verbessern. Das Treffen war gut gelaufen; er hatte einige Menschen in Bewegung gebracht und am Schluß hatten sie sogar noch Geld gesammelt: Sechs Dollar waren zusammengekommen. Für die Menschen in diesem armen Viertel war das damals ein ganz ansehnlicher Geldbetrag. Den trug Ira Sandperl jetzt spät nachts glücklich in seiner Tasche mit nach Hause.
Plötzlich - in einer unbelebten Seitenstraße - steht vor ihm jemand, der eine Pistole auf ihn gerichtet hält und ihn auffordert: "Gib mir all Dein Geld!"
Ira entgegnet ziemlich unbeirrt: "Kann ich nicht. Ich habe nur sechs Dollar, und die muß ich für unser Projekt geben."
Und er beginnt sogleich, ein paar Worte hinzuzufügen, wofür das Geld bestimmt sei.
Der Straßenräuber unterbricht: "Einen Dreck interessiert mich das. Los, gib mir jetzt endlich Dein Geld."
Darauf Ira: "Ich mach dir einen Vorschlag: Ich geb dir die Hälfte."
Der Räuber: "Das hier ist keine Verhandlung, verdammt noch mal! Her damit, oder ich blas dich weg!!"

In diesem Augenblick fällt Ira Sandperl auf, daß der Mann, der ihn gerade bedroht, mager und hungrig aussieht. Ihm kommt plötzlich der Gedanke, daß der gewaltfreie Weg eine andere Herangehensweise verlangt - und damit gewissermaßen auch ein anderes "Drehbuch" in der Konfrontation mit diesem Menschen.
"Sag mal, wie lange hast du nichts mehr zu Essen gehabt?"
Sein Gegenüber antwortet jetzt: "Ist etwa zwei Tage her."
Darauf Ira: "Verdammt, ich kauf dir was zu essen. Komm schon, steh nicht rum. Wir gehn an der Ecke was essen."
Dabei macht Ira schon die ersten Schritte und gibt mit einer seinem Gegenüber zugewandten, auffordernden Bewegung zu verstehen, daß er darauf warte, mit ihm losgehen zu können, um dem Hunger des Fremden endlich Abhilfe schaffen zu können. Der Fremde geht tatsächlich mit und Ira spendiert ihm ein billiges Essen für 1,97 Dollar. (Zu dieser Zeit konnte man im ärmlichen Mission District für so wenig Geld noch ein richtiges Essen bekommen.)
Nachdem sein Gegenüber sich satt gegessen hatte, bietet Ira ihm 1,03 Dollar an. Der Fremde fragt:
"Was iat das?"
Ira: "Das ist der Rest von deinem Geld. Ich habe dir angeboten, daß wir fifty-fifty teilen, und möchte zu meinem Wort stehen."
Der Fremde lehnt das Geld nun ab: "Ich kann es nicht annehmen."



(Quelle: erzählt von Uwe Painke, Tübingen in seiner Arbeit: Selbstbestimmtes Handeln in Situationen personaler Gewalt (Hausarbeit zur Diplom-Vorprüfung) 1992, S. 18ff)

Eine ruhige Hilfe

Es war an einem ruhigen Abend in Frankreich, als ich gemütlich durch eine schon dunkle Straße ging. Da wurde auf einmal die Ruhe durch einige Aufregung gestört: In einiger Entfernung sah ich zwei Menschen - einen Mann und eine Frau - in heftigem Streit miteinander. Was vorgefallen war, konnte ich nicht erkennen.
Doch schon kurz nach meinem Auftauchen bemerkte mich wohl die Frau. Sie kam sofort auf mich zugerannt und hielt sich an mir fest. Es war mir gleich klar: Sie suchte Schutz. Ich legte die Arme um sie; und da kam auch schon der Mann auf uns zu - aggressiv und wütend. Ich sah ihm in die Augen. Es war so meine ganz normale Reaktion: Ich wurde ganz ruhig und sah ihn fest und scharf an. Wie eine große Spannung kam es mir vor - und sehr schnell zog der Mann ab. Der Frau konnte ich einige tröstende Worte sagen. Anscheinend war es hilfreich, auch wenn ich mir selbst dabei sehr passiv vorkam.



(Quelle: Bernd Ebding, Neuershausen)

Im U-Bahn Tunnel

Ich kam gerade aus der U-Bahn und ging meinen Weg nach oben. Wie immer ein etwas längerer Tunnel, durch den die FußgängerInnen gehen müssen, um nach oben zu gelangen.
Ich komme an zwei Leuten vorbei: ein Mädchen und ein Mann bei ihr. Wie sie zueinander standen, war unklar. Doch mir war ein wenig mulmig. So drehte ich mich nach ca. 20 Metern nochmal um und schaute zurück. Das Mädchen wurde von dem Mann angesprochen, und noch war die Situation uneindeutig. Doch als ich blieb und eine Weile beobachtete, sah es nach Streit aus, und das Mädchen fing an zu schreien:  "Laß mich!".
Nun ging ich wieder zurück. Ich ging direkt auf die beiden zu und sagte zu dem Mann in meiner festen, klaren und lauten Art:  "Du läßt sie jetzt sofort los!"
Es war nicht aggressiv, nur äußerst deutlich.
Er zeigte einen harten Blick. Ich war mir nun selbst unsicher und meinte schon: Vielleicht holt er gleich ein Messer hervor. Doch ich hielt einfach seinem Blick stand. Dann ging ich wieder; und als ich mich noch einmal umdrehte, war auch er gegangen und hatte das Mädchen losgelassen. Es hatte also anscheinend etwas genützt.



(Quelle: Ute Delor, Freiburg)

Kleine Rettungsaktion

Sandweg am Abend: Ein Mann steigt aus einem Auto aus, läuft einer jungen Frau hinterher, versucht, sie mit sich zu ziehen.
Sie macht sich immer wieder los, wehrt ihn ab.
Eine andere Frau beobachtet die Auseinandersetzung, zögert, rennt den beiden dann nach.
Sie begrüßt die Belästigte wie eine alte Freundin und zieht sie in eine Kneipe.



(Quelle: Bericht in der Frankfurter Rundschau, 17./18.11.92 (Dorothee Beck))

Die Radfahrerin

Eine junge Frau fuhr mit dem Fahrrad auf der Straße. Ein Auto kam angefahren, in dem drei Männer saßen, die aus dem Wagen sprangen, um sie zu ergreifen und festzuhalten. Was sie genau wollten, blieb undeutlich. Denn im selben Augenblick kam eine andere Frau vorbei, die so tat, als ob sie die junge Radfahrerin kenne. Und sie rief: "Hallo, Marian, wie lange habe ich dich schon nicht mehr gesehen."
Sie eilte auf "Marian" zu, umarmte sie und führte sie am Arm mit: "Komm mit, wir gehen irgendwohin."
Die drei Männer blieben verdattert zurück.



(Quelle: Han Horstink, s.o.2., S.31)

Lauter Schrei

Eine Frau berichtet, wie sie von einem Mann belästigt und bedroht wird. Die ersten Augenblicke kann sie keinen Laut herausbringen. Doch dann fängt sie an zu schreien; und das half sehr direkt.
Sie erzählt später:  "Es klang so alarmierend, daß Passagiere, die gerade an einer nahegelegenen Haltestelle aus der Straßenbahn stiegen, zu vielen in meine Richtung rannten. Wären es nur wenige Passagiere gewesen, hätten sie sich nicht getraut, wie sie mir später versicherten, dann hätte also auch die Empfehlung "Schreien" nichts geholfen. Außerdem hätte der Mann in Panik geraten können und seine Reaktion läßt sich nur erraten."

Randale mit dem Beil

Von FreundInnen wurden wir zur Hilfe gerufen; sie wurden von einer Gruppe faschistoider Jugendlicher bedrängt. Und wir konnten zunächst noch ganz gut mit ihnen reden. Doch da fand nun einer, der stark betrunken war, ein Beil und schwang es in der Luft. Sofort war da auf einmal eine ganz eisige Stimmung, wir hatten völlige Angst, daß es echt zum Blutvergießen kommen könnte.
Ich ging zu ihm hin. Andere aus seiner Gruppe wollten mich zurückhalten, weil sie Angst um mich hatten. Doch ich ging, und ich sagte zu ihm:  "Das macht Angst mit dem Beil, auch den anderen. Da kann sehr viel passieren; und das bedroht uns. Da kann noch viel mehr ausgelöst werden, was wir nicht wissen."
Er sah mich zögernd an. Er redete nicht, ließ sich auf kein Gespräch ein. Doch dann nahm er das Beil und schleuderte es in hohem Bogen ins Gebüsch. Wir haben es auch später nicht mehr gefunden. Was er sich gedacht hat, oder ob er gar etwas 'eingesehen' hat, weiß ich nicht. Jedoch die Reaktion war deutlich und hat geholfen.

Ich war in dieser Situation ganz ruhig gewesen. Mir war klar: Das ist jetzt das einzig Mögliche, da auf ihn zugehen. Die Angst war da, aber sie hat nicht mein Handeln bestimmt. Ich konnte etwas tun, ohne daß mich die Angst lähmte. Danach dann, so am nächsten Abend, kamen schlimme Erinnerungen daran, und ich wünschte sehr, daß so was nicht noch einmal passiert.



(Quelle: Ulli Laubenthal)

Kleine Frau - ganz groß!

Eine junge Frau, kaum einen Meter sechzig groß, von beinahe kindlicher Zerbrechlichkeit, wurde von einem Jungen in einer verlassenen U-Bahn-Station gegen eine Mauer gedrückt. Er wollte offensichtlich beweisen, daß er "Charakter" hatte. Er war nicht älter als zehn oder zwölf Jahre, aber größer und breiter als sie. Auch war er bewaffnet. Als er ein kleines Taschenmesser an ihre Kehle hielt, fühlte er sich so stark und mächtig wie zehn Fernsehhelden. Sie stand ruhig, sah ihn mit glühenden Augen an, beleidigt durch seine Berührung.
"Du hast Angst vor mir, nicht wahr?", freute er sich.
Aber sie war eher wütend als erschrocken; und sie schnauzte in seinem eigenen Sprachgebrauch zurück:  "Ja, ich habe ja eine solche Angst!"
"Wenn ich an Deiner Stelle wäre, hätte ich wohl Angst."
Er bewegte das Messer vor ihren Augen hin und her. Sie fügte noch ein grobes Wort hinzu. Da fiel seine jämmerliche Maske, und sein Spiel ging zu Ende. Er hatte gedacht, daß sie vor ihm zusammenbrechen würde, heulen oder betteln wie ein wimmernder Hund. Aber so gewann er daran keinen Spaß, kein Gefühl von Macht und Herrschaft, keine Phantasie von persönlicher Übermacht und Wichtigkeit. Mit einem Knurren drehte sich der Junge um und lief vom Bahnsteig weg.



(Quelle: Dorothy T.Samuel, zitiert aus: Han Horstink, s.o.2., S.44)

Harte klare Reaktion

Die Bürgersteige waren sehr belebt, als Polly zu ihrem Büro in Chicago Loop ging. Ein Mann lief einen halben Block lang nahe bei ihrem Ellenbogen, aber es war ja schließlich auch sehr voll. Dann kam der Mann näher heran und sagte: "Hallo, Schätzchen, gehst Du mit, etwas trinken?"
"Was, Du verdammter Dreckskerl! Schämst Du Dich nicht", reagierte sie scharf, während sie ihre schwere Schultasche gegen ihn schwang und ihn genau gegen den Rücken traf.
Er drehte sich um und flüchtete. Doch sie schrie ihm lauthals hinterher: "Einen Ehering am Finger, aber auf der Straße unschuldigen Frauen unehrenhafte Angebote machen. Was würde Deine Frau sagen? Du Scheusal! Du hast den Mut, Frauen auf der Straße zu belästigen, während Du eine Frau zu Hause hast." Und so noch einige Worte. Die Leute auf der Straße blieben stehen. Mehrere zeigten schockierte Blicke und Erstaunen; manche Männer schauten entrüstet.



(Quelle: Medea und Thompson, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.86)

Schul-Autorität

Eine pensionierte Lehrerin war einige Tage zu Besuch in New York. Am letzten Abend wurde sie auf dem Bürgersteig von einem jungen Mann angehalten. Er war mit einem Revolver bewaffnet und verlangte alles Geld von ihr. Andernfalls - so drohte er - würde er sie ermorden.
Da reagierte in der alten Frau die ganze Mentalität ihrer früheren Arbeit. Die Art der Schullehrerin kam in diesem Moment in ihrer ganzen Körperhaltung hervor: sie wurde groß, ihre Augen blinkten mit Autorität, und sie befahl:   "Hör sofort damit auf! Steck die Pistole weg!"
Die Reaktion zeigte Wirkung: In gleicher Weise mit der Körpersprache eines getadelten Schuljungen zuckte der Verbrecher zusammen. Er ließ die Hand sinken, in der er die Pistole hielt, und rannte aus der Straße weg.



(Quelle: erzählt von Dorothy T.Samuel, zitiert aus: Han Horstink, s.o.19., S.74)

Zug-Zwang

Septembertag, Fahrt mit dem Zug. Im Abteil wird es plötzlich laut. Die energische Stimme der Zugschaffnerin:  "Was heißt das: Sie wollen mich umbringen? So etwas lasse ich mir doch nicht einfach sagen! Das nehmen Sie sofort zurück!"
  Ein unverständliches männliches Gebrüll, und dann wieder die klare, resolute Stimme der Schaffnerin:  "Nein! Raus! Mit Ihnen fahre ich nicht weiter. Der Zug bleibt jetzt an dieser Haltestelle stehen, bis Sie ausgestiegen sind!" Sie beharrt darauf, daß der Mann an der kleinen Station aussteigt.

Ich meine, ich habe hier eine gute Lektion erhalten: Diese Frau hat mit ihrer entschlossenen Haltung diesem Mann gegenüber zu¬nächst sehr einfach eine bedrohliche Belästigung gegen sie selbst ab-gewendet. Doch noch mehr: Sie hat damit zugleich ein entschiedenes Zeichen in der Öffentlichkeit gesetzt. Gewalt oder die Drohung damit kann nicht einfach hingenommen werden. Dies darf nicht zur Normalität werden.



(Quelle: -bg-)

Sicher auf der Straße

Ich ging des nachts allein meinen Weg durch die Stadt nach Hause. An einem Mann kam ich vorbei, der am Straßenrand stand. Seine Augen hafteten unangenehm auf mir. Als ich vorbei war, bemerkte ich auch, wie er mir folgte. Absichtlich nahm ich einen anderen Weg, doch er folgte immer noch. Dann holte er mich ein und fragte: "Darf ich ihr Gepäck tragen?"
Denn ich hatte einen Koffer und eine Tasche bei mir.
"Nein!", sagte ich mit klarer Stimme, bog schnell in eine Seitenstraße und lief weg. Doch auch hier folgte er mir. Da drehte ich mich um und sprach ihn sehr laut und hart an: "Laß mich jetzt los!"
Und zugleich ging ich mitten auf der Straße, auf der auch hin und wieder ein Auto durchfuhr. Über meine Reaktion war er nun so erschrocken, daß er gleich abzog.
Ich war froh, als er weg war, und merkte, wie es mich schon etwas gekostet hatte, hier die Nerven zu behalten. Was ich in gleicher Situation auf einem einsamen Waldweg gemacht hätte, weiß ich nicht.



(Quelle: Ute Delor, Freiburg)

Ein schöner Vormittag

In der Gruppe sitzen wir an diesem ersten sonnigen Vormittag im Frühling am freien Samstag im Garten. Keine große Arbeit, keine Termine, wir können es uns gut gehen lassen. Und ähnlich wohl auch die Gruppe Jugendlicher, welche im Laufe des Vormittags vorbeikommt und am Gartenzaun Halt macht. Doch ganz friedlich scheinen sie nicht zu sein. Schon fliegen einige Erdballen in unsere Richtung. Zugleich erkennt einer von uns die Gruppe und weiß: sowie wir nur einmal ganz harmlos zurückwerfen, wird es ernst. Doch die Würfe von der Straße lassen nicht ab, und die provozierende Spannung wird deutlicher. Verwirrung, Unmut an diesem sonst doch so schönen Vormittag.
Also macht Klaus sich auf und geht zu ihnen hin. Er spricht sie an und redet ein wenig zu ihnen. Doch die Spannung bleibt und scheint schärfer zu werden. Klaus setzt sich auf den Boden, direkt vor die Gruppe auf den Bordstein. Da tritt die erste Entspannung ein. Die Jugendlichen wissen nicht recht, damit umzugehen, daß da einer vor bzw. unter ihnen sitzt. Kurz danach wird es für sie noch erstaunlicher, als Klaus geht, im Haus verschwindet und gleich darauf mit ein paar Flaschen Bier und Chips wiederkommt. Sie unterhalten sich, finden anregende Themen, und die ersten Provokationen scheinen ganz vergessen.
Und endlich finden sie sogar einen gemeinsamen Weg: Hinein in den Gruppenraum, Musik hören und Neuigkeiten über das aktuelle Popgeschehen austauschen. Wo uns zuerst ein wenig die Angst vor dieser Jugendgruppe bewegt hat, da ist der gemeinsame Weg am Ende gestanden.




(Quelle: Ulli Laubenthal)

Der alte Mann

Ein älterer Mann hielt in einer kleinen Gasse eine Frau fest. Er sagte immer wieder, daß es ihm leid täte, daß er ihr nicht wehtun wolle, aber daß er es einfach tun müsste. Er sah schlampig aus und es war deutlich, daß es ihm nicht sehr gut ging.
Die Frau fing an, mit ihm zu reden. Sie sagte ihm, daß es für ihn überhaupt keine Notwendigkeit gäbe, sie zu vergewaltigen; daß Vergewaltigung etwas Schlechtes und gegen den Willen Gottes gerichtet wäre; daß er außerdem erheblich besser aussehen könnte, wenn er sich mehr pflegen würde. Dann sagte sie weiter, daß er nicht wirklich schlecht wäre und ihr das tatsächlich gar nicht antun wollte. Sie versuchte dabei vor allem, sein Selbstwertgefühl zu stärken. Auch erzählte sie von sich und ihren Kindern.
Als sie geendet hatte, dankte er ihr für die Tatsache, daß sie sich so um ihn bemühte und so mit ihm sprach. Das habe noch nie jemand mit ihm gemacht, denn er sei sehr einsam, sagte er; und weiter, daß er es ihr zu verdanken hätte, daß er nichts Schlechtes getan hätte. Sie sollte nun gehen, meinte er; und sie gingen beide ihres Weges.



(Quelle: Mary Crane,zitiert aus:Han Horstink,Übersetzung des Originals(zu s.o.2.)von A.D.(?),S.56f)

Üble Anmache

Wie an jedem Morgen, so gehe ich auch an diesem früh um halb sechs zur Arbeit. Dabei komme ich einen einsamen Weg entlang, kein Mensch weit und breit, keine Häuser oder Autos. Ich bin zu Fuß, und ich habe einige schwere Sachen dabei, da ich gleich nach der Arbeit noch wegfahren möchte.
Da steht auf einmal ein Typ vor mir und macht mich sehr direkt an: Mitkommen, miteinander ins Bett, und ähnliche Geschichten. Und nicht ganz harmlos; das war schon recht bedrohlich. Doch was tun? In anderen Fällen, in denen ich sowas erlebte, da kann ich schnell wegrennen; oder ich schreie laut und rufe andere Menschen. Doch hier? Ich bin ja nicht schlecht überrascht über diese Anmache so früh am Morgen; abends oder nachts - das kenne ich eher.
Da fange ich nun an, ganz ruhig mit ihm zu reden. Ich merke auch, daß er leicht alkoholisiert ist. Also, mein Ton ist ganz ruhig, nicht aggressiv, auch nicht laut: "Du, hör mal: ich muß zur Arbeit. Ich bin gerade auf dem Weg ins Krankenhaus. Da warten sie schon alle auf mich. Du kannst mich jetzt hier nicht lange aufhalten. Was werden die dort auf der Arbeit denken, wenn ich nicht komme!?"
Und weiter rede ich so, ich selbst wähle dieses Thema - sicher zehn Minuten lang - daß das nicht geht, was er will etc. Da zieht er wieder ab; ich komme wohlbehalten an meiner Arbeitsstelle an.
Und ich merke: das war nochmal gut gegangen. Nicht immer wäre ich dazu in der Lage gewesen. Trotz der deutlichen Bedrohung, die von diesem Typen ausging, hatte ich aber hier keine panische Angst. Ich konnte reagieren, und es kam spontan. Eine andere Wahl hatte ich ja auch nicht: wegrennen (mit all den Sachen) oder schreien (wenn niemand da ist). Doch hier konnte ich ruhig bleiben.



(Quelle: Claudia Schmidt-Brücken, Berlin)

Die Kunst der Versöhnung

Der Zug rasselte und ratterte durch die Vorstädte Tokios. Es war ein schläfriger Frühlingsnachmittag. Unser Wagen war vergleichsweise leer - einige Hausfrauen mit ihren Kindern im Schlepptau, einige alte Leute, die einkaufen gehen wollten. Gedankenverloren starrte ich auf die eintönigen Häuser und die staubigen Hecken.

An einer Station öffneten sich die Türen und die Ruhe des Nachmittags wurde gestört. Ein Mann stolperte in den Wagen. Laut stieß er gewalttätige und unverständliche Flüche aus. Er trug Kleidung eines Arbeiters, und er war groß, betrunken und dreckig. Laut schreiend stieß er mit einer Frau zusammen, die ein Baby hielt. Sie wirbelte um ihre eigene Achse und fiel in den Schoß eines älteren Ehepaars. Es grenzte an ein Wunder, daß dem Baby dabei nichts geschah.
Verschreckt sprang das Ehepaar auf und rettete sich zum anderen Ende des Wagens. Der Arbeiter wollte der alten Frau noch einen Tritt geben, doch er verfehlte sie in ihrer hastigen Flucht. Das erzürnte den Betrunkenen so sehr, daß er den Metallstab in der Mitte des Wagens ergriff und versuchte, ihn aus der Halterung zu reißen. Ich sah, daß er sich an einer Hand geschnitten hatte und blutete. Der Wagen ruckelte vorwärts, die Passagiere froren vor Angst. Ich stand auf.

Das Ganze ist nun zwanzig Jahre her. Ich war damals jung und in guter körperlicher Verfassung. Ich hatte fast jeden Tag runde acht Stunden Aikido trainiert, und das seit drei Jahren. Ich kämpfte gerne. Ich dachte, ich sei ziemlich gut. Mein Kummer war nur, daß meine Kriegskunst noch nie in einem echten Kampf auf die Probe gestellt worden war. Als Aikido-Schüler durften wir nicht kämpfen.
"Aikido", hatte mein Lehrer immer gesagt, "ist die Kunst der Versöhnung. Wer kämpfen will, hat seine Verbindung mit dem Universum unterbrochen. Wenn du versuchst, Menschen zu beherrschen, bist du schon besiegt. Wir lernen hier, Konflikte zu lösen, nicht sie anzufangen."
Ich hatte seinen Worten zugehört, und ich hatte es ernsthaft versucht. Ich war sogar soweit gegangen, den Chimpira aus dem Weg zu gehen, den Flipperpunks, die um die Bahnhöfe herumlungerten. Meine Geduld verschaffte mir ein Gefühl der Erhabenheit. Ich fühlte mich zugleich stark und heilig. In Gedanken jedoch wartete ich nur auf eine Gelegenheit, die es rechtfertigte, die Unschuldigen zu retten und die Schuldigen zu vernichten. Das ist sie! sagte ich mir, als ich aufstand. Hier sind Menschen in Gefahr, wenn ich nicht schnell handle, wird es wahrscheinlich Verletzte geben.

Als er mich aufstehen sah, erkannte der Betrunkene eine Chance, seine Wut auf ein Ziel zu richten.
"Aha!", brüllte er. "Ein Ausländer! Du brauchst sicher eine Lektion in japanischem Benehmen!"
Ich hielt mich lässig an dem Signalseil über mir fest und sandte ihm einen verächtlichen und abweisenden Blick zu. Ich hatte vor, diesen Truthahn auseinanderzunehmen, aber er mußte den ersten Schritt tun. Ich wollte, daß er explodierte, also spitzte ich meine Lippen und blies ihm einen unverschämten Kuß zu. "In Ordnung!", schrie er. "Du kriegst eine Lektion."
Er sammelte sich für einen Angriff. Doch einen Sekundenbruchteil, bevor er sich in Bewegung setzte, rief ihm jemand zu: "Hej."

Es war trommelfellzerfetzend. Ich erinnere mich genau an die seltsam freudige und fröhliche Art des Zurufs - als hättest du mit deinem Freund lange nach etwas gesucht und er sei gerade darüber gestolpert. "Hej."
Ich drehte mich nach links; der Betrunkene nach rechts. Beide starrten wir auf einen kleinen, alten Japaner. Er mußte wohl schon in den Siebzigern sein, dieser kleine Herr, wie er so dasaß in seinem Kimono. Von mir nahm er überhaupt keine Notiz, aber den Arbeiter strahlte er voller Freude an, als hätte er ihm das wichtigste und willkommenste Geheimnis mitzuteilen.
"Komm rüber", sagte der alte Mann in leichter Umgangssprache und lud den Betrunkenen ein. "Komm rüber, wir wollen miteinander reden." Er winkte ihm leicht mit der Hand.
Der große Mann folgte ihm wie an einem Faden. Er pflanzte seine Füße streitlustig vor den alten Herrn und überbrüllte das Rattern der Räder: "Warum sollte ich mit dir reden, verdammt noch mal?"
Der Betrunkene wandte mir nun den Rücken zu. Sollte sein Ellenbogen sich auch nur einen Millimeter bewegen, so wollte ich ihn in seine Socken hineinboxen.
Der alte Mann strahlt ihn immer noch an.
"Was hast du getrunken?", fragte er, und seine Augen blinkten vor Interesse.
"Ich habe Sake getrunken", bellte der Arbeiter zurück, "und es geht dich einen Dreck an."
Kleine Speicheltröpfchen trafen den alten Mann.
"O, das ist aber schön," sagte er, "wirklich schön. Du mußt wissen, ich trinke auch gerne Sake. Jeden Abend wärmen meine Frau und ich - sie ist 76, weißt du? - eine Flasche Sake auf und nehmen sie mit in den Garten. Dort sitzen wir dann auf einer alten Holzbank. Wir schauen zu, wie die Sonne untergeht, und wir sehen nach, was unser Persimonenbaum macht. Mein Urgroßvater hat den Baum gepflanzt, und wir machen uns Sorgen, ob er sich von den schrecklichen Eisstürmen erholt, die wir letzten Winter hatten. Unser Baum hat sich besser gehalten als ich fürchtete, besonders wenn man den schlechten Boden in Rechnung stellt. Es ist so eine dankbare Sache, ihn anzusehen, wenn wir unseren Reiswein trinken und draußen den Abend genießen - auch wenn es regnet!"
Er schaute den Arbeiter an und zwinkerte mit den Augen.
Während er versuchte, den Worten des alten Mannes zu folgen, begann das Gesicht des Betrunkenen sich zu besänftigen. Seine zu Fäusten geballten Hände lösten sich.
"Ja, ich habe Persimonen auch gern...", sagte er, und seine Stimme verlor sich.
"Ja", sagte der alte Mann lächelnd. "Und ich bin sicher, du hast eine wunderbare Frau."
"Nein", antwortete der Arbeiter. "Meine Frau ist gestorben."
Und ganz leise, sich im Rhythmus des Zuges hin und her bewegend begann der große Mann zu schluchzen. "Ich habe keine Frau mehr, ich habe kein Heim mehr, ich habe keine Arbeit mehr. Ich schäme mich so vor mir selber."
Tränen rollten über seine Backen, sein ganzer Körper verkrampfte sich vor Verzweiflung.
Jetzt war ich an der Reihe. Da stand ich in meiner jugendlichen Unschuld, mit meiner Gerechtigkeit, die die Welt für die Demokratie sichern wollte, und fühlte mich plötzlich dreckiger, als er es war.
Dann hielt der Zug an meiner Station. Als die Türen sich öffneten, hörte ich den alten Mann teilnehmend glucksen:
"Ach jemine, das ist aber wirklich eine schwierige Situation. Setz dich her und erzähl mir darüber."
Ich wandte den Kopf zu einem letzten Blick. Der Arbeiter lag ausgestreckt auf der Bank, sein Kopf im Schoß des alten Mannes. Der alte Mann strich ihm sanft über das schmutzige, verfilzte Haar.

Als der Zug weggefahren war, setzte ich mich erstmal auf eine Bank. Was ich mit meinen Muskeln hatte tun wollen, war nun mit guten Worten erreicht worden. Ich hatte gerade Aikido in der Bewährung des Kampfes gesehen, und das Wesen dieses Kampfes war die Liebe. Ich mußte diese Kunst anscheinend mit einem völlig anderen Geist ausüben. Es sollte wohl noch lange dauern, bevor ich über die Lösung von Konflikten würde reden können.



(Quelle: Terry Dobson, org. in Reader's Digest 1981; mit freundlicher Genehmigung des Agape-Ver¬lages aus:John H.Yoder,Was würden Sie tun?,deutsch von Wolfgang Krauß,1985,S.84ff)

Randale vor der Hütte

 Ein Telefonanruf rief uns zur Hilfe: Nächtliche Randale - das war die Absicht einiger faschistisch ausgerichteter Jugendlicher, die vor der Pressehütte standen. Sie machten einigen Aufruhr vor dem Haus. Zwei waren betrunken; die waren auch besonders aggressiv. Und sie belagerten die Tür. Einer von uns, ein Ami, ging zu dem einen an der Türe hin und bat ihn, daß er doch da weggehen solle. Der Betrunkene sagte, gut, gehen wir da auf die Straße. Und es war klar: Er wollte den Zweikampf.
Sie gingen vor, und der Ami stand einfach ganz ruhig da. Das machte den anderen ganz hilflos, und provozierte ihn auch. Er nahm den Ami und stieß ihn rückwärts über eine Bodenkante auf die Erde. Er schlug ihn und rüttelte an ihm. Doch dieser blieb weiter ruhig, ertrug es noch und sagte nur:
"Was hab' ich dir denn getan? Ich schlage niemand. Ich habe dich ja auch noch nie gesehen."
Da endlich kamen zwei andere von dessen Kumpels und zogen den Besoffenen weg. Es ging ihnen wohl doch zu weit, was hier geschah. Und sie sagten es dem auch.
Der Ami war - wie gesagt - in der Situation ganz ruhig; doch als wir nachher noch darüber sprachen, hat er sehr stark am ganzen Körper gezittert.



(Quelle: Ulli Laubenthal)

Der offene Schnürsenkel

Mein Schnürsenkel war offen. Ich bemerkte es nicht gleich. Doch als ich fast darüber gestolpert wäre, hielt ich an. Da stand gerade ein geparktes Auto vor mir auf dem Gehsteig, und ich nutzte dessen Stoßstange, um meinen Fuß entsprechend etwas höher zu stellen und zu binden.
Doch etwas hatte ich nicht gesehen: in dem Auto saß noch der Fahrer. Dieser kam sofort heraus, wutschnaubend und schimpfend, und drängte mich förmlich ab und in die Ecke. Er war nahe daran, handgreiflich zu werden. Ich meinerseits war von seinem Wutausbruch fast wie gelähmt, ja ohnmächtig; ich blieb zunächst nur einfach gerade stehen. Wie es so meine Art ist, wurde ich auch hier zuerst mal immer ruhiger, je mehr der andere ausbrach. Und im weiteren konnte er auch schon nicht mehr viel machen, da nun gleich einige Leute dazukamen und uns beobachteten. So ließ er wieder ab von mir.

Im Weitergehen dachte ich jedoch bei mir: etwas unbefriedigend, dieses Ende. Mehr Vorbereitung auf soetwas wäre vielleicht besser gewesen. Denn für ein nächstes Mal hat der doch noch nichts gelernt. Immerhin ist es glimpflich ausgegangen - einfach dadurch, daß ich ruhig geblieben bin.


(Quelle: Bernd Ebding, Neuershausen)

Standhaft bleiben

Die Tagung ist beendet, ein gutes Wochenende - und die Sonne scheint uns dazu. Wir gehen zum Abschluß in ein Cafè und stärken uns für die Heimfahrt. In lockerer Stimmung treten wir nach Kaffee und Kuchen wieder auf die Straße - und kollidieren fast mit einem PKW. Sehr rasant kommt er die enge Straße daher und fährt nur Millimeter an mir vorbei. In meinem Übermut gebe ich ihm einen leichten Klaps auf den hinteren Kotflügel.

Szenenwechsel - genau bekomme ich es nicht mit; jedoch steht auf einmal der Fahrer des PKWs direkt vor mir. Mit funkelnden Augen schaut er mich an; scharf fragt er: "Hast Du gerade auf mein Auto gehauen?" Eine gewisse geladene Stimmung schwelt in der Luft. Auch sein Beifahrer ist inzwischen ausgestiegen und beobachtet die Szene. Mitten auf der kleinen Kreuzung stehen wir, mein Gegenüber in herausfordernder Haltung. Ich bleibe klar und fest stehen, bewege mich nicht, und sage nur einfach: "Ja."
Ein dunkles Auto kommt herangeschossen. Der Fahrer stellt den Motor ab, lehnt sich in die offene Türe und meint mit unverkennbarem Unterton: "Was ist los? Machen wir ihn fertig?"
Er macht durchaus den Eindruck, daß er mit Schlägereien einige Erfahrung hat. Ich sehe ihn an, ganz ruhig, ohne etwas zu sagen. Ich sehe auch nochmal die anderen an. Mein Gegenüber sagt einige weitere scharfe Worte gegen mich, doch dann wendet er sich wieder zu seinem PKW und sie fahren ab - das andere Auto hinterher.

Ich habe ihnen zu wenig entsprechende Gegenreaktionen gezeigt, an denen sie sich hätten abreagieren können. Die Wut lief einfach ins Leere. Als die Autos weg sind, fangen mir ordentlich die Kniee an zu schlottern.


(Quelle: Andreas Riehm)

Plakate kleben

An einem Freitag Abend ging ich mit Bert Plakate auf die Reklameflächen in der Stadt kleben. Irgendwann, es war noch hell, näherten wir uns der Nordbrücke. Ich sah dort drei Jungen herumhängen und war gespannt, ob wir unsere Plakate an der Reklamefläche dort ungestört aufhängen könnten. Wir hielten an, aber die Jungen nahmen kaum Notiz von uns. Bert konnte in Ruhe die beiden Plakate aufkleben. Einige Jungen lasen, was darauf stand. Ich machte einem gegenüber noch eine Bemerkung: "Wenn Du auch Lust hast mitzufahren (mit dem Fahrrad)..."
Denn die Plakate kündigten Fahrraddemonstrationen durch verschiedene Viertel in der Stadt an. Aber er zog eine ablehnende Mine und drehte sich um.

Als wir schon fast weggehen wollten, kam ein Junge hinzu, der auch etwa 14 oder 15 Jahre alt war. Er hatte einen langen Stock mit einem Haken dran. Den steckte er nun ganz bedächtig unter das Plakat gegen die Reklamefläche drückte ihn und langsam nach oben, sodaß das Plakat entzwei gerissen wurde. Er wollte uns offensichtlich ärgern. Ich appelierte an ihn: "Mach das doch nicht! Warte wenigstens, bis wir weg sind, sonst ist es so frustrierend für uns."
Dies hatte keine Wirkung. Langsam schob er den Haken weiter nach oben.
Dann fing ich mit einem dicht neben ihm stehenden Jungen an zu sprechen: "Schau mal, er genießt es richtig. Er findet das schön. Siehst Du, er strahlt richtig. Sein Gesicht leuchtet davon."
Das sagte ich mit einem lächelnden Gesicht, als ob ich es mit ihm genoß. Der Junge schob den Haken nicht weiter; er schaute eben in meine Richtung und zeigte sogar einen Augenblick lang eine Neigung zu lächeln. Mit seinem Haken zog er das halbzerrissene Plakat wieder schön gerade auf die Reklamefläche. "Das finde ich sehr nett von Dir," sagte ich.
Er drehte sich um und lief weg - ebenso ruhig, wie er gekommen war.



(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion 91/92, S. 35)

Streit ums Fernsehprogramm

Ich arbeitete als Sozialarbeiter in einer neugegründeten Wohngemeinschaft, in der sehr verwahrloste Jugendliche einen neuen Halt finden sollten.
An einem trüben Tag gerieten zwei Jugendliche in Streit, weil jeder ein anderes Programm im Fernsehen anschauen wollte. Ich selbst war gerade in einem anderen Raum. Plötzlich bekam der eine einen Wutanfall und warf das Fernsehgerät zum Fenster hinaus. Durch den Knall aufgeschreckt, rannte ich hinüber. Als ich erzählt bekam, was los war, schaute ich zuerst gleich zum Fenster hinaus. Gott sei Dank war das Gerät niemandem auf den Kopf gefallen.

Dann fragte ich den Burschen - 1,80 groß und viel stärker als ich - ob er verrückt geworden sei. Ich verlangte von ihm, daß er die Glassplitter aufkehren sollte. Er weigerte sich. Mittlerweile waren alle zehn Jugendliche im Raum versammelt und standen neugierig hinter ihm, um zu sehen was passieren würde. Er stand mir gegenüber und wurde in seinen Worten immer aggressiver. Ich merkte: wenn mir jetzt nichts einfällt, dann schlägt er zu. Da kam mir der rettende Einfall. Ich sagte zu dem langen Kerl: "Ich verstehe, Du kannst das bei Deiner schwachen Gesundheit nicht machen."
Und wandte mich an den Kleinsten: "Vielleicht kannst Du das für Ihn machen?"
Die Reaktion: der Lange brach in ein brüllendes Gelächter aus und die ganze Gruppe lachte mit. Der Kleine fing an zu kehren; doch nach einer Weile nahm der Lange ihm den Besen ab und kehrte selbst weiter. Die Situation war entspannt.



(Quelle: Fritz Karas, Köln)

Das Gelächter

Ein junger Mann muß eine mit Skinhaeds besetzte Treppe hinunter und ahnt schon: das geht nicht gut! Beim ersten Tritt in seinen Allerwertesten folgt er einer blitzartigen Eingebung, dreht sich um, schaut dem Treter ins Gesicht und sagt für alle vernehmbar laut:  "Entschuldige, daß ich mit meinem dreckigen Hintern an Deinen sauberen Schuh gekommen bin!"

Ein, zwei Sekunden Stille, dann brüllendes Gelächter. Sogar der Treter stimmt gequält mit ein, wohl weil er kein Spielverderber sein oder vor seinen Kumpels keine Schwäche zeigen will. So kommt der junge Mann heil die Treppe runter, kann unbehelligt weitergehen.



(Quelle: aus einem Arbeitsblatt der AG-Vermittlung des BSV)

Der clevere Polizist

Ein Polizeiinspektor war in der Stadt unterwegs, der berühmt war wegen seines speziellen Talents, kritische Situationen auf ungewohnte Weise zu lösen. Er war gerade damit beschäftigt, einen Strafzettel für eine unbedeutende Verkehrsübertretung auszustellen, als er eine feindselige Zusammenrottung um sich herum bemerkte. Nachdem er seine offizielle Aufgabe erledigt hatte, war die Stimmung unter den Umstehenden drohend. Es war dabei überhaupt nicht sicher, ob er zu seinem Patrouillewagen zurückkehren könnte.

In dieser Situation bekam er den erleuchtenden Einfall. Mit lauter Stimme verkündete er:
"Sie haben soeben der Ausstellung eines Strafmandats durch einen Polizeibeamten beigewohnt."
Während die Umstehenden sich noch angestrengt gaben, den tieferen Sinn dieser unsinnigen Erklärung zu ergründen, stieg er in seinen Wagen und fuhr weg.



(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion91/92, S. 30)

Angriff in der Klasse

Kürzlich erinnerte sich eine ca. fünfzig-jährige Lehrerin daran, daß sie ganz am Anfang ihrer Tätigkeit an der Schule sich plötzlich einer tödlichen Bedrohung gegenüber gesehen hatte. Folgendes war geschehen:

Die Lehrerin hatte der Mutter einer lernschwachen Schülerin empfohlen, diese in eine Sonderschule versetzen zu lassen. Die Mutter war auch damit einverstanden, denn sie selbst und auch ihr Mann hatten die Sonderschule besucht.
Ohne daß die Lehrerin dies ahnen konnte, fühlte sich jedoch der Vater des Kindes von diesem Vorschlag gekränkt. Also trank er sich Mut an und platzte am nächsten Tag mitten in den Unterricht. Mit erhobenem Messer stürzte er auf die Lehrerin zu. Die Kinder waren schreckensstarr; die Lehrerin eigentlich nicht minder, aber sie wandte sich doch dem Mann zu und fragte ihn äußerlich ruhig und geschäftsmäßig: "Wollen Sie hier hospitieren?"
Sogleich ließ der Angreifer das Messer sinken. Er hatte sicher mit einer erschreckten Reaktion der Lehrerin gerechnet, aber nicht mit dieser verwirrenden Frage. Vielleicht wußte er auch nicht genau, was mit "hospitieren" gemeint war. Jedenfalls schloß er aus den Gesten der Lehrerin, daß ihm eine positive Rolle zugedacht wurde. So folgte er einfach ihrer Empfehlung: "Nehmen Sie bitte hinten Platz!" Er setzte sich in die letzte Reihe und hörte die ganze Stunde mit an, wie die Lehrerin   - innerlich immer noch zitternd - das Märchen weiter besprach, das sie gerade zu lesen begonnen hatte.



(Quelle: -bg-)

Unerwartete Reaktion

Seit Monaten arbeite ich an einer Sammlung gewaltfreier Aktionen. Ich habe mich ganz in diese Haltung hineingedacht und hineingefühlt. Mit allen meinen Gedanken bin ich dabei. So kommt es mir eines abends gar nicht zu Bewußtsein, daß ich mich in einer gefährlichen Situation befinde: der Gang alleine als Frau durch eine ziemlich dunkle Seitenstraße.
Ich betrete eine Telefonzelle und führe ein erfreuliches Telefonat. Auf einmal wird die Tür aufgerissen. Eine Horde Randalierender steht vor mir, angetrunken, in schwarzer Kleidung mit viel Metall an den Lederjacken. Sie haben kahlrasierte Schädel, von denen ihnen oben die Haare zu Berge stehen; Nadeln sind in den Ohren zu sehen, und sie tragen Schlagringe und -ketten.
"Wird das Scheißhaus endlich frei?" brüllt der an der aufgerissenen Tür und schwingt drohend eine Bierflasche gegen mich.
Die Stimmung, in der ich mich befunden habe, ist so stark, daß ich mich auch jetzt nicht aus der Fassung bringen lasse. Strahlend wende ich mich zu dem Grölenden und sage ganz unbefangen und mit ruhiger Herzlichkeit: "Ja, gleich. Ich bin bald fertig. Prost."
Verblüfft bleibt ihm der Mund offenstehen, die Bierflasche trudelt ins Leere und die Tür fällt zu. Ich sehe die jungen Leute die Straße runterschlurfen; da ist irgendwie die Luft raus.
Im Nachhinein hab' ich überlegt, womit ich das eigentlich bewirkt habe. Wie gesagt: ich war allein, keine Vorsätze, keine besonderen Machtmittel. Ich denke, es kam daher, daß ich unerwartet reagiert und mich nicht auf Drohungen eingelassen hatte. Das Gewaltmuster griff dadurch nicht und lief ins Leere.

Überraschungseffekt

Auf ihrem Heimweg im Dunkeln bemerkt eine Frau, wie ein Mann sie scharf beobachtet, und spürt dann, daß er hinter ihr hergeht. Sie ist allein in der menschenleeren Straße; und ihr wird unheimlich. Kurz entschlossen wendet sie sich um und spricht den Mann an:
"Guten Abend, ich habe eine Bitte: Würden Sie mich begleiten - zu meinem Schutz, damit mir nichts passiert?" Verblüfft sagt der Fremde zu. Auf dem Weg unterhalten sie sich "unbefangen" über alles mögliche; wohlbehalten kommt die Frau zu Hause an. Aber beim Abschied sagt der Mann unvermittelt: "Gehen Sie nicht mehr so spät allein im Dunkeln. Sie hatten Glück. Ich hatte ganz was anderes vor. Aber mit ihrer Bitte haben Sie mich total verblüfft. Das hat mich ganz bei meiner Ehre gepackt." Doch sogleich fügte er hinzu: "Machen Sie das nicht nochmal!"


(Quelle: -bg-)

Ein gefährlicher Spaziergang

Vor Jahren habe ich in London an einer Ausbildung zum Community-Worker teilgenommen. Sie fand in einem Gemeinwesenzentrum im East-End nahe dem Hafen statt, einer 'arme-Leute'-Gegend. Es sah damals dort fast gespenstisch aus.In ganzen Straßenzügen waren die Fenster und Türen zugemauert, weil die einstöckigen Häuser zugunsten von Wohnblöcken abgerissen werden sollten.
In der Ausbildung wurde eine Technik angewendet, die man "overflooting" nennt. Das bedeutet, daß man stundenlang mit Informationen vollgestopft wird, was natürlich äußerst anstrengend ist. Deshalb beschloß ich am Abend gegen 22.00 Uhr noch einen Spaziergang zu machen. Von meinen Kollegen wollte keiner mitgehen, weil sie zu müde waren.

Ich ging also los; und als ich so eine viertel Stunde von unserem Zentrum entfernt war, hörte ich in einiger Entfernung Schritte hinter mir, was mich zunächst nicht beunruhigte. Das änderte sich jedoch, als ich in eine Seitenstraße abbog und die Schritte folgten. Ich drehte mich vorsichtig um und bemerkte in einiger Entfernung eine Gruppe von acht Jugendlichen, die schweigend hinter mir herzogen. Jetzt bekam ich Angst. Hatte ich doch in der Stadtteilzeitung von häufigen Überfällen gelesen. Ich blieb stehen, die Schritte verstummten. Ich ging schneller, die Gruppe auch. Da wußte ich Bescheid, die wollten was von mir. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was sollte ich tun? Davonrennen? - Zwecklos - die jungen Leute wären sicher viel schneller als ich. Schließlich erinnerte ich mich an ein Rollenspiel, in dem unser Lehrer zeigte, daß es erfolgversprechend wäre, auf die Jugendlichen zuzugehen und sie um Hilfe zu bitten.

Da mir selbst nichts besseres einfiel und die Gruppe immer näher rückte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. Ich drehte mich um, ging auf die Jugendlichen zu, die stehenblieben und mich feindselig anblickten. Ich sagte in meinem schlechten Englisch: "Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht helfen? Ich bin ein Ausländer und habe mich verlaufen. Ich suche das Community-Center."
Da hellte sich das Gesicht des jungen Mannes, der vor mir stand auf und er sagte: "Selbstverständlich tun wir das, wir bringen Dich hin."
Sofort entstand in der Gruppe ein entspanntes Klima. Sie fingen an zu reden und geleiteten mich zum Zentrum. Dort lud ich sie noch zu einem Bier ein.

Unser Gemeinschaftsraum war leer. Die Kollegen waren nach dem anstrengenden Tag wohl schon im Bett. Wir ließen uns nieder, ich machte Musik an und wir tranken das Bier. Sie kannten, wie sie sagten, das Zentrum, nur von außen.
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür und ein englischer Kollege wollte herein¬kommen. Er stutzte, als er die Gruppe sah, und machte schnell die Tür von außen wieder zu. Drinnen unterhielten wir uns noch eine Weile, wobei ich erfuhr, daß alle aus der Gruppe arbeitslos waren, und dann gingen sie friedlich. Sie sagten, sie wollten mal wieder kommen und sich das Haus ansehen.
Als sich die Tür hinter ihnen schloß, öffnete sich die Tür des Essraumes und alle meine Kollegen kamen heraus. Der Engländer hatte sie geweckt. Er kannte den Boß der Gruppe und wußte, daß dies die gefährlichste Jugendbande vom Eastend war. Die Kollegen wollten mir freundlicherweise helfen, falls die mich verprügeln würden. Da wurde mir nachträglich noch schlecht - vor Schreck.


(Quelle: Fritz Karas, Köln)

Die schweren Bücher

Ein Mädchen ging von der Schule nach Hause mit einem großen Stapel Bücher in ihren Händen. Während sie auf einem Waldweg lief, hörte sie, daß jemand schnell hinter ihr herkam. Es war ein Mann, der sie verfolgt hatte. Als er schließlich neben dem Mädchen war, drückte sie ihm die Bücher mit der Bemerkung in die Hände: "Schön, daß ich jemand gefunden habe, der mir helfen kann, meine Bücher zu tragen; und der mich hier im Wald beschützen kann."
Der Mann lief mit ihr, während das Mädchen allerlei über ihre Schule erzählte. Als sie bei ihr zuhause angekommen waren, bedankte sie sich bei dem Mann für die Hilfe; worauf er antwortete:
"Ich fand es auch schön. Aber wenn du wüßtest, was ich eigentlich vorhatte."


(Quelle: aus: Han Horstink, Ohne Gewalt gegen Gewaltkriminalität - Selbstverteidigung mit oder ohne Gewalt?(Auszüge aus seiner Diplomarbeit von 1982),in Gewaltfreie Aktion91/92,S.28)